„Man muss jeden Zentimeter sofort besetzen“: Literaturnobelpreisträgerin solidarisiert sich mit Berliner Linksautonomen
Elfriede Jelinek will Projekte wie die „Liebig 34“ erhalten wissen. Auch Nina Hagen, Leander Haußmann und René Pollesch unterzeichnen den Aufruf, der heute vorgestellt wird.
Rund 70 promintente Persönlichkeiten aus Kunst und Kultur sollen sich zu einer Kampagne zur Unterstützung bedrohter alternativer und linksautonomer Projekte in Berlin bekannt haben. Darunter die österreichische Schriftstellerin Elfriede Jelinek, die 2004 den Literaturnobelpreis verliehen bekam.
„Ich unterstütze schon aus hygienischen Gründen solche Initiativen immer. Man muss jedes Schlupfloch sofort besetzen, jeden Zentimeter, den ein gieriger Kapitalismus einen Augenblick lang unbeobachtet lässt“, sagte Jelinek dem Tagesspiegel auf Nachfrage. „Die Machtlosen, die auch nur eine Lücke im System erobern konnten, bekommen grundsätzlich meine Unterstützung, denn mehr als Lücken sind es ja nur selten, die ihnen in ihren prekären, gefährdeten Lebenssituationen geboten werden.“
Das sogenannte „anarcha-queer-feministische“ Hausprojekt „Liebig 34“ in Friedrichshain habe ihre „volle Solidarität“, so Jelinek. Eine Stadt wie Berlin könne „ihren Ruf als Heimstätte von (auch und gerade alternativer!) Kunst und Kultur nicht länger auf Kosten der vielen, die ihre Werke oft unter Entbehrungen hervorbringen, stolz vor sich hertragen und in Fremdenverkehrsprospekten damit angeben. Sonst wird man ihr hinterherschreien, und zwar nichts Freundliches.“
„Kein Haus weniger“ heißt das Projekt, das sich für den Fortbestand alternativer Haus- und Kulturprojekte einsetzt. Denn ohne diese, so heißt es auf der Website der Initiative, sei „Berlin nur noch die Stadt, in der mal die Mauer stand“. 140 Projekte und Organisationen stehen auf der Liste von „Kein Haus weniger“, für die sich die prominenten Unterstützer einsetzen.
Auch Nina Hagen gehört zu den Unterstützern
Darunter, neben der „Liebig 34“ nahe der Rigaer Straße, von Verdrängung bedrohte Projekte wie die Jugendzentren Potse und Drugstore, die Neuköllner Kneipe Syndikat, die Clubs Sage/KitKat und die Griessmühle. Oder auch der Wagenplatz „Sabotgarden“, der ein Gelände an der Rummelsburger Bucht besetzt hat. Hinzu kommen Gemeinschaftsgärten wie „Prachttomate“ in Neukölln oder das Nachbarschaftszentrum „Regenbogenfabrik“ in der Lausitzer Straße.
Die Liste der Unterstützer für die alternativen Projekte will „Kein Haus weniger“ am Montag im Gartenhaus des Berliner Ensembles verkünden. Nach Tagesspiegel-Informationen zählen dazu unter anderem Nina Hagen, Thomas Oberender, Donna Haraway, Didier Eribon, Leander Haußmann, Milo Rau und weitere.
„Wenn die Stadt so weitermacht, werde ich wieder Kommunist“
Der Film- und Theaterregisseur Haußmann sagte dem Tagesspiegel: „Alles haben wir verloren: das Tacheles und den gesamten Prenzlauer Berg. Es kann nicht sein, dass wir zu DDR-Zeiten Häuser besetzt haben und von der Staatsmacht in Ruhe gelassen wurden – und heute werden diese Projekte bedrängt und verdrängt.“ So, wie es bei der Liebig34 sei. Es gehe ihm langsam auf den Sack, wie die Stadt Berlin mit diesen alternativen Hausprojekten umgehe. Solche Projekte würden zu Berlin gehören, müssten geschützt werden. „Wenn die Stadt so weitermacht, werde ich wieder Kommunist“, so Haußmann. „Dann muss man sagen, Marx hatte Recht.“ Dort, wo einst das Künstlerhaus Tacheles in Berlin-Mitte stand, entsteht ein Stadtquartier mit Lokalen, Einzelhandel, Büros und 275 Eigentumswohnungen.
Zahlreichen Projekten in Berlin droht derzeit ein ähnliches Ende. Auf der Website von „Kein Haus weniger“ heißt es: „Dass immer mehr Projekte auf die Straße gesetzt werden sollen, werden wir nicht akzeptieren.“ Stadtmarketing und Immobilienkonzerne würden sich der Berliner Subkultur für den Verkauf eines rebellischen Images bedienen. „Aber wir sind nicht die Fassade eures Verwertungsmarktes.“
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Thomas Oberender, Autor und Dramaturg, sagte: „Ich kann nicht Taylor Mac zu den Berliner Festspielen einladen und zuschauen, wenn das queer-feministische Kollektiv in der Liebig 34 geräumt werden soll.“
Theaterregisseur René Pollesch hatte bereits zuvor seine Unterstützung bekundet. Er ließ die Hausbesetzer der „Liebig 34“ vor der Premiere seines Stücks „(Life on earth can be sweet) Donna“ im Deutschen Theater in Berlin demonstrieren.
„Die Frage ist, wie man Gewalt definiert“
Die Bewohnerinnen des Hausprojekts „Liebig 34“ haben vor Gericht nur noch wenig Chancen, in dem Haus bleiben zu können. Der Eigentümer des Gebäudes, die Immobiliengruppe Padovicz, hatte eine Räumungsklage eingereicht. 2018 endete der auf zehn Jahre befristete Gewerbemietvertrag, den der Bewohnerinnenverein mit dem Hausbesitzer abgeschlossen hatte. Seitdem weigern sich die Bewohnerinnen und Bewohner auszuziehen und kündigten Widerstand an. Ein erster Prozesstermin musste unterbrochen werden, nachdem Aktivistinnen den Saal gestürmt hatten. Der Nachholtermin wurde erneut verschoben. In der Liebig 34 leben, nach Eigenauskunft, „Gender-Identitäten kollektiv und ohne Cis-Männer zusammen“.
Die Rigaer Straße in Berlin-Friedrichshain, an der auch das Grundstück der Liebigstraße 34 angrenzt, ist ein Hotspot der linksextremen Szene in Berlin. Regelmäßig kommt es dort zu gewaltsamen Auseinandersetzungen mit der Polizei. Im Interview mit dem Tagesspiegel sagen einige Hausbesetzter, die Frage sei, wie man Gewalt definiere.