Berliner Gastronomie: Liebe Kellner, euer Englisch nervt!
"Hello, how are you?" ist die Standardbegrüßung in immer mehr Berliner Lokalen. Klingt weltläufig und integrierend, grenzt aber Menschen aus. Bin ich reaktionär, wenn ich auf Deutsch bestellen will?
Die ganze Woche im Hamsterrad der Erwerbstätigkeit gestrampelt, nur am Sonntag, wo sogar Gott nichts mehr hingefummelt hat, da mache ich einfach mal nichts. Musik an, Kopf aus – geplantes geistiges Dahinsiechen. Das Problem: Offenbar hatte ich das auch schon am Samstag gemacht. Der Kühlschrank ist leer. Ich Vollidiot.
Also raus, was Schönes machen, Frühstücken gehen. In der Flughafenstraße gibt es seit gut einem Jahr ein französisches Restaurant, das am Wochenende auch Frühstück anbietet. Eine Gastrokritikerin der „Berliner Zeitung“ gerät ins Schwärmen: Dieser Franzose, schreibt sie, mache total „appy“.
Man hätte da jetzt also durchaus vorgewarnt sein können.
Aber so schlimm kann’s ja nicht werden, denke ich. Tür auf, sogar direkt einen Platz bekommen, sieh mal an. Bloß eine Speisekarte gibt es nicht, egal, dann erst mal Kaffee. Die Bedienung kommt – und mit ihr die Ernüchterung. „Hello, how are you?“ Ernsthaft?
Die schlimmste Begrüßungsfloskel aller Zeiten
Es ist, man muss das so deutlich sagen, die schlimmste Begrüßungsfloskel aller Sprachen und Zeiten. Grundsätzlich dem dämlichen deutschen „Wie geht’s?“ nicht unähnlich, aber durch die einerseits vertraute, andererseits fremdsprachliche Tonalität entfaltet die Gesprächseröffnung erst im Englischen ihre ganze Schlechtigkeit. Auf einen nüchternen Sonntagmorgenmagen nicht hinzunehmen. Ade, Wochenendgelassenheit – das hier ist das Gentrifizierungs-Game, einmal komplett durchgespielt, inklusive aller Bonuslevel. Da sitzt man in der Flughafenstraße, in Neuköllns Trödeldreieck, zwischen imposanten Sperrmüllbergen und eingefrorenen Kotzepfützen, in einem französischen Café, und alle vier Bedienungen sprechen Englisch. Entschuldigung, hat hier auch jemand die Landessprache drauf? No, sorry.
Hier bilden sich gefährliche Parallelgesellschaften von Wirtschaftsflüchtlingen aus den USA, gegen die vorgegangen werden sollte.
schreibt NutzerIn cutterhead
Ich finde es richtig, dass Menschen, die neu in der Stadt oder im Land sind und die Sprache noch nicht so gut beherrschen, die Möglichkeit haben, zum Beispiel in einem Café zu jobben. Das befähigt sie, am Leben teilzunehmen, ein bisschen Kohle zu verdienen, allmählich heimisch zu werden. Wenn aber von vier Angestellten im Service eines Lokals niemand mehr Deutsch beherrscht, verkehrt sich das vermeintlich Integrierende in sein Gegenteil: Was dabei hilft, die eine Personengruppe miteinzuschließen, wird so zum Bumerang, der die andere ausschließt. So wenig man jemandem einen Vorwurf daraus machen kann, dass er oder sie noch nicht so gut oder gar nicht Deutsch spricht, so wenig sollte man vom Berliner Leben ausgeschlossen werden, weil man die englische Sprache nicht so gut beherrscht.
Und wer jetzt denkt: Englisch, das kann doch jeder, dem rate ich, einmal aus der eigenen Filterblase herauszutreten – oder einfach mal wieder bei Oma anzurufen.
Englisch spricht jeder? Verlasst mal eure Filterblase!
Im französischen Café sitzt zwar nicht meine Oma neben mir, aber meine Freundin. Die hatte Russisch als erste Fremdsprache und kann mit Englisch nur bedingt etwas anfangen. Sie fühlt sich unwohl. Nicht nur, weil niemand im Café Deutsch spricht, sondern weil es auch keine Speisekarte gibt, an der sie sich orientieren könnte. Die Kellner stellen die Gerichte nur mündlich vor – auf Englisch.
Einfach Französisch sprechen. "Café au lait et un croissant s'il vous plaît." Wenn der arme Engländer dann immer noch rumsteht und nix versteht: Kippe in Mund, anzünden, "vite, vite, Garçon" murmeln und ihn dann ignorieren. […] Französisches Frühstück eben mit Pariser Charme.
schreibt NutzerIn lionfood
Weitere Gäste tauchen auf, zwei junge Frauen mit Kopftuch. Unschlüssig stehen sie im Raum herum. Als einer der Kellner auf sie zukommt, unterhalten sie sich kurz – oder probieren es zumindest. Auch hier: Sprachbarriere. Die beiden gehen wieder.
Vielleicht liegt es an meiner eigenen Kleingeistigkeit, dass mich diese Entwicklung stört, womöglich bin ich mit Anfang 30 schon ein Ewiggestriger. Den Eindruck bekomme ich jedenfalls, wenn ich mich mit meiner Tante – born and raised in Neukölln – unterhalte. Ihr Tipp für mich: Einfach weiter Deutsch sprechen, tandemmäßig, so lernen beide vielleicht noch was dabei. Wenn es allzu doll wird, das Absurde einfach ins Lächerliche ziehen und noch ein paar Brocken Russisch einwerfen. Verhungern wird man schon nicht, und am Ende passiert vielleicht etwas Schönes, Witziges, Aufregendes. Unaufgeregter als meine Tante, denke ich, kann man diese Stadt nicht zusammenfassen.
Dieser Text erschien als Rant im Tagesspiegel-Samstagsmagazin Mehr Berlin.