Wie das Immunsystem funktioniert: Lernfähige Spezialtruppen
Ein ausgeklügelter Verteidigungsmechanismus sorgt dafür, dass Viren im Körper aufgespürt und bekämpft werden.
Der Mensch lebt in einer Welt von Feinden, unsichtbar winzig, aber gefährlich. Pilze wollen es sich in unserem Körper gemütlich machen und als Parasiten leben. Viren dringen in unsere Zellen ein, um sich fortzupflanzen. Und Bakterien machen uns durch ihre schiere Fresslust krank. Deshalb erfand die Evolution einen ausgeklügelten Verteidigungsmechanismus, der die Keime auf Distanz hält: das Immunsystem.
Unsere Abwehr besteht aus zwei Teilen, dem angeborenen und dem erworbenen Immunsystem. Das angeborene ist von Anfang an im Körper aktiv. „Sie ist entwicklungsgeschichtlich älter und von der Geburt an aktiv“, sagt Hans-Dieter Volk, Direktor des Instituts für Medizinische Immunologie der Charité. Die dazu gehörenden Abwehrzellen unterscheiden Freund und Feind nach einem unveränderlichen, einfachen biochemischen Grundmuster. Sie müssen nicht erst angelernt werden, können sofort losschlagen. Aber sie können auch nicht dazulernen, deshalb entschlüpfen ihnen viele Feinde.
Die Spezialtruppen der spezifischen Immunabwehr dagegen sind lernfähig, merken sich bestimmte Merkmale des Feindes, was sie viel effektiver macht. Es entstanden im Laufe der Evolution neue Abwehrzellen, die lern- und erinnerungsfähig sind. Da es das spezifische Immunsystem im Laufe des Lebens mit immer neuen Krankheitskeimen zu tun bekommt, entwickelt es für jeden die passenden Abwehrfaktoren. „Dazu stehen diesen Zellen fast unendliche Möglichkeiten der Synthese von passenden Gegenmitteln zu allen denkbaren Fremdstoffen zur Verfügung“, sagt Volk. „Sie können sich sogar an nichtnatürliche Fremdstoffe anpassen, die aus dem Labor stammen.“ Hatten sie einmal mit einem Erreger Kontakt, erinnern sie sich beim nächsten Mal daran, können dann schneller und besser reagieren – auch gegen das Coronavirus. Und genau deshalb ist das spezifische Immunsystem für die Forscher, die jetzt den Nutzen von Blutplasmaspenden bei der Behandlung von Covid-19 testen, so interessant. Um das zu verstehen, ist ein kurzer Ausflug in die Funktionsweise und Hauptbestandteile unseres Immunsystems nötig.
KILLERZELLEN
Dieser Name ist tatsächlich ein medizinischer Fachbegriff – und treffend gewählt. Denn diese Zellen haben tatsächlich den Zweck, zu töten. Und zwar nicht etwa in den Körper eingedrungene Erreger, sondern eigene Zellen, die vom Virus infiziert wurden. Die befallenen Zellen werden mit einem Botenstoff dazu gebracht, abzusterben. In der Regel können die Killerzellen gesunde von kranken Zellen anhand von chemischen Merkmalen an deren Oberfläche unterscheiden. Besonders differenziert sind sie dabei aber nicht, denn die Killerzellen gehören zum angeborenen Immunsystem: Jede kranke Zelle wird zum Absterben gebracht, egal mit welchem Virus sie infiziert ist. Und manchmal übertreiben die Killerzellen es und greifen auch gesunde Zellen an.
DENDRITISCHE ZELLEN
Sie sind quasi die Alarmläufer der spezifischen Immunabwehr. Haben sie einen Feind erwischt, verschlingen sie ihn. Nehmen sie gleichzeitig ein chemisches Alarmsignal wahr, das auf absterbendes Gewebe hinweist, eilen sie mit den Bestandteilen des überwältigten Gegners im Leib zum nächsten Lymphknoten. Dort aktivieren sie die T-Lymphozyten, die diesen Feind schon kennen. Das tun sie, in dem sie dessen Eiweißbruchstücke – das Antigen – präsentieren. Sie sind damit sehr effektiv: Eine dendritische Zelle genügt, um 100 bis 3000 zum Antigen passende T-Zellen (T-Lymphozyten) zu aktivieren.
T-ZELLEN
Auch sie erkennen wie die Killerzellen kranke Zellen – allerdings sehr viel spezifischer. Ist eine körpereigene Zelle mit einem Virus infiziert, erkennen das die T-Lymphozyten anhand der für den Keim typischen Signatur. Sie docken an und zwingen die befallene Zelle zur Selbstentleibung. Haben sich die T-Zellen einmal erfolgreich mit einem Erreger geschlagen, merken sie sich dessen Signatur. Dann werden sie T-Gedächtniszellen genannt. Kommt es zur erneuten Infektion mit dem gleichen Erreger, sind sie viel schneller und in höherer Zahl zur Stelle.
T-HELFERZELLEN
Die Helferzellen könnten auch Koordinierungsstellen heißen. Denn sie steuern die spezifische Immunantwort. Zunächst erkennen sie, dass da gerade ein Angriff läuft, weil ihnen unter anderem die dendritischen Zellen die Reste der verdauten Feinde präsentieren. Diese Antigene genannten Bestandteile animieren die Helferzellen, sich zu teilen und Botenstoffe freizusetzen. Es gibt zwei Botenstoffe: Die der einen Helferzell-Gruppe verstärken die Immunreaktion, die der anderen kommunizieren mit den B-Zellen, die daraufhin mit der Produktion von passenden Antikörpern beginnen. Das sind quasi die Paintballs des Immunsystems, mit denen die Feinde markiert werden. Nicht abwaschbar!
B-ZELLEN (PLASMAZELLEN)
B-Zellen sind vor allem in Mandeln, Milz und Lymphknoten aktiv, aber auch im Blut. Sie können sich in sogenannte Plasmazellen teilen: Fabriken für Antikörper. Diese haben Eiweißbausteine zur Verfügung, die milliardenfache Kombinationsmöglichkeiten hergeben. Haben sie erst einmal die Produktion hochgefahren, sind sie in der Lage, pro Stunde etwa 120 000 Antikörper loszuschicken, die Viren und andere Erreger, aber auch Krebszellen markieren und bekämpfen. Und sie produzieren immer weiter die gleichen Antikörper. Das bedeutet, dass im Blut ständig Antikörper zu allen Infektionen kreisen, die das Individuum in seinem bisherigen Leben durchlaufen hat.
ANTIKÖRPER
Antikörper (Immunglobuline) sind Eiweiße, die von der Form her einem Ypsilon ähneln. Die Antikörper-Eiweiße setzen sich mit der Gabelung ihrer Y-Form voran auf den Erreger oder die Krebszelle, sodass er wie mit einer Fahne markiert ist. Damit wird er von den T-Zellen besser erkannt und schließlich vernichtet. Und Antikörper fungieren auf zweierlei Weise auch selbst als Waffen. Sie können Löcher in die Hüllen der Krankheitserreger schlagen und sie so schwächen. Außerdem können sie sich in großer Zahl mit dem Erreger verkleben und ihn so unschädlich machen. Ingo Bach