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Baustellenromantik. Am Mehringplatz ist erst mal kein Durchkommen. Hier wird saniert. Und so fehlt auch die Friedenssäule, die eigentlich die Mitte des Platzes schmücken soll.
© Carmen Schucker

Kreuzberger Plätze (2): Mehringplatz: Brennpunkt, Rundpunkt, Eckpunkt

Hier fängt die Friedrichstraße an, hier war Berlin einst vielleicht am schönsten: am Mehringplatz. Wer heute einen Blick darauf wirft, stellt fest: Wenn Kreuzberg irgendwo nicht angesagt ist, dann hier.

Rechts oder links. Durch die Mitte flanieren geht nicht. So sieht's gerade aus, wenn zwischen Friedrichstraße und Halleschem Tor der Mehringplatz daherkommt. Intervention oder Prävention. Das wechselt hier ständig auf dem rundesten Platz Berlins, der wie ein doppelter Kornkreis in die Stadt gestanzt worden ist. Hieß sogar bis 1815 mal "Das Rondell", eben wegen seiner runden Bauform. Schon immer war er das Becken, in dem die Friedrichstraße mündet. Nur vom Flair der Friedrichstraße findet sich hier nichts. Keine üppigen Schaufensterauslagen, keine mehrstöckigen Einkaufstempel, keine Touristen. Statt dessen: Sozialbauwohnungen und trostlose Baustellenlandschaft. Beton, Bauplatten, Sandhügel machen sich in der Mitte des Platzes breit. Die Friedenssäule, die seit 1843 aus der Mitte des Platzes herausragt, ist abmontiert. Übrig bleibt der Brunnensockel. Die Bauzeit, flexibel: 2013 - 2014. Mit nicht einzuhaltenden Eröffnungsterminen kennt man sich ja aus in Berlin.

Die tägliche Runde am Mehringplatz

Ein älterer Herr mit grauer Schiebermütze, fein glänzenden, braunen Lederschuhen und Rollator steht vor dem Metallgitter und blickt über den Platz. „Wie lang das hier noch gehen soll? Keene Ahnung. Ist ja nie jemand da. Höchstens mal einer und der geht spazieren“, sagt er und lacht verschmitzt. Zwei Minuten später überquert ein dunkelhaariger Mann mit neonorangener Warnweste den Platz von rechts nach links. „Na der macht jetzt erst mal Mittag“, sagt der ältere Herr. Seit 40 Jahren wohnt er am Mehringplatz. Er hat schon viele Baustellen kommen und gehen sehen. „Früher haben se abgesperrt, gebaut und fertig war`s. Heut sperren se ab und dann passiert erst mal nüscht“, sagt er. Dann will er weiter. Seine Runde drehen. Wie jeden Tag. 

Das erste Pils mit Kippe

Der Mehringplatz, er ist in Berlin nicht alleine. Einen weiteren Franz-Mehring-Platz gibt es in Friedrichshain, ganz in der Nähe des Berghain. Ein Überbleibsel der Wende. Nur in seinem 70er-Jahre-Bau-Chic in Rundform ist der Kreuzberger Platz einmalig. Fachlich gesprochen: konzentrische Kreise mit einem einzigen Mittelpunkt.

Ist hier vielleicht die Mitte Kreuzbergs? Wohl eher nicht. Im Inneren des Platzes: erst dreistöckige runde Wohnhäuser, unter denen man durchschlüpfen kann. Es folgen fünfstöckige Wohnhäuser mit großen Terrassen und dann ragen sie empor: diese Wohnblockriesen. Elf Stockwerke und höher. Betongrau, Balkon an Balkon, ein Satellitenschüsselparadies. Und überall dazwischen: Fußgängerzone. Wie viele Menschen hier wohl wohnen? Genug für einen Bäcker, einen Blumenladen, ein Nagelstudio und Uschi's Kneipe. Nur so richtig belebt scheint es nicht. Wo ist das wilde, bunte Kreuzberg, von dem alle immer sprechen? Hier nicht.

Bei Uschi sitzen hinter gelbverfärbten Gardinen zwei Einsame und diskutieren. Bei Pils und Kippe. Geht's um Merkel's Rentenpolitik, die steigenden Mieten oder einfach nur die Frau zuhause? Sie könnten Helmut oder Manfred heißen. Einer der beiden trägt Schnauzbart, der andere hat graumelierte Haare, der Haarschnitt ist längst herausgewachsen. Direkt neben Uschi's Kneipe: ein Spiel-Casino, ein Laden für russische Lebensmittel. Im Schaufenster steht eine Matruschka-Armee in Reih und Glied. Daneben Matchboxautos und Porzellan-Nippes. Zwei ältere Damen schlendern die Läden entlang. Beide sind adrett gekleidet, die eine in einem braun-gesteppten Mantel, die andere trägt Rot. Bei Hardy's Hotspot machen sie Halt. Im Schaufenster: karierte Blusen, gestreifte Pullis. „Schau mal da drüben. Dit jefällt mir janz jut. Sieht anjezogen bestimmt och jut aus“, sagt die eine zur anderen. Nur rein geht`s nicht.

Made am Mehringplatz und zu Besuch bei Uschi.

Baustellenromantik. Am Mehringplatz ist erst mal kein Durchkommen. Hier wird saniert. Und so fehlt auch die Friedenssäule, die eigentlich die Mitte des Platzes schmücken soll.
Baustellenromantik. Am Mehringplatz ist erst mal kein Durchkommen. Hier wird saniert. Und so fehlt auch die Friedenssäule, die eigentlich die Mitte des Platzes schmücken soll.
© Carmen Schucker

Made am Mehringplatz

Kaffeezeit. Gleichzeitig der Duft von Graffiti-Spray. Warum wird denn dort eine große Pressspanplatte Türkis besprüht? Eine Frau mit Hund macht halt und fragt nach. Ein junger Mann mit schwarzen, zum Zopf gebundenen Locken erklärt ihr, dass dies die neue Info-Tafel wird. Marco Frezzato arbeitet im Recyclingladen am Mehringplatz 9, zudem auch ein Café  gehört. Kaffee, Kuchen oder was Herzhaftes gibt es hier, handgemachte Vasen und Salzstreuer aus alten Glühbirnen oder Lampen aus alten Weinflaschen. Die Kiezbewohner sind eingeladen sich daran zu beteiligen. Alles wird unter dem Label „MadaMe“ verkauft. Also Made am Mehringplatz. Das Laden-Duo wird von dem gemeinnützigen Verein Die Globale e. V. betrieben. Karin Lücker-Aleman ist im Vorstand des Vereins und setzt sich gleich zu uns an den Tisch: „Eigentlich ist der Mehringplatz ganz schön. Doch die Realität ist, dass das Potential des Platzes nicht genutzt wird“, stellt sie fest. Zwar setzen sich Anwohner und Händler schon an einen Tisch, damit am Mehringplatz wieder eine attraktive Infrastruktur geschaffen wird, doch es bewegt sich nur langsam etwas. Ganz selten verirren sich Touristen und fragen nach der Friedrichstraße.

Umzug wegen steigender Miete

Mehringplatz 8. Im Wahlkreisbüro von Halina Wawzyniak ist es voll geworden. Ballons und Luftschlangen überall. Die Linken-Abgeordnete hat zur Eröffnung in ihr neues Büro eingeladen. Sekt, Bier und ein buntes Buffet von türkischen Spezialitäten über Tomate-Mozzarella bis Mettwurst stehen parat. Tatsächlich lag das alte Büro nur eine Tür weiter, doch der Vermieter wollte die Miete nach vier Jahren erhöhen. An der Tür zwischen Vorzimmer und Besprechungsraum prangt ein Plakat der Linken: „Damit wohnen bezahlbar bleibt.“ Warum ist ausgerechnet der Mehringplatz zum Standort der Abgeordneten geworden? „Ich wollte unbedingt an einem Ort in Kreuzberg, der nicht ganz einfach ist und hier präsent sein“, meint Wawzyniak. Die Menschen kommen mit den unterschiedlichsten Problemen zu ihr: mal geht es ums Jobcenter, um Ärger mit dem Vermieter oder um die Eröffnung eines Bankkontos, die verwehrt wird. „Manchmal hilft es einfach, wenn wir an den verschiedenen Stellen noch mal nachhaken“, sagt Wawzyniak. Gerade die Mischung der Menschen am Mehringplatz ist es, die ihr gefällt – ob nun Alteingesessene oder Neuzugezogene, mit oder ohne Migrationshintergrund.

Bier und Zitronen bei Uschi

Kneipenbesuch in der einzigen Kneipe am Platz: Uschi's Kneipe. Nur Uschi, die Besitzerin ist nicht da. Dafür Uli. Der sitzt an der Bar und trinkt Bier. Doch eigentlich ist sein Blick auf die drei Spielautomaten gerichtet. Bananen, Pflaumen und Zitronen wechseln sich ab. Während an der Wand laminierte Sprüche wie „Ein Leben ohne Bier ist möglich, aber nicht sinnvoll“ hängen, trällern Poplieder aus den Lautsprechern. „Gleich machst du den großen Wurf, Uli“, hallt es vom Kellner hinter der Theke. Uli ist der einzige Gast, trägt Zimmermannshose und Karo-Hemd. Der kalte Zigarettenduft hängt in den Gardinen, in der Luft sowieso. Die Tür geht auf, doch statt Gästen kommt ein einsamer Rosenverkäufer. Kein Geld für ihn. Die Früchte am Automaten, drehen und drehen sich. Während der vier Minuten Zwangspause am Automaten wirft Uli drei Euro in den zweiten Automaten, Einsatz pro Spiel: 30 Cent. Eine Runde, zwei Runden, drei Runden . Und dann: Treffer. 50 Euro Gewinn. Die Freude bleibt aus. „Naja, ich hab ja auch schon 'nen Hunderter eingesetzt.“ Im Monat verschwinden so auch schon mal 1000 Euro aus dem Geldbeutel. „Das ist halt ne Sucht.“ Ernüchternde Ehrlichkeit. Im Hintergrund singt Bosse „Und Berlin war wie New York.“

Dieser Artikel erscheint im Kreuzberg Blog, dem hyperlokalen Online-Magazin des Tagesspiegels. Die "Kreuzberger Plätze" sind eine Annäherung an Kreuzberg in 24 Stunden. Lesen Sie hier die gesamte Reportage.

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