"Mall of Berlin": Leipziger Platz will raus aus dem Schatten seines Nachbarn
Den Potsdamer Platz kennt jeder, den Leipziger nicht. Das hat jahrhundertelange Tradition. Vielleicht wären hier Sitzbänke schon mal eine Hilfe.
Potsdamer Platz? Leipziger Platz? Nie gehört. Salvador Rodriguez, 33, Tourist aus Mexico-City, schüttelt den Kopf. Zwei Tage ist er in Berlin, da kann er sich um Namen von Straßen und Plätzen nicht kümmern. Und doch wurde ihm soeben ein gehöriges Maß Leipziger-Platz-Geschichte serviert, hat er doch den Wachturm in der Erna-Berger-Straße bestiegen, der bis vor 25 Jahren die Südostecke des Achtecks bewachte. Damals eine Brache, seither ist Randbebauung emporgeschossen, der Platz selbst von einem DDR-Wachturm nur noch am abgewinkelten Verlauf der Fassaden erahnbar.
Überhaupt Leipziger Platz/Potsdamer Platz? Was ist da schon der Unterschied? Für die meisten Touristen eigentlich gar keiner – so hat Markus Zimmermann, 47, der als einer der Betreiber des von der Stadt übernommenen Turms an diesem Mittwoch dort wacht, immer wieder erfahren. Und die kommen dort reichlich vorbei. Gerade noch ein Rudel Radfahrer mit englisch parlierendem Führer, wenig später ein, zwei Segway-Trupps.
Ob den Fremdlingen der Unterschied zwischen Platz und Platz je begreiflich zu machen ist? Zimmermann verspricht sich gerade von der nun ihre Pforten öffnenden „Mall of Berlin“ einiges. „Der Leipziger stand schon immer im Schatten des Potsdamer Platzes“, beklagt er. Auch heutzutage sei nicht viel los, der Platz brauche dringend einen Magneten, mit Laufkundschaft, von der der Rest des Platzes profitiere.
Mein Platz, der hat acht Ecken
Auch einer wie Steffen Lehmann hofft. Noch hält er am Nachmittag an der Südostseite des Potsdamer Platzes in seinem „Sightseeing-Taxi“ vergeblich nach Kundschaft Ausschau. Das könnte sich mit der Mall ändern, hofft er: „Aber fragen Sie in ein paar Monaten noch mal nach.“ Wie Zimmermann hat er immer wieder erlebt, dass seine Passagiere den Leipziger Platz gar nicht registrieren, das ganze Areal nur unter der Marke „Potsdamer“ läuft. Eigentlich erstaunlich angesichts der charakteristischen Form des Platzes, halb Gürtelschnalle, halb Gelenk zwischen Ost und West, gegenüber dem als solchem doch kaum erkennbaren Potsdamer Platz mit dem Vorteil, dass man sogar, frei nach dem alten Gassenhauer, besingen könnte, wo er ist: „Mein Platz, der hat acht Ecken, acht Ecken hat mein Platz.“
Das hat er Friedrich Wilhelm I., dem Soldatenkönig, und dessen Oberbaudirektor Philipp Gerlach zu verdanken, der bei der Erweiterung der Dorotheen- und der Friedrichstadt drei der Geometrie verpflichtete Plätze entwarf: Viereck (Pariser Platz), Kreis (Mehringplatz), Achteck (Leipziger Platz). Ihre patriotischen Namen erhielten sie kurz nach den Befreiungskriegen: das Quadrat zur Erinnerung an die Besetzung von Paris, der Kreis als Belle-Alliance-Platz an den Sieg bei Waterloo und das Oktagon an die Völkerschlacht.
Bis 1814 hieß es nur das „Achteck am Potsdamer Thor“, auch dies ein Beleg für sein jahrhundertelanges Schattendasein. Nicht, dass es nicht hin und wieder auch eine gehörige Portion Sonnenstrahlen gegeben hätte. Schließlich berufen sich die Mall-Erbauer auf die glorreiche Shopping-Tradition der Kaufhauses Wertheim, während die Techno-Veteranen der neunziger Jahre sich noch gerne der Zeiten erinnern, als der „Tresor“ am Eingang der Leipziger Straße der Nabel ihrer Welt war.
Ein Kussmund als halbwegs akzeptable Sitzgelegenheit
Aber bislang war der Platz nicht gerade ein Highlight für Einheimische und Besucher. Erschien der Nachbar geradezu als Synonym für das Berliner Tempo, die Betriebsamkeit, den Glamour der Stadt, so blieb der Leipziger Platz nur einer, den man achtlos durcheilte, um ihn hinter sich zu bringen, nicht um hier zu verweilen, zu flanieren gar. Wo denn auch? Auf dem Kreuz der Fußwege, entlang der dichtbefahrenen Straße oder quer dazu durchs halbwegs gepflegte, nicht weiter verlockende Rasengrün mit seinen paar Bäumen? Bänke sollten hier einmal aufgestellt werden, man sucht sie vergeblich, und so bleibt ein Kussmund in Dalís Manier, vom nahen Museum auf den Rasen gestellt, die einzige halbwegs akzeptable Sitzgelegenheit.
Auch sonst ist touristisch wenig zu holen, die Berlin-Besucher kleben ihre Kaugummis lieber an die Mauerreste am Potsdamer Platz, die Betonsegmente vom Leipziger, die – beidseitig bemalt und damit historisch völlig unkorrekt – auf den mit Pflastersteinen markierten Verlauf der Hinterlandmauer hinweisen, finden vergleichsweise wenig Interesse. Schaufenster? Ja, gibt es. Sie werben für Küchenzeilen, Fußbodenbeläge, einen Edelmetallhändler, Banken, Finanzberater, Immobilienhändler, das Koreanische Kulturzentrum und eben Dalí, dazwischen ab und zu Restaurants. Mit Schmuck und Mode überfüllte Auslagen? Ja, gibt es auch, seit langem, an der Ecke Ebertstraße.
Ist nur alles leider nicht echt, ein Potemkinsches Haus, das dort angesichts offenbar unrealistischer Preisvorstellungen des Eigentümers der zum Verkauf stehenden Brache noch einige Zeit stehen dürfte. Macht nichts, es gibt ja nun die Mall. Und deren Auslagen sind nun wirklich alle echt.
Andreas Conrad