Regeln für Ärzteniederlassung: Mehr Ärzte für unterversorgte Bezirke
Seit einem Jahr gilt das neue Versorgungsstrukturgesetz, das eine gleichmäßigere Verteilung von Arztpraxen befördern soll. Was das für Berlin bedeutet wird aktuell diskutiert.
Statistisch gesehen gibt es in Berlin ausreichend viele Ärzte. Rund 6 000 niedergelassene Mediziner und 1600 Psychotherapeuten versorgen die gesetzlich versicherten Berliner, dazu kommen 8500 Klinikärzte. Doch die bloßen Zahlen nützen im konkreten Einzelfall wenig. Rentnern im verkehrstechnisch abgelegenen Köpenicker Süden etwa, wenn sie einen Augenarzt suchen. Davon gibt es in Berlin zwar durchschnittlich 22 Prozent mehr als nötig, doch Köpenick ist weniger gut mit Augenärzten versorgt als etwa die Westbezirke.
Das soll sich ändern. Seit diesem Jahr gilt das unter dem früheren Bundesgesundheitsminister Philipp Rösler (FDP) entworfene Versorgungsstrukturgesetz, was eine neue, flexible Bedarfsplanung vorschreibt. Mediziner sollen sich dort niederlassen, wo die Patienten sie am meisten brauchen. Dabei soll etwa das Alter der Bewohner eine Rolle spielen. Das hatte auch Gesundheitssenator Mario Czaja (CDU) begrüßt. Die Kassenärztliche Vereinigung (KV) berät sich dazu derzeit mit den Krankenkassen. Beide legen bis Jahresende fest, nach welchen Kriterien bestimmte Ärzte künftig wo ihre Praxen aufmachen dürfen. Der KV müssen alle Praxisärzte angehören, die gesetzlich Versicherte versorgen.
Noch gilt Berlin als ein Planbezirk: Wenn die Versorgung mit Gynäkologen stadtweit 116 Prozent entspricht, spielt formal keine Rolle, dass Neukölln mit 62 Prozent unterversorgt ist. Und während ein niedergelassener Gynäkologe statistisch zwar 3500 Berlinerinnen versorgt, sind es in Charlottenburg 1700 Frauen, in Neukölln aber 5500. Und wer sich als Psychotherapeut in Charlottenburg-Wilmersdorf niederlassen wollte, kann das bislang tun: Dort gibt es viermal mehr Psychologen als nötig wären, während sich in Marzahn-Hellersdorf nur ein Drittel der benötigten Praxen befinden. Ob Hautärzte in Neukölln oder Hals-Nasen-Ohren-Spezialisten in Treptow – wer dort überhaupt eine Praxis findet, muss lange auf einen Termin warten.
Ob künftig jeder Bezirk einen eigenen Ärzteschlüssel bekommt, ist aber ungewiss. Der Vize-Chef der Berliner KV, Uwe Kraffel, ist da vorsichtig: „Wir werden entscheiden, ob und für welche Fachgruppen wir welche Kieze wählen.“ Für Allgemeinmediziner könnten Einzugsgebiete berechnet werden, die kleiner als die Bezirke sind, weil in ihre Praxen viele Patienten drängen. Bei ambulanten Chirurgen hingegen werden seltener Termine gemacht, deren Bedarfsgebiete dürften mehr als einen Bezirk umfassen. Vor allem der Neuköllner Gesundheitsstadtrat Falko Liecke (CDU) wünscht sich eine kieznahe Planung: „Wir können kranke Senioren aus Gropiusstadt nicht auf eine S-Bahn-Reise ans andere Ende der Stadt schicken.“
Dass Berlin zuweilen mangelhaft versorgt ist, hängt mit dem gestiegenen Behandlungsbedarf einer alternden Bevölkerung zusammen. Jeder vierte Kassenpatient ist älter als 60 Jahre, doppelt so viele wie vor 20 Jahren. Hinzu kommt, dass jeder fünfte Patient in einer Berliner Praxis eigentlich Brandenburger ist, etwa Berufspendler. Auch dies soll künftig berücksichtigt werden. Doch selbst eine – auf dem Papier – ausreichende Versorgung garantiert nicht, dass jeder Patient das merkt. Etwa im kinderreichen Pankow einen Termin beim Kinderarzt zu bekommen, ist schwierig – dabei ist Pankow mit 163 Prozent Kinderarztversorgung statistisch gesehen überversorgt.