Auf Spurensuche auf der Avus: Legendäre Rennen auf der ersten Autobahn der Welt
Am Wochenende findet das erste Formel E Rennen auf dem Tempelhofer Feld statt. Aus diesem Anlass haben wir uns auf eine Spurensuche zur geheimnisvollen Avus-Südkurve gemacht - und nach der ersten Autobahn der Welt.
Diese Premiere kommt über 75 Jahre zu spät: Test der südlichen Avus-Steilkurve auf ihre Renntauglichkeit. Das Irrsinnstempo droht den roten Sportwagen oben über die Pistenkante zu treiben, nur mit Mühe kann der Fahrer gegenlenken. Eine unmögliche Fahrbahn. Der Wagen hopst von Schlagloch zu Schlagloch, wird von Moosfeldern immer wieder abgebremst.
Avus? Steilkurve? Im Süden? Gibt’s doch gar nicht, selbst die im Norden wurde schon 1967 abgetragen. Also wie, bitteschön? Nun, die Steilkurve existiert tatsächlich, sogar zweimal. Einmal als elliptischer Erdwall am Kronprinzessinnenweg, 300 Meter nördlich des Abzweigs Havelchaussee – mehr haben die Rennstreckenbauer kurz vor dem Zweiten Weltkrieg nicht geschafft. Und dann noch einmal en miniature im Waldstück zwischen Chaussee und Wall, als Schaustück aus mittlerweile zerbröselndem, von Moos überwachsenem Beton, vielleicht 25 mal 5 Meter groß, auf dem nun, nur mal so zur Probe, ein kleines Spielzeugauto hin- und hergerollt wird.
Ein Kinderspiel, gewiss, aber doch spaßeshalber zulässig angesichts des anstehenden Berliner Rennwochenendes auf dem alten Tempelhofer Flughafengelände. Des ersten seit 17 Jahren und dies in der neuen Formel E, auf einer Strecke, die mit 2,4 Kilometern Länge knapp der Avus in ihrer Schlussphase als Rennpiste entspricht, allerdings weitaus mehr Kurven aufzuweisen hat.
Vergessene Rennstrecken auf der Stadtautobahn
Die Modellkurve ist im Wald gegen Abriss halbwegs gefeit, auch den baumbewachsenen Erdwall wegzubaggern wird sich kaum jemand die Mühe machen. Andere Spuren der Berliner Renntradition haben Straßenbauer erfolgreich beseitigt. So verschwanden bei der jüngsten, 2011 gestarteten Avus-Sanierung die Reste der späteren Südkehre an der Einfahrt Hüttenweg. Man erkennt den Streckenverlauf noch gerade so: Wer aus Charlottenburg kommt, wird sich vielleicht über den zurückspringenden Waldrand und die Grünfläche unmittelbar vor der Autobahnausfahrt wundern. Dort ging es für die Boliden nach einer 90-Grad-Kurve zurück gen Norden.
Dort ist der alte Streckenverlauf noch deutlich zu erkennen. Wer Richtung Hamburg auf die Stadtautobahn abbiegt, kommt an der durch Leitplanken blockierten Nordkurve vorbei, zudem stehen dort das alte, zum Motel mutierte Avus-Verwaltungsgebäude mit Beobachtungsturm und Mercedes-Stern sowie die reichlich verrottete Tribüne, beide von 1937 und denkmalgeschützt. Damals wurde auch die Steilkurve eröffnet, einige der Klinkersteine, aus denen die Fahrbahn bestand, sind in der Ausstellung „Mensch in Fahrt“ im Berliner Museum für Technik zu sehen. Zwei Avus-Denkmäler gibt es auch: die Skulpturengruppe „Motorradfahrer“ von Max Esser an der ehemaligen Nordkurve, von den ursprünglich drei Figuren haben nur zwei den Krieg überstanden; und eines, das vor zehn Jahren von dem Künstler Joachim Matz an der Abfahrt Spanische Allee, nahe des Lokals „Spinnerbrücke“, aufgestellt wurde und an viele Rennfahrer und wichtige Rennen erinnert.
Die erste Autobahn der Welt
Ein 77-jähriges Kapitel des deutschen Auto- und Motorradrennsports war geschlossen worden, als der schwarz-rote Senat 1998 die Avus für diese Form der Fortbewegung schloss. Aus gutem Grund, denn den Anforderungen an eine moderne Rennpiste entsprach die 1921 eröffnete Avus beim Streckenverlauf wie auch bei der Sicherheit schon lange nicht mehr, auch hatte es zunehmend Widerstand gegen die lautstarken Rennen gegeben. Anfangs wurde von Rennsportfreunden gehofft, dass der Lausitzring das Erbe der Avus antreten könnte, vielleicht sogar den Rennzirkus der Formel 1 in die Region zurückholen könnte, der immerhin 1959 auf der Avus gastiert hatte. Aber diese Erwartungen vermochte die neue Rennstrecke nie zu erfüllen.
Bei der Avus wucherten die Legenden dagegen um so zahlreicher. Zunächst kam das Projekt der 1909 gegründeten „Automobil-Verkehrs- und Übungsstraße GmbH“ nur mühsam ins Laufen. Auf dem bestehenden Straßennetz kamen sich Motorisierte und Nichtmotorisierte zunehmend in die Quere, eine reine Autopiste sollte her. Der gute Wille wurde durch allerlei Widrigkeiten gebremst, zudem kam der Erste Weltkrieg dazwischen, und so mussten sich die Autofahrer bis 1921 gedulden. Dann war die erste Autobahn der Welt fertig: neun Kilometer nur für Kraftfahrzeuge, schnurgerade, kreuzungsfrei, mit zwei durch einen Mittelstreifen getrennten Richtungsfahrbahnen, am Nordende Torhaus, Tribünen und eine Schleife von 244 Metern Radius, im Süden, zwischen Schlachtensee und Nikolassee, eine enge Kehre.
Der 1. Große Preis von Deutschland brachte vier Tote
Es begann mit einem Rennen im September, das zu einem großartigen Volksfest wurde. Nur Wagen deutscher Produktion starteten, die Marken sind bis auf Opel und Benz längst vergessen, auch die Namen der Fahrer, abgesehen vom jungen Fritz von Opel, dem mit 128,84 km/h die höchste Durchschnittsgeschwindigkeit gelang.
Die Inflation ließ die Rennbegeisterung der Berliner rasch erlahmen, erst 1926, beim 1. Großen Preis von Deutschland, konnte wieder an den Anfangserfolg angeschlossen werden. Es wurde der Durchbruch des legendären Rudolf Caracciola, der beim Start seinen Mercedes-Benz abgewürgt hatte, aber das Feld trotz eines Wolkenbruchs aufrollen konnte und furios siegte. Sein Teamkollege Adolf Rosenberger dagegen, der als Jude 1936 emigrieren musste, verlor in der Nordkurve die Kontrolle über den Wagen und schmetterte in ein Zeitnehmerhäuschen, in dem drei Menschen starben. Ein weiteres Todesopfer, das erste von zwölf in der Avus-Renngeschichte, hatte es beim Training gegeben.
Das Raketenauto
Nur gegen sich selbst startete Fritz von Opel am 23. Mai 1928 in seinem Raketenauto RAK2, erst 1931 sollte es wieder ein Rennen von Belang geben. Es begann die Ära der ersten Stromlinien-Karosserien und der berühmten Silberpfeile. Es begann die Zeit der Steilkurve mit ihren 43,6 Grad Neigung, die die Avus zur schnellsten Rennstrecke der Welt machte – aber auch die Zeit der propagandistischen Verwertung deutscher Rennerfolge durch die Nationalsozialisten.
Ostzonenfahrer und Red Bull
Nach dem Krieg gab es ab 1951 wieder Rennen auf der Avus. Am 1. Juli siegte dabei in der Formel 2 der „Ostzonenfahrer“ Paul Greifzu im modifizierten BMW des Rennkollektivs Johannisthal. Es war der Beginn der zweiten großen Zeit der Rennstrecke, weiterhin mit der Steilkurve im Norden, die sich aber zunehmend als tückisch und tödlich erwies. Acht Jahre später wurde die Steilkurve abgetragen, und die Rennen begannen ihre Attraktivität zu verlieren, bis es 1998 ganz aus war.
Drei Jahre zuvor hatte die Formel 1 ein kurzes Gastspiel gegeben – Unter den Linden. Michael Schumacher startete an der Neustädtischen Kirchstraße, durchquerte mit Erlaubnis das Brandenburger Tor und stoppte an der Ebertstraße. Er brauchte dafür endlos lange, fuhr gerade mal 60 km/h. Ein ähnliches Schauspiel gab es 2010 auf der Straße des 17. Juni, diesmal mit einem Red Bull RB6. Höhepunkt der Sebastian-Vettel-Show: Pirouetten mit qualmenden Reifen. Von wegen nachhaltig!
Das Rennen in Tempelhof startet heute um 16 Uhr (live bei Sky). Ab 8.15 Uhr freies Training, ab 12 Uhr Qualifikation. Die Eintrittskarten kosten zwischen 10 und 45 Euro.