Umbenennung der Mohrenstraße: „Man müsste an jedem Straßenschild eine Informationstafel anbringen“
Der Anthropologe Duane Jethro erklärt im Interview, warum sich Vertreter der Humboldt-Universität für eine Umbenennung der Mohrenstraße einsetzen.
Duane Jethro ist Anthropologe am Centre for Anthropological Research on Museums and Heritage des Instituts für Europäische Ethnologie der Humboldt-Universität zu Berlin, das in der Mohrenstraße liegt.
Er ist Mit-Initiator der Nachbarschaftsinitiative Anton Wilhelm Amo-Straße, die mit einem offenen Brief fordert, die Straße umzubenennen und einen „postkolonialen Lern- und Erinnerungsort“ einzurichten.
Die Nachbarschaftsinitiative Anton Wilhelm Amo-Straße spricht sich für die Umbenennung der Mohrenstraße aus. Was stört Sie am bisherigen Namen?
Aus unserer Sicht ist der bisherige Straßenname problematisch, weil er nicht mit unseren Vorstellungen von Diversität zusammenpasst. Mitarbeitende, Studierende und Gäste des Instituts empfinden den Straßennamen als diskriminierend. Das waren die Hauptimpulse, die zur Gründung der Nachbarschaftsinitiative geführt haben.
Dabei ist es wichtig zu wissen, dass die Initiative dem jahrelangen Engagement und den Aktivitäten von Organisationen wie der „Initiative Schwarze Menschen in Deutschland“, „Berlin postkolonial“, und „Each One Teach One“ folgt.
In den vergangenen Wochen haben verschiedene Wissenschaftler und Intellektuelle erklärt, warum der „Mohr“ ein positiver Begriff sei. Er sei ein Eroberer und kein Sklave gewesen, sagte etwa Wolfgang Kaschuba, Kulturwissenschaftler und Geschäftsführender Direktor des Instituts für Europäische Ethnologie an der Humboldt-Universität, im Interview mit dem Tagesspiegel.
Ich respektiere diese Argumente. Doch ich denke, dass wir akzeptieren müssen, dass mit veränderten politischen Gegebenheiten und dem Wandel der Gesellschaft auch Worte ihre Bedeutung verändern. Der Duden, die große Bibel der deutschen Sprache, sagt ganz eindeutig: Das M-Wort gilt heute als diskriminierend.
Wir müssen uns also die Frage stellen: Braucht man wirklich einen Straßennamen, um ein Wort zu verteidigen, das heute als problematisch gilt? Unsere Nachbarschaftsinitiative will die Geschichte des Namens und der Straße aus verschiedenen Perspektiven beleuchten.
Kann man die Vergangenheit überhaupt nach heutigen Maßstäben beurteilen?
Die M-Straße ist nicht wie eine Statue, die einer Person gewidmet ist. Vielmehr zeugt sie davon, wie Menschen aufgrund ihrer Herkunft und ihres Aussehens als „anders“ markiert wurden. Professor Wolfgang Kaschuba fordert, dass man einen Stolperstein haben sollte, anstatt die Straße umzubenennen. Das ist ein guter Vorschlag. Aber vielleicht reicht er nicht aus.
Man müsste an jedem Straßenschild einen Stolperstein oder eine Informationstafel anbringen. Aber darüber hinaus befindet sich der Straßenname nicht nur in Berlin: Auf Briefen des Instituts reist er quer durch Deutschland und um die ganze Welt. Es ist also eine Beleidigung, die weit reist – es gibt keinen Stolperstein und keine Informationstafel, die in diese Art der Verteilung eingreifen können.
Die Initiative hat sich einer bestehenden Forderung angeschlossen und möchte die Straße nach Anton Wilhelm Amo nennen. Warum nach ihm?
Anton Wilhelm Amo war ein Schwarzer Intellektueller, der im 18. Jahrhundert in Deutschland gewirkt hat. Er war hochgebildet und hat Schriften verfasst, die sich mit den Rechten von Schwarzen Menschen in Deutschland beschäftigten, und damit, was es heißt, ein Außenseiter zu sein.
Er hatte eine Verbindung zum afrikanischen Kontinent, auch zum Versklavungshandel. Wenn man an die große deutsche intellektuelle Tradition denkt, dann scheint er eine passende Persönlichkeit zu sein, die man ehren sollte. Auch das Bundesjustizministerium liegt genau in dieser Straße, was für eine wunderbare Gelegenheit wäre es also, jemanden wie den Rechtsgelehrten Amo zu ehren – eine Art Wiederherstellung der historischen Gerechtigkeit.
Die Benennung nach Amo würde auch ein Gefühl der Zugehörigkeit für Afrodeutsche schaffen und öffentlich anerkennen, dass es eine lange afrodiasporische Geschichte in diesem Land gibt.
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Die Nachbarschaftsinitiative fordert einen postkolonialen Ort des Lernens und des Gedenkens. Wie genau soll dieser aussehen?
Wir versuchen, die Nachbarn miteinzubeziehen. Die gesamte Straße soll zu einem Ort der Erinnerung und des Lernens werden. In Berlin gibt es bereits solche verstreuten Denkmäler, etwa im Bayrischen Viertel.
Dort gibt es eine Reihe von Schildern, und zusammen bilden diese Schilder ein Denkmal zur Erinnerung an das jüdische Leben im Bezirk. Bislang gibt es nur erste Überlegungen dazu, wie der Ort des Lernens in der M-Straße tatsächlich aussehen wird.
Wie beziehen Sie die Nachbarschaft mit ein?
Wir werben immer noch um Unterstützung. Etwas mehr als 100 Forscher und Wissenschaftler haben unseren offenen Brief unterzeichnet, das ist großartig. Derzeit bereiten wir uns auf den 21. August vor, an dem wir einen dekolonialen Spaziergang durch die Straße veranstalten werden.
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Was sagen Sie zum missglückten Umbenennungsvorschlag der BVG?
Die Aktion der BVG zeigt, wie wichtig die Arbeit der bereits genannten zivilgesellschaftlichen Organisationen ist. Denn sie beschäftigen sich schon lange mit dem Thema und einem alternativen Namensvorschlag.
Wenn die BVG sich also mit den kolonialen Spuren in der Stadt auseinandersetzen will, sollte sie sich meiner Meinung nach als erstes an diese Organisationen wenden, um von ihnen zu lernen. So könnte sie zum Beispiel im U-Bahnhof Ausstellungsflächen anbringen, die über die Debatte um die M-Straße informieren.
Der Verein „Berlin postkolonial“ hat auch darauf verwiesen, dass die BVG die Station nach Martin Dibobe aus Kamerun, dem ersten Schwarzen U-Bahn-Fahrer der Stadt, benennen könnte. Die BVG könnte also auch in ihre eigene Vergangenheit schauen und an diese erinnern.