Jahreswechsel in Berlin: Macht endlich Schluss mit dem Silvester-Geballer!
Brände, Feinstaub, Verletzte: Berliner Alltag zum Jahreswechsel. Ein Böllerverbot muss her – aber Rot-Rot-Grün kapituliert vor den Pyromanen. Ein Kommentar.
Was den Amerikanern das Recht auf ein heimisches Waffenarsenal, das ist den Deutschen ihr privates Silvesterfeuerwerk. Einmal im Jahr müssen wir es krachen lassen, koste es, was es wolle. Zwischen 100 und 200 Millionen Euro geben wir jährlich für Raketen und Knaller aus, schätzt das Umweltbundesamt.
Das ganze Jahr über reden wir vom Dieselskandal und regen uns über mögliche Fahrverbote in Innenstädten auf, aber in dieser einen Nacht blasen wir deutschlandweit mit explodierender Pyrotechnik 5000 Tonnen Feinstaub in den Himmel. Das sind 17 Prozent der Menge, die der gesamte Straßenverkehr eines Jahres erzeugt. Das ist nicht nur Umweltirrsinn, das ist hirnverbrannt.
1580 Mal rückte die Feuerwehr aus, knapp 400 Brände waren zu löschen
Die Kollateralschäden der vorigen Silvesternacht sind fast vergessen. Zur Erinnerung: Zwischen 18 und 6 Uhr gingen in Berlin 3084 Notrufe ein, 21 Bölleropfer wurden allein im Unfallkrankenhaus Marzahn behandelt, fünf Patienten hatten „schwere Amputationsverletzungen“, die Chirurgen operierten die Nacht durch. 1580 Mal rückte die Feuerwehr aus, knapp 400 Brände waren zu löschen: Mülltonnen, Balkone, Wohnungen, Häuser.
Feuerwehrleute und Polizisten wurden mit Raketen beschossen, mit Böllern beworfen. Es gab 57 Angriffe auf Einsatzfahrzeuge, mehrere verletzte Beamte. „Weitgehend friedlich“ sei diese Silvesternacht verlaufen, bilanzierte die Polizei – schlimmer geht’s anscheinend immer. Das befürchtet auch die Feuerwehr-Gewerkschaft, die in der Silvesternacht gerade Polizeischutz für ihre Einsatzkräfte gefordert hat.
Warum tun wir uns das an? Muss sich die Stadt einmal im Jahr unbedingt in einen Kriegsschauplatz verwandeln? Nein, natürlich nicht. Die Knallerei ist keine Naturgewalt. Wir können sie bezwingen. Es geht auch ohne.
Zum Beispiel in Paris, wo die private Knallerei verboten ist und es stattdessen am Jahreswechsel ein zentrales Feuerwerk am Eiffelturm gibt. Deutsche Städte wie Weimar, Konstanz, Tübingen oder Ravensburg begründen Verbote mit dem Brandschutz in ihren historischen Kernen. In der Düsseldorfer Altstadt, wo traditionell Tausende feiern, ist die Knallerei ebenfalls untersagt – mit dem Hinweis auf zahlreiche Verletzte und Angriffe auf Rettungs- und Sicherheitskräfte in den vergangenen Jahren.
Und in der Hauptstadt? „Berlin wird zur böllerfreien Zone erklärt“, hieß es großspurig in einem Antrag für den SPD-Parteitag im November 2017. Er galt als aussichtslos und wurde erst gar nicht zur Abstimmung gestellt. Jetzt hat Rot-Rot-Grün einen gemeinsamen, sehr bescheidenen Beschluss gefasst: Etwas leiser sollen die Silvesternächte werden. Der Handel soll freiwillig darauf verzichten, die ganz lauten Kracher zu verkaufen, die Bezirke in eng bebauten Kiezen Feuerwerk „mit lauter Knallwirkung“ einschränken dürfen – und der Senat soll über eine Bundesratsinitiative erreichen, dass Feuerwerk nur noch an zwei statt drei Tagen verkauft wird.
Berlin kapituliert vor den privaten Pyromanen. Es bleibt uns auch in den nächsten Jahren wohl nichts weiter übrig, als die Opfer der Silvesternacht zu zählen.