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Test. Hier sieht man, wie einer Berliner Patientin Blut entnommen wird, um es auf auf mögliche Antikörper gegen das neuartige Coronavirus zu prüfen. Aber nicht jeder, der positiv getestet wurde, kann Blutplasma spenden, wenn er wieder gesund ist.
© Kay Nietfeld/dpa

Forschung zu Covid-19: Gespendete Antikörper

Die Charité startet eine Studie, in der Patienten Blutplasma von Genesenen übertragen wird.

Das Immunsystem der meisten Menschen, die sich mit dem Coronavirus angesteckt haben, scheint den Erreger gut bekämpfen zu können. Laut WHO nimmt die Infektion bei rund 80 Prozent der Betroffenen einen milden Verlauf. Forscher gehen nun weltweit der Frage nach, ob sich die Kraft des Immunsystems von genesenen Patienten auf schwer Erkrankte übertragen lässt und somit deren Chancen auf eine schnellere Heilung verbessert werden können. Dazu spenden Genesene Blutplasma, aus dem Bestandteile des Immunsystems, vor allem die Antikörper gegen das Virus, gewonnen und Erkrankten übertragen werden.

Auch die Charité wird demnächst eine solche Studie starten. „Wir hoffen, Anfang Juli beginnen zu können“, sagt Hans-Dieter Volk, Direktor des Instituts für Medizinische Immunologie der Charité. Die Vorbereitung und das Genehmigungsverfahren für die Studie beim zuständigen Paul-Ehrlich-Institut laufen noch. Derzeit rekrutiert das Studienteam zunächst mögliche Blutplasmaspender. Mehrere Hundert Personen hätten sich dafür schon gemeldet, die nun umfangreich auf ihre Eignung getestet werden.

Sie verlor plötzlich Geruchs- und Geschmackssinn

Eine von ihnen ist die Berlinerin Hanna Friedrich (Name geändert). Nach einem kurzen Urlaub in Schweden im März verlor sie plötzlich ihren Geruchs- und Geschmackssinn. „Viel mehr dramatische Symptome hatte ich eigentlich nicht“, sagt sie. „Eine Nacht lang Fieber, ein paar Tage habe ich mich schlapp und müde gefühlt.“ Weil sie einen Angehörigen in einer medizinischen Einrichtung hat, wurde Hanna Friedrich im Krankenhaus Bethel Berlin auf das Coronavirus getestet. Dem positiven Testergebnis folgte das Übliche: Sie wurde vom Gesundheitsamt unter häusliche Quarantäne gestellt.

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„Im Krankenhaus hat man mich auf die geplante Studie in der Charité hingewiesen.“ Lang gezögert teilzunehmen hat sie nicht. Schon zwei Wochen nach ihrer Genesung meldete sie sich online zur Plasmaspende an. Am heutigen Montag soll sie auf ihre Antikörper getestet werden. „Ich hoffe natürlich, dass ich ganz viele habe“, sagt sie. Denn sie möchte gern Blutplasma zur Verfügung stellen. Ein bisschen auch „aus einem schlechten Gewissen heraus“, wie sie sagt. „Ich könnte ja in der symptomlosen Inkubationszeit jemanden unwissentlich angesteckt haben. Das wäre dann eine Wiedergutmachung, wenn mein Plasma einem Erkrankten helfen könnte.“

Antikörper fungieren als Waffe gegen das Virus.
Antikörper fungieren als Waffe gegen das Virus.
© Graphik: iStock, Christian Renner

Die Charité verfolge bei der Studie den Ansatz, die Plasmaspenden den Patienten möglichst früh zu übertragen, wenn diese noch nicht intensivbehandlungspflichtig sind. Damit soll das Immunsystem unterstützt werden, bevor es zu schweren Covid-19-Symptomen kommt, sagt Hans-Dieter Volk: „Als Überbrückung, bis der Körper eigene Plasmazellen gebildet hat, die die passenden Antikörper produzieren.“ Andere Kliniken testeten einen anderen Ansatz: Dort bekommen Patienten, bei denen Covid-19 bereits fortgeschritten ist, die Spende übertragen. „Dabei geht es darum, die Zahl der Antikörper schnell deutlich zu erhöhen, um den Kampf gegen das Virus zu unterstützen“, sagt der Immunologe Volk.

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Doch es bestünden bei solch einem Vorgehen durchaus Risiken, vor allem durch eine Eigenschaft des Immunsystems, die auch bei schweren Verläufen von Covid-19 eine Rolle spielt: Es kann sich selbst abschalten. Denn auch die Abwehrreaktionen gegen Krankheitserreger machen den Organismus krank. Bei schweren Covid-19-Verläufen kann es zu einer überschießenden Abwehrreaktion kommen, bei der die sogenannten Killerzellen (siehe Artikel links) nicht nur die Erreger angreifen, sondern auch eigenes Gewebe zum Beispiel in der Lunge. Damit verschlimmert das Immunsystem die vom Erreger verursachten Schäden noch. Für solche Fälle hat die Evolution eine Sicherung eingebaut: Das Immunsystem kann selbst herunterfahren. Was aber wiederum die Gefahr birgt, dass nun die Erreger die Oberhand gewinnen.

Nicht alle sind als Spender passend

Gibt es auch Risiken für den Spender, könnte zum Beispiel die eigene Immunität darunter leiden, wenn man Blutplasma hergibt? „Da man nur Spender mit einer großen Menge Antikörper gegen das Coronavirus im Blut verwendet, sollte die temporäre Reduktion kein signifikantes Risiko darstellen“, sagt Volk.

Nicht alle, die die Krankheit durchgemacht haben, sind als Spender passend. „Daher müssen wir sie gut untersuchen.“ Deren Eignung hängt davon ab, ob langlebige Plasmazellen gebildet wurden oder nur kurzlebige sogenannte Plasmablasten. Die Plasmablasten werden nach einer erfolgreichen Abwehrreaktion wieder schnell vom Körper abgebaut. „Jeweils im Abstand von drei Wochen halbiert sich der Bestand, bis sie komplett verschwunden sind“, sagt Volk. Die Immunität gegen die Erreger ist dann verloren. „Deshalb gibt es zum Beispiel gegen die Grippe keine dauerhafte Immunität.“

Plasmazellen überleben in Nischen

Ganz anders die langlebigen Plasmazellen. Diese entstehen bei einem starken Reiz, also zum Beispiel einer sehr hohen Zahl von eindringenden Erregern. Die Plasmazellen schaffen es, nach der erfolgreichen Bekämpfung der Erreger in Nischen zu überleben, meist im Knochenmark und den Lymphknoten. Tritt der entsprechende Virus erneut auf, werden diese schnell wieder aktiv. Das ist dann eine langanhaltende Immunität. „Leider ist der Platz in den Überlebensnischen begrenzt“, sagt Volk. „Ist der verfügbare Platz komplett besetzt, können sich neue Plasmazellen dort nur dann einnisten, wenn sie andere verdrängen.“ Deshalb funktionieren Impfungen bei Kindern viel besser als bei Erwachsenen. Bei ihnen ist noch genug Platz in den Nischen.

Mehr als 200 Patienten müssen an der Studie teilnehmen

Der Reiz, den Coronaviren ausüben, ist aber offenbar häufig groß genug, dass sich Plasmazellen bilden. Man gehe davon aus, dass die Immunität gegen das Coronavirus nach einer überstandenen Erkrankung mindestens zwei Jahre anhalte. Wie sich deren Übertragung auf erkrankte Patienten auswirkt, das soll nun die Studie klären. Wann es erste Ergebnisse gebe, lasse sich derzeit schwer einschätzen, sagt Klinikdirektor Volk. „Das wird davon abhängen, wie sich die Covid-19-Fallzahlen in Deutschland entwickeln.“ Um eine klare Aussage zu haben, müssten mehr als 200 Patienten in die Studie eingeschlossen werden.

Und selbst wenn die Studienergebnisse sehr positiv ausfielen, bleibe diese Therapie nur eine Option für eine begrenzte Zielgruppe von schwer Erkrankten. „Letztlich kann eine Antikörperübertragung nur eine Überbrückung sein, bis ein Impfstoff zur Verfügung steht, der für die breite Masse der Bevölkerung eingesetzt werden kann.“

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