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Im Berliner Tierpark wurden Mitte Juni vier Amurtiger-Babys vorgestellt. 
© dpa

Leoparden und Tiger im Berliner Tierpark: Lasst die Katzen laufen!

Zehn Schritte, dann kommt der Zaun: Die Raubkatzen in Friedrichsfelde leben beengt, sie brauchen unbedingt mehr Platz. Ein Zwischenruf zum 60. Jahrestag des Tierparks – auch an die Adresse vieler anderer Zoos. Ein Kommentar.

Stimmt, sie sind wirklich niedlich. Und so etwas sage ich nicht oft. Die vier kleinen Amurtiger im Tierpark zu beobachten, rührt einen an. Wie sie tapsig herumstromern, an ihrer Mutter empor hüpfen, mit ihren Tatzen nach Blättern greifen, die ins Gehege ragen. Es scheint ihnen an nichts zu fehlen.

Ein paar Schritte weiter der China-Leopard, auch der rührt einen an. Wie er am grünen Stahlgitter entlangstreicht. Vor, zurück, vor, zurück. Zehn Schritte kann er hintereinander tun, wenn er die volle Länge des Geheges nutzt. Dann muss er umdrehen, um nicht anzustoßen. Manchmal macht er schon nach drei Schritten kehrt. Vor, zurück, vor, zurück. Der Boden vorm Gitter ist ausgetreten.

Ist das ein Leben? Diese Frage stellt sich früher oder später jeder, der einen Zoo besucht – oder eben den Tierpark in Friedrichsfelde, wo heute die Feierlichkeiten zum 60. Jubiläum stattfinden, und wo die Tiger und der Leopard zu Hause sind.

Sind die Tiere wirklich glücklich?

Alles Tierknäste, schimpft die Kollegin. Es gebe doch tolle Dokumentarfilme, da lerne man die Löwen, Elefanten und Eisbären genau so gut kennen. Die Quälerei hinter Gittern sei vollkommen unnötig!

Abgesehen davon, dass die vielen tollen Filme über Grand Canyon, Tadsch Mahal und Ayers Rock die Touristen auch nicht davon abhalten, um die halbe Welt zu fliegen – das persönliche Erlebnis mit allen Sinnen ist nun mal etwas anderes. Ein Dromedar, das gleich hinterm Wassergraben vorbei schreitet, vielleicht auch brüllt oder meinetwegen auch pinkelt, hinterlässt bei Kindern wie Erwachsenen einen bleibenden Eindruck. Sie beginnen nachzudenken, über die Kreatur und sich selbst und wie das alles zusammenhängt. Das geschieht meist unbewusst, und am Ende steht dann oft ein Mensch mit einem Herz für Tiere vor dem Wassergraben. Erhöhte Sensibilität für Natur und Artenschutz, würden Fachleute sagen. Bildungsauftrag erfüllt.

Aber sind die Tiere wirklich glücklich? Schwer zu sagen. Auf den Gesichtsausdruck gibt man besser nichts. Fellzeichnung und Augenstellung können schnell in die Irre führen. Die Fortpflanzung ist ein besseres Indiz: Wem es nicht zu schlecht geht, der setzt Nachkommen in die Welt. Auch Stresshormone können gemessen, das Verhalten analysiert werden.

Das Alfred-Brehm-Haus im Tierpark fällt negativ auf

Eine Umfrage unter Zootieren würde vermutlich ergeben, dass ihr Wunsch nach Freiheit vielleicht gar nicht so überwältigend ist angesichts der Vollverpflegung und garantierten Sicherheit für Leib und Leben – besonders für die, die weiter hinten in der Nahrungskette stehen. Ganz vorne aber sieht es anders aus. Raubtiere haben in vielen Zoos zu wenig Platz. Gerade das Alfred-Brehm-Haus im Tierpark fällt negativ auf – das sagen selbst Experten, die nicht in Peta-Kampagnen vorkommen. Nicht nur, dass die Gehege klein sind. Die Raubkatzen, die einen sensiblen Geruchssinn haben, leben dicht beisammen, werden ständig mit neuen Wölkchen ihrer Nachbarn konfrontiert.

Man will den Mitarbeitern gerne glauben, dass sie versuchen, den Tieren das Leben so angenehm wie möglich zu machen. Aber das genügt nicht. Die Katzen brauchen Räume, in denen es sich gut leben lässt: etwas zum Spielen, zum Entdecken, vor allem Platz zum Laufen, auch mal zum Rennen. Nicht nur zehn Schritte am grünen Gitter.

Macht endlich Platz für die Großen!

Ideen für den Umbau der Anlage aus den frühen 60ern gibt es längst. Doch die Erfahrung mit öffentlich finanzierten Bauvorhaben und auch den Denkmalschutzbehörden in dieser Stadt lassen Schlimmes ahnen.

Daher der Appell: Kommt in die Puschen (meinetwegen auch die mit synthetischem Tigerfell) und macht endlich Platz für die Großen! In Friedrichsfelde und all den anderen Zoos. Am Ende bekommen die Einrichtungen deutlich weniger Tiere unter als bislang, müssen manche Arten wohl auch völlig aufgeben – die Besucher werden das verstehen. Viele haben schließlich selbst Tiere zu Hause, oft sogar Räuber wie Hunde und Katzen. Und sie achten genau darauf, dass ihre Schützlinge artgerecht leben: mit adäquaten Anregungen, sozialen Kontakten – und ganz viel Auslauf.

Dieser Text erschien zunächst als Rant in unserer gedruckten Samstagsbeilage Mehr Berlin.

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