Berlins berühmtester Club: Der letzte Text über das Berghain
Freakshow, Sex- und Drogenhölle: Was Journalisten aus Berlins bekanntestem Club machen, sagt vor allem etwas aus über deren Intoleranz, Selbstgerechtigkeit und latente Homophobie. Darum hört auf zu schreiben – und fangt an zu tanzen!
Das hat das Berghain nicht verdient. Innerhalb von zwei Wochen haben sich zwei Autoren der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“ in die Schlange des Berliner Clubs gestellt, über seinen Mythos sinniert und vor dem Türsteher gezittert. „Ein bisschen wild“ sei es hinter der Stahltür, und sie waren nicht die Ersten mit dieser Neuigkeit. Sensationsheischend berichtete mal die „B.Z.“ von „einer Wunde am inneren, oberen Oberschenkel“, mit dem Hinweis, man solle nicht nachfragen, woher die stamme. Die „Welt“ schrieb: „Das Berghain macht ein bisschen Angst.“ Und einer der Autoren der „FAS“ erzählt, er habe einmal eine alte Frau gesehen, „die einen Transvestiten in Lackkleid an einer Hundeleine über die Tanzfläche gezogen hat“.
Gott hilf, es geht wieder um den Freak-Faktor, die Schmuddelkinder der Großstadt: um die Anderen, die Schwulen, die man beglotzen will – nur um sich am Ende zu vergewissern, was für eine geile Nacht man hatte und zum Glück ja ganz anders sei. Bloß schade, dass man keine Bilder für Facebook machen kann, denn das Fotografieren verbieten die Inhaber ausdrücklich. Und Spiegel gibt es auch nicht. Wo soll man sich jetzt den Seitenscheitel geradeschieben? Liebe Kollegen, geht doch wieder ins Grill Royal, wenn euch das Berghain so viel Unwohlsein verursacht!
Können wir den Laden für einen Moment als das betrachten, was er ist? Ein Club mit ziemlich guter elektronischer Musik, in dem aus einer Nacht mal ein Tag und noch eine Nacht werden kann, in dem Dutzende Menschen hart daran arbeiten, dass sich Hunderte vergnügen, und in dem noch Freiräume möglich sind, von denen Partygänger in New York, London oder Wolfsburg nur träumen. Das Berghain ist die Blaupause eines normalen Technoclubs im 21. Jahrhundert. Warum ereifert sich niemand darüber, dass es woanders nicht so ist und sabbert stattdessen über die Andersartigkeit mancher Besucher?
Aber nein, es werden lieber Klischees von Drogen, Sex und Nachtleben wiedergekäut – jene Themen, wo am bereitwilligsten gelogen und geflunkert wird. Ja, natürlich gibt es in dem Club Drogen. Wie bekanntlich auch im Bundestag und in der Bundesliga. Im Berghain wird aber niemand an Garderobe, Tresen oder sonstwo ermutigt, Kokain, Speed oder Ecstasy zu schnupfen, zu inhalieren oder einzuwerfen. Dass es Menschen trotzdem tun, finden manche Beobachter aufregend, andere ernüchternd. Nach wie vor ist der freie Wille des Gastes das einzige Diktat, dem sich die Veranstalter unterwerfen.
Wer rammeln will, soll rammeln!
Das Berghain ist ein Ort für erfahrene Clubber über 30: Menschen, die ihren Exzess einschätzen können und an Genuss (musikalisch) wie Lust (sexuell) interessiert sind. „Es gibt angeblich sogar Dark Rooms“, heißt es in der „FAS“ vom vergangenen Sonntag. „Das ist aber nicht ein Sexclub?“, fragt der Artikel weiter. Ich weise noch mal auf die Zeit hin, in der wir uns befinden: mehr als 50 Jahre nach der sexuellen Revolution, zweite Dekade des 21. Jahrhunderts. Einige schätzen es, in dunklen Ecken zu rammeln – in beidseitigem Einverständnis. Wer das für eklig hält, ist prüde.
Gleiches gilt für das Aussehen der Türsteher. Einer, der Fotograf Sven Marquardt, wird mit seinen Tattoos und Piercings wie eine Figur aus der Serie „Game of Thrones“ beschrieben: „die Echse“, „aus den Haaren wachsen eintätowierte Dornen in das fleischige Gesicht“. Ist das die Furcht vor dem Anderslebenden? So wie der aussieht, kann der nur in einem Zirkus wie dem Berghain arbeiten? Ich frage mich, was diese Autoren zur Homo-Ehe sagen würden. Ist in dem Club die „schrille Minderheit“ erlaubt, die sich schön an einer Hundeleine über die Tanzfläche führen lässt, aber draußen unauffällig zu benehmen hat?
Wer so denkt, den darf es nicht wundern, dass er an der Tür abgewiesen wird – wie es viele Artikel beschreiben. Die Türsteher haben ein gutes Sensorium dafür entwickelt, wer ihnen auf Augenhöhe begegnet und wer seinen Voyeurismus befriedigen will. Das Berghain ist ein Technoclub, kein Kindergarten. Er ist nur so fürchterlich, ausgeflippt und mysteriös, wie wir ihn hochschreiben. Deshalb verspreche ich: Das ist mein letzter Text über das Berghain. Ab auf die Tanzfläche.
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