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Für das Sammeln der Unterschriften hatte „DWenteignen“ vier Monate Zeit - bis Freitag
© Monika Skolimowska/dpa
Update Exklusiv

Keine Großvermieter mehr in Berlin?: Mehr als 350.000 Unterschriften für Enteignungs-Initiative – Volksentscheid wahrscheinlich

Fast jeder zehnte Berliner hat für das Volksbegehren „Deutsche Wohnen und Co enteignen“ unterschrieben. Damit scheint eine Abstimmung unausweichlich.

Der 26. September ist mit den Wahlen zum Bundestag, dem Abgeordnetenhaus sowie der Bezirksverordnetenversammlungen bereits jetzt ein sogenannter "Super-Wahltag" - nun kommt aller Voraussicht nach eine weitere Abstimmung hinzu.

Weil die Initiative "Deutsche Wohnen und Co enteignen" (DWenteignen) Tagesspiegel-Informationen zufolge mehr als 350.000 Unterschriften gesammelt hat, dürfen die Berliner:innen über die Enteignung großer Immobilienkonzerne abstimmen. Damit wächst der Druck auf Politik und Immobilienwirtschaft weiter.

Die Initiatoren wiederum jubeln und sprechen vom "besten Volksbegehren" in der Geschichte Berlins. Bislang hatte diesen Titel das Volksbegehren über die Offenlegung der Teilprivatisierungsverträge bei den Berliner Wasserbetrieben inne. 320.000 Menschen unterschrieben damals für die Initiative. Dass DWenteignen diesen Wert trotz der Einschränkungen durch die Corona-Pandemie deutlich überschritten hat, werten die Initiatoren als großen Erfolg der von mehr als 1000 ehrenamtlichen Helfer:innen getragenen Initiative.

Nach Auszählung der bislang eingereichten Stimmen am Donnerstagabend - die Initiative sprach zunächst von 343.500 Stimmen, einige fehlen aber noch - ist klar: Das Quorum von 175.000 Unterschriften dürfte die Initiative locker erfüllen. Zwar lag die Quote der ungültigen Unterschriften zuletzt bei 30 Prozent und damit ungewöhnlich hoch.

Allerdings wäre die Hürde selbst bei einem Abzug von rund 100.000 ungültigen Stimmen überwunden. Ein Volksentscheid ist dann nicht mehr zu verhindern.

Häufigster Grund für ungültige Eintragungen auf den Unterstützerlisten war demnach, dass die Unterzeichnenden nicht die deutsche Staatsangehörigkeit besitzen. Ungültig seien Unterschriften auch, wenn Berlin nicht Hauptwohnsitz ist oder Angaben unleserlich beziehungsweise falsch sind.

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Am Freitag werden die Listen mit den Unterschriften an die Senatsverwaltung für Inneres übergeben werden. Ebenfalls geplant ist nach Angaben der Initiative eine Kundgebung mit Musik.

Die Initiative setzt sich dafür ein, Immobilienunternehmen mit mehr als 3000 Wohnungen zu „vergesellschaften“, also gegen eine Milliardenentschädigung zu enteignen. Ziel der Unterschriftensammler ist, den weiteren Anstieg der Mieten in Berlin zu stoppen, der in den vergangenen Jahren deutlich über dem deutschlandweiten Durchschnitt lag.

Klar ist: Selbst ein Erfolg der Initiative beim nun absehbaren Volksentscheid – benötigt wird die Mehrheit der Abstimmenden sowie die Zustimmung von mindestens 25 Prozent aller Berliner:innen – führt nicht automatisch zur Enteignung großer Immobilienkonzerne. Vielmehr wird der Senat beziehungsweise die sich nach der Wahl formierende Regierungskoalition dazu aufgefordert, ein Gesetz zur Vergesellschaftung auf Basis von Artikel 15 im Grundgesetz zu erarbeiten. Dieses wiederum müsste vor Gericht Bestand haben, Klagen sind bereits angekündigt.

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Für das Sammeln hatte „DWenteignen“ vier Monate Zeit - bis Freitag. Ende Mai waren nach Angaben der Landeswahlleitung bereits 197.000 Unterschriften zusammengekommen.

Das Anliegen der Initiative in Berlin ist umstritten. Kritik gab es immer wieder sowohl aus der Immobilienwirtschaft als auch von den Oppositionsparteien. Auch die Berliner SPD und insbesondere deren Spitzenkandidatin Franziska Giffey lehnt das Vorhaben ab. Die Linke dagegen hat sich an der Unterschriftensammlung aktiv beteiligt. Allein die Mitglieder der Partei sammelten mehr als 32.000 Unterschriften - rund ein Zehntel der Gesamtsumme.

Dementsprechend groß war der Jubel nach Veröffentlichung des Zwischenergebnisses durch die Initiative. „Danke an alle, die in den letzten Monaten bei Wind, Wetter und Hitze und unter den schwierigen Bedingungen der Pandemie gesammelt haben, diskutiert und überzeugt haben“, twitterte der Berliner Landesverband der Partei Die Linke. Kultursenator Klaus Lederer gratulierte der Initiative und bezeichnete die Unterschriftenzahl als „eindeutiges Zeichen und einen riesigen Erfolg für die Mietenbewegung in unserer Stadt.“ Der Wahltag werde zum Entscheidungstag über Vergesellschaftung, twitterte Lederer und ergänzte: „Wir sagen Ja!“

Bettina Jarasch, Spitzenkandidatin der Grünen, gratulierte der Initiative ebenfalls zu der „beeindruckenden Zahl an Stimmen“. Dies zeige, „wie dramatisch die Lage auf dem Wohnungsmarkt tatsächlich ist“, sagte Jarasch und folgerte: „Die Hütte brennt“. Eine Regulierung der steigenden Mieten über Angebot und Nachfrage reiche nicht mehr aus, sagte Jarasch weiter und kündigte an: „Ich bin bereit, als Regierende Bürgermeisterin alles zu unternehmen, was rechtssicher ist und wirklich hilft, um den Wohnungsmarkt zu entspannen.“  

Kritik kam aus der Opposition. CDU-Spitzenkandidat Kai Wegner wertete den Erfolg der Initiative als Misstrauensvotum zehntausender frustrierter Berliner gegen die „gescheiterte Wohnungspolitik des Senats“. Rot-Rot-Grün habe Berlin „in eine hausgemachte Wohnungskrise gesteuert“, es mangele an ausreichendem Wohnraum und bezahlbaren Mieten.

„Zu einem Neustart in der Wohnungspolitik passen Enteignungsphantasien von vorgestern nicht“, sagte Wegner und warnte vor einem „Haushaltsnotstand mit 36 Milliarden Euro neuen Schulden für null neue Wohnungen“ samt Miet- und Steuererhöhungen. Nötig sei vielmehr eine Neubauoffensive, um den Mietmarkt dauerhaft zu entlasten, zudem soziale Leitplanken, damit Mieter nicht mehr „herausmodernisiert“ werden können, und ein Mietergeld.

FDP-Fraktionschef Sebastian Czaja warf der Initiative „DWenteignen“ hingegen vor, „mit fadenscheinigen Argumenten und fragwürdigen Mitteln“ gearbeitet zu haben. Dabei hätten die Aktivisten verschwiegen, dass die Kosten in Höhe von 36 Milliarden Euro Berlin „in den finanziellen Ruin“ führten und tausende Jobs in Gefahr gerieten. „Durch ihren ideologischen Eifer verblendet, führen sie eine Kampagne, die mit der Realität nichts zu tun hat“, sagte Czaja. Es gehe um einen „Angriff auf unsere Grundrechte“.

Georg Pazderski, Vorsitzender der AfD-Fraktion im Abgeordnetenhaus, stellte die Verfassungsmäßigkeit des Volksbegehrens infrage und kommentierte: „Jedem Berliner muss klar sein, dass er danach mit seinen Steuergeldern die günstige Miete einer kleinen rot-rot-grünen Klientel zahlen soll.“

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