Väterzentrum in Berlin: Männerwelt mit Kind
Im Väterzentrum in Berlin gibt es keine aufgeregten Diskussionen über die perfekte Kinderbetreuung. Dafür aber eine Carrera-Bahn.
Jakob (Name geändert) steht breitbeinig in dem bauchhohen Bastkorb, seine Hände umklammern den Rand, er sieht jetzt aus wie ein Matrose im Ausguck von Käptn Ahabs Walfängers. Jakob hat alles fest im Blick. Er sieht, wie ungelenk August mit den Legosteinen spielt, er registriert, dass sich vor ihm ein Baby über den Boden rollt, nur den Vater, der seinem Sohn eine Banane entgegen streckt, den sieht er nicht. Der ist hinter ihm. Er hört nur seine Stimme. „Wie macht der Löwe?“.
Tja, wie macht der Löwe? Das weiß Jakob auch nicht. Und ehrlich gesagt, ist es auch völlig egal. Er ist knapp ein Jahr alt, hat genug damit zu tun, sich festzuhalten und findet viel spannender, was hier abgeht. In diesem Raum mit dem orangefarbenen Sofa, auf dem armlange Stoff-Krokodile liegen, eine Carrera-Bahn als Gehäuse für Neonleuchten an der Wand hängt und auf einem Büffet Tassen, Kaffeekannen und eine offene Butterpackung steht.
Sechs Männer sind da, jeder mit seinem Baby oder Kleinkind, die meisten ungefähr ein Jahr alt. Kein Baby weint oder quengelt, kein Erwachsener wird laut. Eine Krabbelgruppe, die in dieser Form auch einen Gottesdienst nicht stören würde.
Und: Es sind keine Mütter da.
Donnerstag, kurz vor 12 Uhr, Papa-Cafe im Väterzentrum in Prenzlauer Berg. In seinem Büro, ein paar Meter von den Krokodilen entfernt, sitzt Marc Schulte und beschreibt sein Projekt als eine Art emotionale Rettungsinsel. „Wir werden als Einrichtung gesehen, die Väter unterstützt. In der Väter ihren Platz haben. Viele haben den Eindruck, dass in anderen Gruppen oder Zentren vor allem Mütter unterstützt werden.“ Der Diplom-Sozialpädagoge Schulte mit seinem gemütlichen Gesicht, in dem ein grauer Drei-Tage-Bart sprießt, hat mit seinem Partner Eberhard Schäfer 2007 das Väterzentrum gegründet.
Flucht vor nervenden Gesprächen
Eine Anlaufstelle, für Väter aller Art. Männer, die in Elternzeit sind und andere Väter kennenlernen wollen, während sie mit den Kindern spielen. Männer, die in Trennung leben und professionelle Beratung brauchen oder nur andere Väter, die ihnen zuhören. Und Männer wie Volker Müller (Name geändert), den Vater von Jakob, Angestellter in Elternzeit, dessen Frau Vollzeit arbeitet. Der 30-Jährige ist mit seinem Sohn jede Woche noch in anderen Krabbelgruppen, in gemischten, mit Müttern und Vätern. Und in denen, sagt er, laufe es oft anders als im Papa-Café. „Hier im Zentrum gibt es weniger Erwartungsdruck. Es ist entspannt und deshalb so angenehm.“ Und, ganz wichtig, es gebe nicht diese mitunter anstrengenden Gespräche, die er von anderen Treffs kennt. „In einigen Krabbelgruppen bricht eher Panik aus, wenn die Frage der Kitabetreuung noch nicht geregelt ist.“ Wenn er mit anderen redet im Zentrum, merkt er, dass er nicht der Einzige ist, der vor den Erwartungen flieht.
Und Schulte lacht in seinem Büro, als er erzählt, wie manchmal sogar Mütter kommen und staunend-neidvoll feststellen, „wie ruhig es hier ist“.
Freizeitprogramm für Väter und Jugendliche
Für das Kind im Manne – und seine Kinder – bietet das Väterzentrum ein umfangreiches Freizeitprogramm. „Indianerdorf“, „Kanutouren“, „Leben wie im Zirkus“, alles im Angebot. Da toben dann auch 14-, 15-Jährige mit ihren Vätern begeistert durchs Abenteuer. Oder beim „Großen Preis vom Prenzlberg“, jedes Jahr in den Herbstferien. Da bauen dann Leute zehn Stunden lang eine riesige Carrera-Bahn auf, mit 27 Metern Rennstrecke. Eine Woche lang jagen immer vier Autos über die Plastikpisten. Die Bahn gehört einem Vater.
In den Herbstferien gibt's Planungssicherheit, da weiß jeder, dass er spontan ins Zentrum gehen kann. Sonst ist das nicht so. Wer spontan kommt, bleibt möglicherweise vor verschlossenen Türen stehen. Verbindlich offen ist das Väterzentrum nur beim Papa-Café am Donnerstag von 10 bis 12 Uhr und beim Familiencafé am Samstag von 10 bis 13 Uhr. Ansonsten wird das Zentrum geöffnet, wenn Schäfer und Schulte da sind. Selbstverständlich können auch Mütter kommen. Sie tauchen aber nur selten auf.
„Unser Traum“, sagt Schulte, „ist eine dritte hauptamtliche Kraft. Dann könnten wir sechs Tage pro Woche verbindlich öffnen.“ Bis jetzt sind nur er und Schäfer fest angestellt. Für eine dritte Person reicht die Senatsförderung nicht aus. 100 000 Euro erhält das Väterzentrum jährlich, den größten Teil davon verschlingen die Personalkosten und Miete.
Manchmal bleibt die Tür auch zu, obwohl einer da ist, Schulte oder Schäfer. Dann finden Beratungen im Büro statt, dabei soll niemand stören. Diese Beratungen sind die zweite große Aufgabe des Zentrums. Verzweifelte, ratlose, wütende Väter kommen dann, Väter in einer Trennungssituation, aufgeladen mit einer Flut von Fragen. Wie werde ich meiner Vaterrolle gerecht? Wie halte ich den Kontakt zum Kind? Muss ich alles hinnehmen, was der Anwalt meiner Frau von mir fordert? Solche Fragen.
600 Beratungen im Jahr
600 Beratungsgespräche fanden 2015 statt, mehrere tausend Anfragen aus Deutschland und dem Ausland landen jedes Jahr bei Schulte und Schäfer. Die Ladenräume in einer Seitenstraße werden auch deshalb von so vielen aufgesucht, „weil es in Deutschland kein anderes Projekt gibt, das so aufgebaut ist wie wir“, sagt Schulte. „Kein anderes Zentrum hat solche professionellen Strukturen.“
Zu diesen Strukturen gehören zwei Familienanwälte und ein Arbeitsrechtler. Und Schäfer hat zudem eine Ausbildung als Familientherapeut. Meistens gibt es drei Gespräche, es sind Erstberatungstermine, keine tiefgreifenden juristischen Erörterungen. Die Anwälte kommen ins Zentrum, jedes Gespräch dauert 20 Minuten, jeder Termin kostet 25 Euro. Das Geld landet zum größten Teil beim Familienzentrum, die Anwälte erhalten eine kleine Aufwandsentschädigung. Die therapeutischen Gespräche führt Schäfer. „Aber es ist nur eine Kurzzeittherapie“. Zwölf Gespräche, mehr eigentlich nicht.
Eine abgekapselte Männerwelt ist das Väterzentrum freilich nicht. Der erste „Große Preis von Prenzlberg“ fand 2008 statt. Gewonnen hat ihn eine Mutter.