Plötzlicher Anstieg von Migranten aus Moldau: Lockt Berlin mit Bargeld Asylbewerber an?
Die Zahl der Asylbewerber aus Moldau steigt rasant, ihre Anträge werden aber abgelehnt. Das Innenministerium warnt vor Asylmissbrauch und Schleuserkriminalität.
Weil die Zahl der Asylbewerber aus Moldau in den vergangenen Monaten in Berlin rasant gestiegen ist, warnen das Union-geführte Bundesinnenministerium und die CDU-Fraktion im Berliner Abgeordnetenhaus vor Asylmissbrauch. Dabei weiß niemand so richtig, was da eigentlich geschieht: Der Verdacht auf Schleuserkriminalität und des systematischen Leistungsmissbrauchs steht im Raum.
CDU-Fraktionschef Burkard Dregger erhebt sogar einen Untreuevorwurf gegen Integrationssenatorin Elke Breitenbach (Linke). Und das, weil Berlin in der Corona-Pandemie von den Vorgaben abwich und Versorgungsgeld an Moldauer statt für einen für drei Monate ausgezahlt hat. Am Montag befasste sich auch der Innenausschuss des Abgeordnetenhauses mit dem Problem.
Damit macht die CDU kurz vor der Abgeordnetenhauswahl in der Flüchtlingspolitik auch einen Jahrzehnte alten Streit wieder auf. Sollten Sachleistungen – Nahrung, Essen, Pflege – nicht ausreichen für Menschen, die sowieso wieder ausreisen müssen oder abgeschoben werden? Oder schafft die rot-rot-grüne Koalition, hier vor allem die Linke, durch Geldzahlungen unnötig Anreize für Wirtschaftsflüchtlinge, die das auch noch ausnutzen – auf Kosten der Steuerzahler?
Auslöser für die Debatte waren im August die Zustände im Ankunftszentrum für Asylbewerber im Berliner Ortsteil Wittenau, auf dem Areal der Bonhoeffer-Nervenklinik. Wobei nicht ganz klar ist, ob die dort gefundenen Spritzenverpackungen oder Spritzenbestecke für Heroin und Crack von Moldauern stammen. Auf dem Gelände habe sich in den warmen Sommermonaten auch anderes Publikum getummelt, heißt es von Breitenbachs Sozialverwaltung.
In einem Vermerk von Mitarbeitern des Landesamts für Flüchtlingsangelegenheiten (LAF), über den der RBB berichtet hat, stand aber auch: „Große Familien aus Moldau, die nicht selten aus 10 Personen bestehen, erhalten am ersten Tag (…) bis zu 4500 Euro in bar. Die Freude darüber ist enorm und es wird umgehend jeder Bekannte kontaktiert, um darüber zu berichten.“ Berichtet wird auch davon, dass Fahrzeuge mit polnischen oder litauischen EU-Kennzeichen die Moldauer in Berlin absetzten. Teils sollen Moldauer bereits in anderen EU-Staaten wie Frankreich Asylanträge gestellt haben.
Geht es also um gezielte Abzocke von Sozialleistungen? Die Zahlen sind zumindest eindeutig. Auch das Bundesinnenministerium beruft sich drauf. Staatssekretär Helmut Teichmann schickte deshalb Ende August einen Brief an Breitenbach. Darin ist von einer Zunahme der Zahl der Asylbewerber aus Moldau um 367 Prozent im zweiten Quartal 2021 die Rede, aber auch von gesellschaftlicher Akzeptanz für Flüchtlinge: Dabei dürfe „in keiner Weise“ „der Missbrauch unseres Asylsystems durch nicht schutzbedürftige Migranten (…) unterschätzt werden“.
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Teichmann spielt darauf an, dass Berlin Geldleistungen für drei Monate statt für einen Monat, wie es das Gesetz vorsieht, ausgezahlt hat. Der Mann, Jahrgang 1959, hat sich im Bundesinnenministerium von ganz unten nach ganz oben vorgearbeitet: Erst Polizist in Nordrhein-Westfalen, Jurastudium, dann Mitarbeiter im Innenministerium, dort zuständiger Referatsleiter für organisierte Kriminalität, für Auslandsmissionen, für die Fachaufsicht über das Bundeskriminalamt (BKA), dann Chef des Leitungstabes, 2012 war er sogar im Gespräch als BKA-Chef und – bis er 2018 Staatssekretär wurde – zuständiger Abteilungsleiter für die Bundespolizei. Teichmann ist – bei innerer Sicherheit – vom Fach.
Der Staatssekretär schreibt in seinem Brief an Berlins Integrationssenatorin Breitenbach von einer „problematischen Entwicklung irregulärer Migration aus der Republik Moldau“. Alle beteiligten Stellen in Bund und Ländern seien sich „der hohen Bedeutung der Bekämpfung von Asyl- und Leistungsmissbrauch bewusst“.
Das Bundesinnenministerium arbeite „nachdrücklich daran, alle Formen von Asylmissbrauch und Schleusungskriminalität zu bekämpfen“. Zugleich warnt Teichmann davor, dass „die Profite der Schleuser erhöht werden“. Die vom Land Berlin für drei Monate vorgesehenen Vorauszahlungen von Geldleistungen seien „prädestiniert, eine ungewollte Attraktion auf nicht schutzbedürftige Migranten und organisierte Schleuserbanden auszuüben“.
Tatsächlich ist die Zahl der Asylbewerber aus Moldau in Berlin im Sommer rapide gestiegen – obwohl Asylanträge von Moldauern nicht positiv beschieden werden. Im April waren es bundesweit 140 Anträge, im August schon 951 von Menschen aus Moldau. Von Januar bis August weist die Statistik des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (BAMF) insgesamt 2622 Anträge von Moldauern aus. Sie haben keine Chance als Asylbewerber anerkannt zu werden.
Es fehlt nach geltender Rechtslage ein Asylgrund
„Im Zeitraum Januar bis August 2021 wurden bundesweit 2255 Entscheidungen über Asylanträge von Asylantragstellenden aus Moldau getroffen“, teilte das BAMF dem Tagesspiegel mit. „Dabei kam es in keinem Verfahren zu einer Schutzgewährung.“
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Es fehlt nach geltender Rechtslage einfach ein Asylgrund: Nach Einschätzung der Bundesregierung, so heißt es aus Regierungskreisen, gebe es weder gezielte staatliche Repression, noch Repression von andere Stellen wegen Religion, Nationalität, politischer Meinung oder Zugehörigkeit zu einer sozialen oder ethnischen Gruppe. Aber die Bundesregierung spricht auch von einer schwierigen wirtschaftlichen und sozialen Lage in Moldau, dem Armenhaus Europas, und das führe zu starkem Migrationsdruck.
Hohe Zahl an Folgeanträgen – zuständig ist Berlin
Um den sommerlichen Ansturm von Asylanträgen von Moldauern zu minimieren, sind zwischen der Bundesrepublik und Moldau bereits 2018 „Gespräche auf höchster Ebene“ geführt worden über „Möglichkeiten und Maßnahmen zur Eindämmung irregulärer Migration“.
Wie es zu dieser kommt, darüber rätseln aber selbst die Experten: Über die Flüchtlingsströme aus Afghanistan, über die Routen wüssten die Behörden viel – aber was mit Moldau los ist, darüber gibt es nur Mutmaßungen, sagte ein hoher Beamter dem Tagesspiegel. Dazu gehört auch der Vorwurf, dass Berlin Moldauer geradezu anlocke, weil sie hier recht einfach Geldleistungen für Asylbewerber abgreifen könnten – in bar.
Tatsächlich ist die Lage vielschichtiger. Die meisten der Moldauer werden zunächst in Berlin registriert. Von Juni bis August waren es bundesweit knapp 1900, allein auf Berlin entfielen dabei 1750, knapp 1000 davon haben einen Folgeantrag gestellt. Sie hatten demnach also schon mal einen Asylantrag gestellt, der abgelehnt worden war. Ihren Folgeantrag müssen sie, auch Jahre später, in dem Bundesland stellen, in dem der Erstantrag bearbeitet worden ist. Da Berlin bis 2017 allein für die Erstaufnahme von Migranten aus Moldau zuständig war, ist hier auch die Zahl der Folgeanträge so groß.
Inzwischen sind auch Bayern und Niedersachsen für die Erstaufnahmen von Moldauern mit zuständig, doch dort kommen nur die wenigsten zuerst an. In den Behörden wird etwa auf Bayerns Ankerzentren verwiesen, die Anreize für Migranten seien gering.
Wer ankommt, werde registriert und bleibe dann im Ankerzentrum, bis der Antrag abgelehnt wurde – und die Moldauer ausreisen müssen. Es werden Sachleistungen gewährt, es gibt aber auch ein monatliches Taschengeld. Nach dem Gesetz dient es dem notwendigen persönlichen Bedarf – dazu zählt auch gesellschaftliche Teilhabe, die Pflege sozialer Beziehungen. Und sei es über das Handy.
„Die durchschnittliche Jahresverfahrensdauer liegt aktuell bei 1,2 Monaten“
Dieses Geld gibt es auch in Berlin, aber die 146 Euro Taschengeld pro Monat sind in der Corona-Pandemie nicht wie im Gesetz vorgeschrieben nur für einen Monat, sondern für drei Monate im Voraus ausgezahlt worden. Die CDU vermutet, dass es die Moldauer nur wegen der Berliner Umstände hierher zieht – und weil sie leicht Geld bekommen.
Berlin hat auch kein solches Ankerzentrum wie die Bayern. Die Moldauer kommen in Berlin zunächst in die Erstunterkunft, bekommen Verpflegung, ein Bett. In der Pandemie bekamen sie für drei Monate Taschengeld im Voraus – also 438 Euro pro Person. Wenn sie in eine Gemeinschaftsunterkunft kommen, in der sie sich selbst verpflegen müssen, beträgt der Monatssatz 328 Euro.
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Ein Umstand, der für die Lockwirkung spricht: Die Asylbewerber, deren Anträge keinerlei Aussicht auf Erfolg haben, bekommen das Geld für drei Monate, obwohl die Bearbeitung der Anträge viel kürzer ist, die Ausreise zumeist vor Ablauf der drei Monate angeordnet wird. „Die durchschnittliche Jahresverfahrensdauer von der Antragstellung bis zur Entscheidung für Erst- und Folgeanträge von Staatsangehörigen der Republik Moldau liegt aktuell bei 1,2 Monaten“, teilte das BAMF mit. Im Schnitt aller Verfahren und Herkunftsländer dauert es deutlich länger – aktuell drei Monate.
Der Innenausschuss befasste sich nun am Montag mit einem Antrag der CDU-Fraktion, neben Innensenator Andreas Geisel (SPD) war auch Senatorin Breitenbach erschienen. Kern des Antrags: Rückkehr zu Sachleistungen, Geldzahlungen nur noch für maximal einen Monat und die Unterbringung der Flüchtlinge in Erstaufnahmeeinrichtungen – bis zu ihrer Abschiebung.
„Es ist offensichtlich, dass die Auszahlung von Geld- statt Sachleistungen in der Verantwortung von Sozialsenatorin Breitenbach falsche Anreize für Asylbewerber aus Moldau setzt und die steigenden Antragstellerzahlen erklärt“, sagt CDU-Fraktionschef Burkard Dregger. Die Zahlung des Taschengeldes für drei Monate sei ein Verstoß gegen das Asylbewerberleistungsgesetz. „Die von der Sozialsenatorin fortgesetzte rechtswidrige Praxis begründet den Anfangsverdacht der Untreue und bedarf der Überprüfung.“
Breitenbach selbst verweist auf ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts. Das hatte auf 2012 darauf hingewiesen, dass jeder Asylbewerber Anspruch auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums hat.
Und es entschied: „Migrationspolitische Erwägungen, die Leistungen an Asylbewerber und Flüchtlinge niedrig zu halten, um Anreize für Wanderungsbewegungen durch ein im internationalen Vergleich eventuell hohes Leistungsniveau zu vermeiden, können von vornherein kein Absenken des Leistungsstandards unter das physische und soziokulturelle Existenzminimum rechtfertigen.“ Heißt im Klartext: Ein Herumschrauben an den Geldern, die Asylbewerbern zustehen, nur um deren Zuflucht nach Deutschland zu verhindern, ist nicht zulässig.
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Breitenbach sagte dem Tagesspiegel, sie habe die Innenverwaltung über die Hinweise auf mögliche Schleuserkriminalität und systematische Erschleichung von Sozialleistungen informiert. Doch die Behörden selbst haben dazu bislang kaum Erkenntnisse.
Hinter vorgehaltener Hand sprechen Behördenmitarbeiter davon, dass es Menschen seien, die versuchten zu überleben, die nicht einmal unglücklich seien, wenn der Asylantrag abgelehnt worden sei. Allein die Chance auf drei Monate Leben ohne – für moldauische Verhältnisse – Armut sei für sie ein Gewinn.
Innensenator Geisel sagte: "Die Republik Moldau gehört nicht zu unseren Problemländern". Mit Moldau bestünden bilaterale und europäische Rücknahmeübereinkommen. Sogenannte Rückführungen von abgelehnten Asylbewerbern nach Moldau „finden regelmäßig und zuverlässig statt“ – und seien bereits sichergestellt. Zudem würden die abgelehnten Asylbewerber auch freiwillig wieder ausreisen. Moldau stehe auf der Liste der Herkunftsstaaten bei freiwilliger Ausreise unter den Top 10.
Auch in der Flüchtlingskrise 2015 wurde für drei Monate ausgezahlt
„Wir haben uns in Berlin für eine Willkommenskultur entschieden. Das Sachleistungsprinzip ist teuer, bürokratisch und macht den Menschen das Leben schwer“, sagt Breitenbach. „Die Menschen in Moldau befinden sich in einer elenden Lebenssituation, der versuchen sie zu entgehen. Jeder Antrag muss geprüft werden.“ Der Brief aus dem Bundesinnenministerium sei „übergriffig“. Auch die Zahlung des Taschengeldes für drei Monate sei – entgegen der Behauptung der CDU – zulässig.
„Wir waren 2020 wegen der Corona-Pandemie dazu übergegangen, die Geldleistungen an Menschen, die kein deutsches Konto haben, für drei Monate im Voraus auszuzahlen“, sagt Breitenbach. Es sei darum gegangen, die Vorgänge im Landesflüchtlingsamt zu entzerren, die Behörde trotz Pandemie und im Gegensatz zu den Jobcentern offen zu halten. Jetzt werden diese „Ausnahmeregelung allmählich wieder zurückzufahren“, Berlin werde nun wieder „zu einer monatlichen Auszahlung zurückkehren“.
Und zum Untreuevorwurf, weil in Berlin für drei statt nur für einen Monaten Geld ausgezahlt wurde, verweist Breitenbach auf die sogenannte Flüchtlingskrise in den Jahren 2015 und 2016. Auch damals sei die Zahlung wegen des Ansturms auf drei Monate verlängert worden. Zuständig als Sozialsenator war damals Mario Czaja – von der CDU.