Jüngster Bürgermeister: „Man wird als junger Politiker oft in eine Ecke gedrängt“
Er war der jüngste Bürgermeister Brandenburgs – bis er mit 26 Jahren ein Burn-Out bekam. Heute will er anderen jungen Politikern helfen.
Philipp Wesemann war 26 Jahre alt, als er die Diagnose Burn-Out bekam. Zu diesem Zeitpunkt, im Dezember 2016, war er seit einem guten Jahr Bürgermeister in Forst in der Lausitz. Als jüngster hauptamtlicher Bürgermeister in Brandenburg fühlte er großen Druck von Kollegen, Medien und Bürgern. Regelmäßig arbeitete er 80 Stunden pro Woche, bis er den Schlussstrich zog.
Was dem Sozialdemokraten damals geholfen hätte, sagt er, wäre ein Netzwerk junger Bürgermeister gewesen. Ansprechpartner, die Tipps geben können. So ein Netzwerk, dessen Mitglieder unter 40 sind, wurde am Dienstag mit einer ersten Veranstaltung am Alexanderplatz ins Leben gerufen. Initiiert von Michael Salomo, bei seinem Amtsantritt 2014 jüngster Bürgermeister Deutschlands.
Mit 25 übernahm Salomo die Leitung der Gemeinde Haßmersheim in Baden-Württemberg: „Ich habe mein Hobby zum Beruf gemacht“, sagt er heute. Von der Veranstaltung erwartet er einen überparteilichen, offenen Austausch mit jungen Kollegen. Bei einem Workshop soll besprochen werden, ob aus diesem Netzwerk ein Verein oder eine Organisation entsteht, ob der Austausch über WhatsApp oder andere Kanäle geführt wird.
Philipp Wesemann, kurze blonde Haare, schwarzer Anzug, randlose Brille, hat ähnliche Hoffnungen. Man sehe ja an der heutigen Veranstaltung, etwa 40 Bürgermeister sind gekommen, dass der Bedarf da ist. Jungen Kollegen traue man oft weniger zu, weshalb sie auch weniger unterstützt würden. „Man wird als junger Politiker oft in eine Ecke gedrängt.“
Der heute 29-Jährige möchte die jungen Kollegen vor einem Schicksal wie seinem bewahren. Er trat damals als Ortsvereinsvorsitzender in Forst gegen den älteren, stellvertretenden Bürgermeister an und gewann. „Er war wahrscheinlich verärgert und verschiedene Leute dachten sich dann, dem machen wir jetzt das Leben schwer.“ Noch dazu ist der Beruf als Bürgermeister ein Job, den man immer ausüben muss. „Sogar beim Osterspaziergang wird man von Bürgern angesprochen und muss sich dort mit ihren Problemen auseinandersetzen.“
„Ich war einfach nicht mehr ansprechbar"
Das Burn-Out sah Wesemann trotzdem nicht kommen. Bis er an einem Morgen im Dezember zusammenbrach. „Ich war einfach nicht mehr ansprechbar. Ich weiß nicht genau, was da passiert ist. Ich hätte mich nur einen Tag krankschreiben lassen, aber mein Partner hat mich zum Arzt getragen.“ Der diagnostizierte Burn-Out und riet ihm, sofort aus dem Beruf auszusteigen und eine Psychotherapie zu beginnen. Wesemann hörte auf seinen Arzt. Ein Jahr lang arbeitete er nicht, besuchte Therapiesitzungen, wurde unterstützt von Partner, Freunden und Parteimitgliedern und unternahm lange Spaziergänge mit Hund Billy in der Natur. Seit einem Reha-Aufenthalt sei er vollständig geheilt. Während seiner Abwesenheit wurde sein Amt zunächst von der Stellvertreterin weitergeführt, bis Wesemann durch einen Abwahlantrag sein Bürgermeisteramt verlor.
Heute sagt der 29-Jährige, die Krankheit war für ihn eine große Lehre. „Ich habe gelernt, wie man Politik nicht machen sollte. Wenn man gute Politik machen möchte, muss man Kompromisse eingehen. Man darf nicht mit dem Kopf durch die Wand gehen und muss auch auf die Gefühle anderer achten.“ Wesemann hat sich inzwischen selbstständig gemacht und berät Mandatsträger und Bürgermeister. Ein Leben ohne Politik kann er sich gar nicht vorstellen. Aktuell kandidiert er für das Stadtparlament in seiner neuen politischen Heimat Werder an der Havel, langfristig möchte er vielleicht im Brandenburger Landtag sitzen. Doch eine Sache sei ihm wichtiger, als der politische Erfolg: „Ich hoffe, dass ich bis dahin viele Kollegen vor meiner Krankheit bewahren konnte.“
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