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Eine Passantin mit Mund-Nasen-Bedeckung in der Berliner U-Bahn
© Kay Nietfeld/dpa
Update

Studie zu Corona-Gefahr in der BVG: Lüftung in Bus und Bahn reduziert Aerosolkonzentration deutlich

Die Studienergebnisse über die Aerosol-Ausbreitung in der BVG legen ein geringes Ansteckungsrisiko nahe. Jedoch spielen Fahrzeit und Abstand eine Rolle.

Obwohl Arbeitgeber Angestellten in der Corona-Pandemie das Homeoffice ermöglichen müssen, sind nach wie vor viele Berliner:innen auf die öffentlichen Verkehrsmittel angewiesen. Wie risikoreich es ist, sie zu benutzen, versuchte nun eine gemeinsame Studie der Technischen Universität Berlin (TU) und der Charité zu klären. Sie wurde im Auftrag der BVG durchgeführt.

Die Forscher:innen des Fachgebiets Experimentelle Strömungsmechanik der TU sowie des Labors für Biofluidmechanik der Charité haben dafür die Ausbreitung von Aerosolen in verschiedenen Berliner Transportmitteln untersucht.

"Die Fahrt mit den Öffentlichen in Berlin bleibt auch während der Corona-Pandemie sicher – für Fahrgäste und Fahrpersonal", heißt es in einer gemeinsamen Mitteilung von TU und BVG. Die Ansteckungsgefahr hängt allerdings von mehreren Faktoren ab.

Den Ergebnissen der Forscher zufolge ist die Aerosolkonzentration in den Fahrzeugen der BVG um bis zu 80 Prozent geringer als die Konzentration in einem vergleichbaren, sogenannten Referenzraum.

Die Messungen zeigen den Vergleich mit einem gelüfteten Referenzraum, in dem nach Angaben des Robert Koch-Instituts (RKI) das Ansteckungsrisiko gering sei, erklärten der Leiter des Fachgebiets Experimentelle Strömungsmechanik, Christian Oliver Paschereit, und der Leiter des Labors für Biofluidmechanik der Charité, Ulrich Kertzscher. Bei den Fahrzeugen der BVG liege man 80 Prozent unter der in den Referenzräumen gemessenen Aerosolkonzentration.

Die Forscher nutzten für die Studie ein neues Messverfahren

Insbesondere die Fahrzeuglüftung und das gezielte Öffnen von Fenstern und Türen würde dazu beitragen, die Aerosolkonzentration zu reduzieren, heißt es in der gemeinsamen Mitteilung von TU und BVG. Auf Nachfrage erklärten die Verkehrsbetriebe, es sei zwar vor allem bei älteren U-Bahnen nicht immer möglich, insgesamt würden aber 90 Prozent der Fahrzeuge die Türen automatisch öffnen. Zudem würden die U-Bahnen über eine Durchlüftung verfügen. Diese sei in der jetzigen Situation ein Vorteil, da ständig Fahrtwind von außen in die U-Bahn gelange.

In ihren Versuchen nutzten die Forscher künstlichen Theaternebel für Aerosolmessungen. So sei "virenbehaftete Atemluft" simuliert worden, die menschenähnliche Puppen "einatmeten". Der positive Einfluss von medizinischen Masken wurde im Aufbau nicht berücksichtigt.

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Das angewandte Messverfahren entwickelten die Forscher:innen schon im vergangenen Jahr. Dieses erlaube es, "die von Mensch zu Mensch übertragenen Aerosolmengen in einer bestimmten Umgebung quantitativ exakt zu messen", teilte die TU im Herbst mit. Somit sei zukünftig "die Wahrscheinlichkeit einer Übertragung von Aerosolen mit SARS-CoV-2 in bestimmten Situationen deutlich besser einzuschätzen".

Für den Versuch atmen menschenähnliche Puppen die simulierte virenbehaftete Luft ein.
Für den Versuch atmen menschenähnliche Puppen die simulierte virenbehaftete Luft ein.
© BVG/Oliver Lang

Dafür werden von einer menschenähnlichen Puppe Aerosole ausgestoßen. Weitere Puppen in "definierten Messpositionen" würden dann die Umgebungsluft "einatmen", erklärt die TU das Verfahren. In den Aerosolen befinde sich ein sogenannter Tracer, ein Stoff, dessen Konzentration – stellvertretend für die potenzielle Virenkonzentration – in der eingeatmeten Luft der anderen Puppen mengenmäßig erfasst werden könne.

"Es hat uns sehr gefreut, dass unsere neu entwickelte Messtechnik dazu beitragen konnte, die Ausbreitung von Aerosolen im öffentlichen Nahverkehr und damit das Ansteckungsrisiko mit SARS-CoV-2 zu beurteilen", sagte der Leiter des Fachgebiets Experimentelle Strömungsmechanik, Christian Oliver Paschereit, in der Mitteilung zur Studie.

Referenzraum ist für Ergebnisse entscheidend

Tatsächlich scheint der Referenzraum entscheidend bei der Frage, wie hoch oder niedrig das Ansteckungsrisiko in öffentlichen Verkehrsmitteln im Vergleich ist. Auf Nachfrage erklärten Christian Oliver Paschereit von der TU und Ulrich Kertzscher von der Charité, das Risiko einer Ansteckung lasse sich zurzeit nur "relativ zu Referenzsituationen darstellen", da aus der virologischen Forschung nicht bekannt sei, wie viele Viren zu einer Erkrankung führen. Da die Aerosolkonzentration in den Fahrzeugen aber 80 Prozent unter der eines gelüfteten Referenzraumes liege, sei das Risiko hier gering.

Als Beispiel für einen solchen Referenzraum wird in ein mittelgroßer Konferenzraum genannt, da dieser in etwa dem Volumen eines Busses entspreche.

Für den Versuch nutzten die Forscher künstlichen Theaternebel.
Für den Versuch nutzten die Forscher künstlichen Theaternebel.
© BVG/Oliver Lang

Das Risiko hängt aber auch von weiteren Faktoren ab. So beziehen sich die Forscher auf eine durchschnittliche Fahrzeit in der Berliner U-Bahn von zehn Minuten. Verbringen eine erkrankte Person und andere Fahrgäste aber eine längere Zeit zusammen, steigt auch das Risiko zur Ansteckung, erklären die beiden Forscher. Wenn man also beispielsweise mit der U5 eine halbe Stunde von Hellersdorf zum Alexanderplatz pendelt, ist das Risiko einer Ansteckung höher.

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Auch der Abstand zu anderen Fahrgästen spielt eine Rolle. In der Mitteilung heißt es, aufgrund der geringeren Nachfrage bei vollem Angebot gebe es besonders viel Platz in den Fahrzeugen. Den Forschern zufolge wurden in der Studie Abstände von einem halben bis drei Metern untersucht. Mit zunehmender Nähe würden auch die Aerosolkonzentration und das Ansteckungsrisiko steigen.

Insgesamt sind zurzeit nur etwa 50 Prozent der Fahrgäste gegenüber der Zeit vor der Pandemie unterwegs, hieß es von der BVG. Zwar gebe es je nach Uhrzeit mal mehr und mal weniger Fahrgäste, doch klassische Spitzenzeiten ließen sich aufgrund der wenigen Fahrgäste nicht mehr ausmachen.

Ab 3. Mai dürfen Passagiere in Bussen vorne einsteigen, wie die Verkehrsbetriebe am Montag bekanntgaben. Die Fahrerhäuschen sind nun mit Trennscheiben ausgestattet.

Nicolas Lepartz

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