zum Hauptinhalt
Streiken für mehr Geld. Hunderte Meter lang war der Demonstrationszug zwischen Alexanderplatz und Brandenburger Tor.
© Susanne Vieth-Entus
Update

Streik im öffentlichen Dienst: Mehr als 100 Kitas in Berlin komplett geschlossen

Rund 12.000 Beschäftigte aus Schulen, Kindertagesstätten, Universitäten und Ämtern waren im Ausstand. Einen Tag lang dauerte der Warnstreik in Berlin.

Der Sicherheitsmann vor dem Sprechzimmer im ersten Stock des Bezirksamts Neukölln schüttelt den Kopf. "Heute nur mit Termin", sagt er und weist einer jungen Frau den Weg zurück zum Ausgang. Hier in der Sonnenallee 107 läuft am Mittwoch ein ausgedünnter Betrieb, genau wie in fast allen anderen Bezirksämtern der Stadt. Gewerkschaften haben Angestellte des öffentlichen Dienstes zum Warnstreik aufgerufen.

Sie wollen ihren Forderungen bei den Tarifverhandlungen Nachdruck verleihen. Unzählige Schulen und Kitas bieten am heutigen Mittwoch nur einen Notbetrieb, auch in Ämtern, Bibliotheken und anderen Stellen, wo Landesbeschäftigte arbeiten, muss mit Einschränkungen gerechnet werden. Welche Schulen, Kitas und Behörden genau betroffen sind, lesen Sie hier.

Keine Kita, keine Meldebescheinigung

"Ich kann schon verstehen, dass die Mitarbeiter für gute Arbeitsbedingungen streiken", sagt die junge Frau im Neuköllner Bezirksamt. "Allerdings ist es für mich jetzt extrem nervig. Mein Mann und die Kinder warten im Auto, wir sind alle zusammen extra wegen der Meldebescheinigung hergekommen." Zum Glück sei sie nicht berufstätig und könne die Kinder heute betreuen - denn auch in der Kita streikt das Personal.

Ein Recht darauf, wegen des Streiks und ausfallender Kinderbetreuung zu Hause zu bleiben oder aus dem Homeoffice zu arbeiten, haben Arbeitnehmer übrigens nicht.

Empfohlener redaktioneller Inhalt

An dieser Stelle finden Sie einen von unseren Redakteuren ausgewählten, externen Inhalt, der den Artikel für Sie mit zusätzlichen Informationen anreichert. Sie können sich hier den externen Inhalt mit einem Klick anzeigen lassen oder wieder ausblenden.

Ich bin damit einverstanden, dass mir der externe Inhalt angezeigt wird. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr Informationen dazu erhalten Sie in den Datenschutz-Einstellungen. Diese finden Sie ganz unten auf unserer Seite im Footer, sodass Sie Ihre Einstellungen jederzeit verwalten oder widerrufen können.

Da bereits beim halbtägigen Warnstreik am 29. Januar rund jede fünfte öffentliche Kita – etwa 50 von 250 – komplett geschlossen war und weitere nur teilweise öffneten, waren die Eltern angesichts des ganztägigen Streiks auf alles gefasst. An vielen Kita-Türen hing bereits seit Tagen der Hinweis, dass kein Betrieb stattfinden wird. Am Ende teilte die Senatsverwaltung für Bildung und Jugend mit, dass am Mittwoch mindestens 100 öffentliche Kitas komplett geschlossen waren. Im Einzelnen waren das 41 von 56 Kitas des Eigenbetriebs City, 18 von 37 des Eigenbetriebs Süd-West und 38 von 63 im Eigenbetrieb Nordwest: "Bei uns gibt es heute noch nicht einmal eine Notbetreuung", sagte Birgit Prenzlow, die von der Kita Jungfernheide zur Demonstration gekommen war.

Eltern sind solidarisch

Von Elternseite gab es wieder viel Solidarität für die streikenden Erziehern: Viele brachten ihre Kinder nicht in die Einrichtungen, um den Kitas die Notbetreuung zu erleichtern.

Andere waren selbst zur Demo gekommen, weil sie keinen Kitaplatz finden können und hoffen, dass es mehr Erzieher geben wird, wenn die Bezahlung sich verbessert. Zu ihnen gehörte auch Malte Ortmann, 37, der sich als "DJ und E-commerce-Manager" vorstellte und zusammen mit seinem einjährigen Sohn Ole, den er vorm Bauch trug, ausdrücklich für höhere Erziehergehälter demonstrierte. Auf dem Plakat, das die beiden hoch hielten, stand: "Ich will endlich in die Kita, aber Papa findet keinen Platz in Schöneberg".

Auch der Jugendstadtrat von Neukölln, Falko Liecke, informierte über Twitter, bei welchen Kitas gestreikt werde. In den Schulen liefen die Schulleiter in den vergangenen Tagen herum, um einen Überblick über die Streikbereitschaft zu bekommen: Sie setzen bei der Organisation des Schultages vor allem auf die verbeamteten Lehrkräfte. An Schulen wie dem Albert-Einstein-Gymnasium in Britz, wo der überwiegende Teil der Lehrerschaft noch verbeamtet ist, waren die Streikfolgen nicht so groß: Zwölf angestellte Lehrer hatten sich streikbedingt abgemeldet.

Rund 4200 Lehrer beteiligten sich am Warnstreik

Am Großteil der Schulen werde es voraussichtlich zu Unterrichtsausfällen kommen, hatte GEW-Sprecher Markus Hanisch gewarnt. An einigen Schulen könne es es vorkommen, dass gar kein regulärer Unterricht stattfindet. Ausgehend von früheren Lehrerstreiks rechnete die GEW damit, dass mehr als 10.000 Unterrichtsstunden ausfallen könnten. Verbeamtete Lehrkräfte dürfen nicht streiken, sie dürfen aber auch nicht eingesetzt werden, um streikende Kollegen zu vertreten, außer für Notdienste. 

Am Nachmittag war klar, dass die Erwartungen der GEW übertroffen wurden: Einer Übersicht der Bildungsverwaltung war am Nachmittag zu entnehmen, dass an fast 600 Schulen gestreikt wurde. Demnach waren über 6000 Beschäftigte im Ausstand, darunter knapp 4200 Lehrer und rund 1800 weitere Beschäftigte wie Horterzieher. Es dürften also eher 20.000 Stunden ausgefallen sein.

„Ich streike, damit die Sozialarbeiter mehr Geld bekommen“

Zu denen, die auf die Straße gingen, gehörte auch Mina Hagedorn: Die Kreuzberger Grundschullehrerin macht seit einigen Monaten mit Aktionen auf den Notstand in den Jugendämtern aufmerksam, von dem auch die Schulkinder betroffen seien, mahnt Hagedorn. Die Pädagogin erlebt immer wieder, dass Familien keine Hilfe bekommen, weil das Personal in den Jugendämtern knapp ist. Besonders beunruhigt ist sie darüber, dass es selbst im personell noch überdurchschnittlich gut ausgestatteten Friedrichshain-Kreuzberg zu regelmäßigen Schließzeiten kommt und Familien monatelang auf Hilfe warten müssen.

„Ich streike, damit die Sozialarbeiter mehr Geld bekommen“, sagt Hagedorn.

Der Botanische Garten blieb für Besucher geschlossen

Auch die Beschäftigten der Universitäten waren zum Warnstreik aufgerufen. Das führte etwa dazu, dass der Botanische Garten mitsamt Museum für Besucher geschlossen war.

"Es geht um unser aller Gehalt", sagte Claudius Naumann, EDV-Angestellter im Fachbereich Geschichte und Kulturwissenschaften der Freien Universität am Rande der Kundgebung vor dem Brandenburger Tor. Seine Kollegin Irene Jentzsch, 63, erinnerte daran, dass "viele sich nicht trauen" zu streiken - insbesondere die große Zahl der nur befristet Beschäftigten.

"Wir wurden heruntergespart"

Wild entschlossen hatten auch vier Mitarbeiter des zentralen Objektschutzes aus Spandau ihre grünen Fahnen der Gewerkschaft der Polizei (GdP) geschultert: "Wir wurden heruntergespart", sagen sie und dass es mit dem Gehalt nun mal aufwärts gehen müssen. "Wir brauchen einfach mehr Personal", ergänzt ein Polizeibeamter in Uniform, der als Beamter nicht streiken darf, der aber dabei ist, um die Autofahrer am Rande der Kundgebung in Schach zu halten. Zum Streik aufgerufen sind von GdP-Seite - neben dem Objektschutz - auch Mitarbeiter der Gefangenensammelstellen und der Ordnungsämter.

Verdi-Mitglieder trafen sich im Hofbräuhaus

Die streikenden Verdi-Mitglieder trafen sich am Morgen im Hofbräuhaus an der Karl-Liebknecht-Straße in Mitte. Laut Gewerkschaftssprecher Andreas Splanemann war das große Lokal voll, rund 2500 Gewerkschaftsmitglieder waren gekommen, um sich dort zu registrieren - nur dann gibt es Streikgeld für den nicht gearbeiteten Tag.

Die bei der Polizeigewerkschaft GdP und der Bildungsgewerkschaft GEW organisierten Mitglieder versammelten sich auf dem Alexanderplatz. Auch hier waren laut einem Gewerkschaftssprecher Tausende gekommen.

Anschließend zogen die Streikenden gemeinsam zum Brandenburger Tor, wo gegen 11.30 Uhr eine gemeinsame Abschlusskundgebung stattfindet. Die Polizei sprach von mindestens 10.000 Teilnehmenden.

+++ Mehr zum Streik

- Hier können Sie lesen, was Sie sonst noch beim Streik beachten müssen.

- Und auch am Freitag wird gestreikt: Dann legen die Mitarbeiter bei der BVG bis zum Mittag die Arbeit nieder. Busse und U-Bahnen werden dann nicht fahren. Lesen Sie hier das Wichtigste zum BVG-Streik:

- Diese Buslinien fahren trotzdem: Am Freitag kommt es im Berliner Nahverkehr zum Ausstand. 21 Buslinien verkehren dennoch, sieben weitere eingeschränkt. Die Übersicht.

- Die S-Bahn setzt am Freitag 50 Extra-Züge ein. Die Lage.

Mehr aus Ihrem Kiez - in unseren Bezirksnewsletter

Zwölf Newsletter, zwölf Bezirke: Unsere Leute-Newsletter aus allen Berliner Bezirken können Sie hier kostenlos bestellen: leute.tagesspiegel.de

Zur Startseite