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SPD-Bildungsexpertin Maja Lasic will die Zahlen nicht als Pauschalvorwurf gegenüber Lehrern verstanden wissen.
© dpa

Diskriminierung an Schulen: Lehrer sind deutlich häufiger Täter als Opfer

Die Zahl der gemeldeten Diskriminierungen steigt rasant, im Fokus stehen Lehrer. Dennoch bleibt die Dunkelziffer groß - Abhilfe ist schwierig.

Die Zahl der an Berliner Schulen gemeldeten Fälle von Diskriminierung steigt – und Lehrerinnen und Lehrer spielen dabei eine entscheidende Rolle. Von 272 im zurückliegenden Schuljahr gemeldeten Diskriminierungen gegenüber Schülern gehen allein 143 auf das Konto von Pädagogen.

Zum Vergleich: Im Schuljahr 2016/2017 lag der Wert noch bei 46. Er hat sich demnach verdreifacht, während die Zahl der gemeldeten Diskriminierungsfälle zwischen Schülern im selben Zeitraum von 20 auf 41 stieg.

Erfragt hat diese Zahlen die bildungspolitische Sprecherin der SPD-Fraktion im Abgeordnetenhaus, Maja Lasic. Sie sprach sich jedoch ausdrücklich dagegen aus, die Zahlen „eskalativ“ und damit als pauschalen Vorwurf an die Lehrer gerichtet auszuwerten.

„Nicht jeder gemeldete Fall ist ein echter Diskriminierungsfall“, erklärte Lasic und fügte hinzu, viele Diskriminierungen würden „ohne bewussten Willen“ passieren. Jede Meldung müsse geprüft, tatsächlich erkannte Diskriminierungen ernst genommen werden, sagte Lasic weiter. Sie sprach sich dafür aus, Anlaufstellen wie den Antidiskriminierungsbeauftragten der Bildungsverwaltung sowie eine erst noch zu schaffende unabhängige Beschwerdestelle auskömmlich auszustatten.

Tatsächlich untersucht wurden nach Angaben der Bildungsverwaltung seit dem 1. Januar 2015 insgesamt 29 Diskriminierungsvorwürfe gegen verbeamtete Lehrer. In fünf Fällen seien Disziplinarmaßnahmen erlassen worden. „Zehn der 29 Verfahren sind noch anhängig. In 14 Fällen konnte kein diskriminierendes Verhalten festgestellt werden“, heißt es.

Zahl der gemeldeten Fälle hat sich verdoppelt

Nach Ansicht von Lasic beinhalten die steigenden Zahlen aber auch eine positive Nachricht: „Die Stelle des Antidiskriminierungsbeauftragten wurde eingeführt, um ein Dunkelfeld auszuleuchten. Die aktuellen Zahlen belegen: Der Ansatz funktioniert."

SPD-Bildungsexpertin Maja Lasic.
SPD-Bildungsexpertin Maja Lasic.
© Kai-Uwe Heinrich

Tatsächlich stiegen in allen Bereichen, also auch bei Fällen von Diskriminierung gegenüber Lehrern, die Meldeziffern zuletzt deutlich an. Insgesamt wurden im zurückliegenden Schuljahr 313 Fälle von Diskriminierung an den mehr als 700 Schulen gemeldet. Eine Verdopplung der Zahl im Vergleich zum Schuljahr 2016/2017, auch wenn die Dunkelziffer Experten zufolge noch immer deutlich höher liegen dürfte.

Besonders auffällig ist dabei: Die übergroße Mehrheit der gemeldeten Fälle ist rassistisch motiviert beziehungsweise wird von den Betroffenen als rassistisch wahrgenommen. In diese Kategorie fallen 203 der 313 Fälle.

25 rangieren unter dem Begriff Antisemitismus. Ebenfalls häufig gemeldet: Diskriminierungen aufgrund von möglichen Behinderungen, Körpernormen oder chronischen Krankheiten sowie wegen des Geschlechts oder der sexuellen Orientierung. Als mehrfach diskriminiert fühlten sich 241 der 313 Betroffenen.

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Unklar ist, inwiefern Schulen und Lehrer ausreichend für den Umgang mit Diskriminierung sensibilisiert sind. Der Bildungsverwaltung fehlt eine Übersicht darüber, welche Schulen ein Antidiskriminierungskonzept erarbeitet haben oder Projektwochen nutzen, um Antidiskriminierung zu thematisieren.

Nur wenig aussagekräftig blieben auch die Angaben zu Angebot und Auslastung von Fortbildungen für Lehrkräfte in „diskriminierungsrelevanten Themen“. Diese würden „regelmäßig“ angeboten und im Durchschnitt von 20 Teilnehmern besucht, hieß es lediglich.

Eine von Lasic erbetene tabellarische Auflistung der Kurse gab es nicht. Aus den wenigen verfügbaren Informationen zu Veranstaltungen mit explizit diskriminierungsrelevanten Themen geht hervor, dass die Zahl der Anmeldungen immer deutlich unter dem Angebot lag – einzelne Kurse fielen wegen fehlender Resonanz sogar ganz aus.

"Lehrer müssen sich ihrer Verantwortung bewusst werden"

Auf die zentrale Rolle von Lehrkräften im Bereich der Diskriminierung an Schulen hatte zuletzt Dervis Hizarci, bis vor kurzem Antidiskriminierungsbeauftragter der Bildungsverwaltung, im Interview mit dem Tagesspiegel hingewiesen. Angesichts von rund 150 Fällen, in denen die Diskriminierung von Lehrkräften ausging, „muss man meine Aussage ‚Lehrer sind meine wichtigsten Verbündeten‘ kritischer einordnen“, erklärte Hizarci.

Sie blieben aber „zentrale Schlüsselfiguren im System Bildung“ und seien „wichtigste Verbündete und Ursache vieler Probleme“ gleichermaßen. Lehrer müssten „sich in ihrer beruflichen sowie gesellschaftlichen Rolle ihrer immensen Verantwortung bewusst werden“.

Der Experte in Sachen Bildung und Integration hatte den Posten des Antidiskriminierungsbeauftragten im Jahr 2019 übernommen und bereits ein Jahr später wieder aufgegeben. Er tat es damit Amtsvorgängerin Saraya Gomis gleich, die das Amt ebenfalls nach vergleichsweise kurzer Zeit wieder aufgab. Befragt nach den Gründen, erklärte Hizarci im Interview: „Die Aufgabe ist schlichtweg zu groß, um sie alleine zu meistern.“

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