Stasi-Affäre um Andrej Holm: Lederer ließ Knabe gewähren – obwohl dieser gegen das Gesetz verstieß
Eine vertrauliche Stellungnahme für den Senator kritisierte Knabe und seine Eigenmächtigkeit: Er sei nicht Vertreter der SED-Opfer, führe sich aber so auf.
Die Entlassung von Hubertus Knabe nach Me-Too-Vorwürfen gegen seinen Vize scheint abgehakt. Anfang September wird der Historiker und Politikwissenschaftler Helge Heidemeyer die Leitung der Gedenkstätte Hohenschönhausen übernehmen. Doch unabhängig von den angeblichen Belästigungen gegenüber Mitarbeiterinnen hätte Kultursenator Klaus Lederer (Linke), der zugleich Vorsitzender des Stiftungsrats der Gedenkstätte ist, deutlich eher gegen Knabe vorgehen können - weil dieser neben und in seinem Amt eine politische Mission verfolgte. Dies geht aus Unterlagen der Kulturverwaltung hervor, die nach dem Berliner Informationsfreiheitsgesetz (IFG) jetzt an den Tagesspiegel herausgegeben wurden.
Demnach hat Knabe rechtswidrig gehandelt und gegen das Stasi-Unterlagengesetz verstoßen, als er in der Diskussion um die Ernennung des Stadtsoziologen Andrej Holm zum Staatssekretär für Wohnen Ende 2016 die Stasi-Akten Holms für Journalisten zugänglich machte.
„Die Weiterleitung des Internetlinks zur Stasi-Kaderakte Holm durch den Direktor der Stiftung Gedenkstätte war nicht gesetzeskonform“, heißt es in einer als „vertraulich“ bezeichneten Stellungnahme des damaligen Landesbeauftragten für Stasi-Unterlagen Martin Gutzeit. Auch wenn eine solche Akte unzulässigerweise im Internet veröffentlicht sei, dürfe der Direktor einer öffentlich-rechtlichen Stiftung diese aus Datenschutzgründen nicht weiterleiten.
Schon eine „totale und unkontrollierbare Veröffentlichung“ im Netz sei unzulässig gewesen, zumal Dokumente aus der Zeit vor Holms Volljährigkeit enthalten gewesen seien. Als Angestellter im öffentlichen Dienst gelte für Knabe auch in seiner herausgehobenen Position das beamtenrechtliche Mäßigungsgebot. Eine Veröffentlichung der Stasi-Dokumente sei nur im Einzelfall und zweckgebunden zulässig.
Eine dienstrechtliche Prüfung des Aktenversands blieb ohne Folgen
Holm war auf Vorschlag von Bausenatorin Katrin Lompscher (Linke) ins Amt gelangt und für die damals neue Koalition aufgrund der Stasi-Mitarbeit und falscher Angaben zu seiner Biografie schnell zur Belastungsprobe geworden. Im Januar 2017 trat er zurück.
Während Knabe die Akte unter der Hand weiterverteilte, kritisierte er öffentlich die Ernennung Holms in scharfen Tönen. Parallel boten Medien im Netz die Akte zum Abruf an. Der Tagesspiegel beantragte bei seinen Recherchen zum Fall Holm die Akten wie gesetzlich vorgeschrieben bei der Stasi-Unterlagen-Behörde und veröffentlichte diese dann entsprechend.
Zwar ließ die Kulturverwaltung den Fall nach einer Berichterstattung im Tagesspiegel dienstrechtlich prüfen. Doch Konsequenzen blieben aus. Knabe selbst hatte davon gesprochen, die Mail mit dem Link zur Holm-Akte im Urlaub bekommen und weitergeleitet zu haben, „als Privatperson“.
Darauf konnte er sich laut Gutzeits Stellungnahme aber nicht berufen. Knabe würde in seiner Funktion auch im Urlaub mit der Stiftung identifiziert. Er habe dazu selbst einen erheblichen Beitrag geleistet, „indem er sich als Direktor selber permanent ins Rampenlicht der Öffentlichkeit stellt“. Die sei aber nicht seine Aufgabe. „Er hat kein allgemeinpolitisches Mandat und ist schon gar nicht Vertreter der SED-Opfer“.
Knabe drückte die Kosten für seinen Anwalt dem Steuerzahler auf
Im Streit mit Lederer stellte Knabe auf stur und erklärte zunächst, dass er über seinen privaten Mailverkehr grundsätzlich keine Auskünfte erteile. Dann behauptete er, zur Weitergabe befugt gewesen zu sein, und beauftragte einen Rechtsanwalt, der diese Sichtweise mit einem Gutachten untermauerte. Obwohl Lederer Knabe schriftlich mahnte, die Kosten dafür aus privaten Mitteln zu tragen, stellte dieser die rund 1500 Euro für das Gutachten der Gedenkstätte und damit dem Steuerzahler in Rechnung.
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Knabe rechtfertigte dies, indem er den Versand der Holm-Akte als „Anregung zur Auseinandersetzung mit der kommunistischen Diktatur“ deklarierte, die zu den gesetzlichen Aufgaben der Gedenkstätte gehöre. Offenbar hatte der damalige Direktor im Laufe seiner Amtsjahre ein profundes Fehlverständnis über seine Kompetenzen entwickelt. Doch der Senator nahm auch dies hin. Mit einem Brief an Knabe beerdigte er Anfang 2018 den Konflikt: „Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass hier mit Ihrer und meiner Rechtsauffassung zwei gegensätzliche Positionen bestehen“.
Offenbar wünschte Lederer keine Berichte und hielt Informationen zurück
Wie es scheint, wünschte der Senator über den Dissens und die ausbleibenden Folgen keine weitere Berichterstattung. Die ausführliche Stellungnahme des Berliner Stasi-Unterlagenbeauftragten blieb im vergangenen Jahr trotz Anfrage unter Verschluss. Es handele sich um „dienstrechtliche Vorgänge, die wir nicht herausgeben“, hieß es.
Wie sich zeigt, muss nach dem Informationsfreiheitsgesetz dennoch Einsicht gestattet werden. Offenbar wollte die Kulturverwaltung damals verhindern, dass der Streit mit Knabe weiter in die öffentliche Diskussion gerät.
Erst mit den Vorwürfen sexueller Übergriffe gegen Knabes Stellvertreter Helmuth Frauendorfer legte Lederer sich öffentlich mit Knabe an. Einen Rechtsstreit um dessen Kündigung wurde mit einem Vergleich beendet, über den die Parteien Stillschweigen vereinbarten. An Knabe floss eine Abfindung von mutmaßlich mehreren zehntausend Euro. Einzelheiten hält Lederer unter Verschluss.
Einer Tagesspiegel-Auskunftsklage dazu gab das Verwaltungsgericht zwar statt. Das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg hob den Beschluss aber wieder auf (Az.: OVG 6 S 19.19): Abfindung und Vorwürfe von Ex-Mitarbeiterinnen gegen Knabe seien Privatsache, Knabes Personalakte sei umfassend geschützt, die Vorwürfe gegen ihn bisher unbelegt. Das öffentliche Interesse an weiterer Aufklärung muss nach Ansicht des 6. Senats dahinter zurückstehen.