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Steffen Reiche, früher Bundestagsabgeordneter für die SPD.
© dpa/Rainer Jensen

Ex-Minister und Pfarrer Steffen Reiche: "Manche nervt die politische Wirkung der Heilsgeschichte"

Ein Gespräch mit Steffen Reiche über Predigt und Politik. "Welt"-Chef Poschardt hat den Ex-Minister und jetzigen Pfarrer in Nikolassee wegen seiner Weihnachtspredigt kritisiert.

Herr Reiche, aggressive Ablehnung ist eine Bindung, sagt Sigmund Freud, demnach haben Sie Ulf Poschardt erreicht, oder? Auf Twitter empörte sich der „Welt“-Chef über Ihre Weihnachtspredigt in Nikolassee und verglich sie mit einem politischen Abend.

Augenscheinlich. Was mich verwundert bei einem so klugen Mann, ist, dass er nicht wirklich zu Ende zugehört hat. Sonst hätte er meine Predigt nicht parteipolitisch missverstanden. Für vieles, was ich gesagt habe, würden mich Jusos oder Grüne vorladen, wenn sie könnten, weil sie es niemals so sagen würden. Die Auseinandersetzung mit Mohammed etwa, der zur Gewalt bereit war. Jesus hat gesagt: „Stecke dein Schwert ein.“ Christen sind Menschen, die Sklaverei und Gewalt ablehnen. Im Neuen Testament gibt es keine Stelle, auf die man sich als Christ auf die Ausübung von Gewalt berufen könnte. Deshalb gibt es auch keine christlichen Attentäter. Weil es sie nicht geben kann. Dass die Kreuzzüge ein einziges Missverständnis waren, darüber gibt es heute einen breiten kirchlichen Konsens.

Politisch deuten Sie die Weihnachtsgeschichte aber schon, vom mittellos geborenen Gott bis zu Trumps Steuernachlässen für Reiche in den USA. Muss das nicht FDP-nahen Marktliberalen aufstoßen?

Dass Trump einen Steuerwettbewerb nach unten antreibt, ist Konsens in Europa. Dass so etwas nicht heilsam ist, auch. Das müsste Poschardt wissen. Da würde ich ihn in Schutz nehmen, für so verrückt halte ich ihn nicht. Im Übrigen halte ich eine Reihe von Parteien für wählbar. Ganz gewiss aber nicht AfD und FDP. Die FDP nicht, seitdem deren Chef Christian Lindner durch seine Äußerungen bei den von ihm beendeten Sondierungsgesprächen implizit erklärt hat, die bessere Wahl für AfD-Wähler zu sein.

Die AfD haben Sie aufs Korn genommen?

Nicht zum letzten Mal, versprochen! Ich habe die Geschichte von einer „AfD-Krippe im Sonderangebot“ erzählt: Ohne Juden, ohne Araber, ohne Ausländer, eine komplett leere Krippe ohne Figuren. Sind nur noch Ochs und Esel drin. Über Freunde erfuhr ich später, dass sich ein Besucher davon so getroffen fühlte, dass er die Kirche verlassen hat. Seine Frau ist geblieben, ich gab ihr meinen Ausdruck der Predigt für ihren Mann mit. Was ich wirklich nicht leiden kann, sind Menschen, die Weltmeister im Austeilen sind, sich aber wie Primadonnen verhalten, wenn sie einstecken müssen. Putin, Erdogan und Trump verhalten sich so. Sie fordern damit doppelte Standards ein nach der Melodie „Wir dürfen, die anderen nicht!“ Gegen doppelte Standards habe ich immer schon etwas gehabt.

Von Jesus zu Trump und zurück, was ist politisch an der Heilsgeschichte?

Eine bekennende CDU-Wählerin meiner Gemeinde hat es mal so gesagt: „Ich höre Ihnen so gerne zu, weil es bei ihnen nie um Parteipolitik geht.“ Jesus wollte nie politisch sein. Er war kein Zelot, kein Eiferer, der Israel wieder selbstständig machen wollte gegen die Römer. Aber Weihnachten ist die Heilstat, das Kommen Gottes in die Welt, in die Schöpfung, und dieses große Projekt Gottes ist eine Veränderung hin zu mehr Gerechtigkeit – und das ist etwas, was Poschardt und Konservative wohl etwas nervt, weil es natürlich eine politische Wirkung hat. Aber da müssen sie durch zu Weihnachten. Seit der Umstellung der Zeitrechnung hat Weihnachten die Welt verändert, und das hilft dabei, dass die Menschenrechte für die mehr als sieben Milliarden Menschen gleichermaßen gelten, die nach UN-Angaben heute auf der Welt leben. Die Menschenrechte nur als Original im verglasten Rahmen am Sitz der UN in New York? Das kann doch nicht alles gewesen sein.

Und deshalb müssen die Menschen die richtige Politik machen?

Ja, deshalb ging ich 1987 in die Bürgerrechtsbewegung der DDR. Als Pfarrer konnte und wollte ich es nicht ertragen, dass die DDR die Heilsgeschichte zurückdreht. Dem musste von der Kanzel widersprochen werden. Heute ebenso! Dort, wo Menschen das Rad der Heilsgeschichte zurückdrehen wollen, so wie Putin, Erdogan und Trump es tun, dort muss auch und gerade zu Weihnachten widersprochen werden.

Das Gespräch führte Ralf Schönball. Den nächsten Gottesdienst hält Reiche am heutigen Sonntag, 18 Uhr, Kirchweg 6, Nikolassee.

Steffen Reiche, 57, ist Pfarrer in der Evangelischen Kirchengemeinde Nikolassee. Für die SPD war er zehn Jahre Minister in Brandenburg, von 2005 bis 2009 Mitglied des Bundestags.

Steffen Reiche, Ex-Minister, heute evangelischer Pfarrer in Berlin-Nikolassee.
Steffen Reiche, Ex-Minister, heute evangelischer Pfarrer in Berlin-Nikolassee.
© DDP

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