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Gib Pfötchen, Vari! Zoodirektor Andreas Knieriem begrüßt einen Arbeitskollegen.
© Thilo Rückeis

60 Jahre Tierpark: Das Prestigeprojekt in Ost-Berlin

Jubiläum in Friedrichsfelde: Vor 60 Jahren eröffnete der Tierpark. Zu Mauerzeiten stand er immer mit dem Zoo im Wettbewerb. Heute gehören beide Institutionen zusammen - aber nicht für die West- und die Ost-Berliner. Direktor Andreas Knieriem will das ändern.

Varis fängt man mit Weintrauben. Andreas Knieriem weiß das. Mit dem üblichen Futter, Äpfel und Möhren, lockt man keinen Halbaffen hinterm Baum hervor. Kaum hat Knieriem den Plastikbecher mit den roten Früchten hervorgeholt, raschelt es in den Ästen und die dunklen Umrisse kommen näher. Einer der Varis, schwarz-weiß und so groß wie eine dicke Hauskatze, klettert auf die Schulter des Zoodirektors und lässt sich eine Traube nach der anderen ins Maul schieben. Zu oft Weintrauben sei aber auch nicht gut, davon könnten die Lemuren aus Madagaskar Altersdiabetes bekommen, sagt Knieriem. Wie er so erzählt, merkt er gar nicht, dass die Trauben längst aufgebraucht sind, er führt seine Hand wie automatisch weiter zum Varimaul. Und obwohl da nichts mehr ist, versucht der Halbaffe, mit den Lippen eine unsichtbare Traube zwischen Knieriems Fingern herauszusaugen. Eine Luftnummer. Der Vari wirkt verwirrt. Dann bemerkt es auch Knieriem. Und versucht den Trick gleich noch einmal. Wieder fällt der Vari darauf herein.

Es ist einer dieser seltenen Momente, in denen der 49-Jährige jungenhaft wirkt. Wenn er den Tieren nahekommen und sich einen Scherz mit ihnen erlauben kann. Intelligente Tiere haben es ihm besonders angetan: Orang Utans, Kraken, Pelikane. Im Zoo Hannover, seinem alten Revier, hat Knieriem mal eine Besuchergruppe aus Berlin über die dortige Pelikaninsel geführt. Einer der Vögel hatte es auf seine goldenen Jackettknöpfe abgesehen, doch Knieriem hielt ihm einfach den Schnabel zu. Dann streichelte er ihm sanft über den Nacken und schwärmte von seinen weichen Federn. Es war ein Moment, der viel über Knieriems Beziehung zu Tieren verriet – immer respektvoll, aber mit einer unmissverständlichen Botschaft: Dein Pech ist, dass ich weiß, wie schlau du bist.

„Viele Leute glauben, dass ich den ganzen Tag nur Tiere streichle“, sagt Knieriem belustigt. In Wirklichkeit sind solche Momente selten, meistens schlägt er sich mit anderen Aufgaben herum. Seit April 2014 ist Knieriem Berliner Zoochef, er leitet den Zoologischen Garten in der City West wie auch den Tierpark Friedrichsfelde im ehemaligen Ostteil der Stadt. Einer seiner Lieblingssätze lautet: „Das müssen wir noch anfassen.“ Dabei geht es fast nie ums Streicheln von Tieren, sondern fast immer ums Lösen von Problemen. Schon mehrmals hat Knieriem zugegeben, dass er die Aufgabe vor allem im Tierpark unterschätzt habe.

Aufgewachsen im Zoo

Andreas Knieriem, geboren 1965 in Georgia, USA, aufgewachsen in Duisburg, wollte als Kind eigentlich Astronom werden. Doch Mathe lag ihm nicht. Sein Vater, ein Mediziner, war mit dem Duisburger Zoodirektor befreundet, so landete der 13-Jährige unter Tieren. Der Direktor war einer, wie es ihn heute nicht mehr gibt: Wolfgang Gewalt war so etwas wie der Käpt’n Ahab vom Niederrhein. Er ging auf Walfang – vor Feuerland, in der Hudson Bay, am Orinoko – und brachte die Tiere mit in seinen Zoo. „Er roch nach Leder, nach weiter Welt“, sagt Knieriem. Davon träumte er als Jugendlicher auch – und räumte unterdessen die Praxis des Zootierarztes auf. Als der Zoo in den 80er Jahren den ersten Computer geschenkt bekam, war Knieriem der Einzige, der ihn bedienen konnte. Bei der jährlichen Inventur fehlten auf einmal 1000 Tiere, Knieriem hatte sich verrechnet. Panik. „Ach“, sagte der Tierarzt, „im Kamelgraben leben so viele Meerschweinchen, zählen wir die mit, dann passt das wieder.“ Später, als Knieriem schon Tiermedizin an der Freien Universität Berlin studierte, durfte er mithelfen, einen Gorilla in Narkose zu legen und dessen Wunden zu nähen. Da war er erst im zweiten Semester, damals fragte niemand nach Arbeitsschutz und Versicherung. „Heute wäre das gar nicht mehr möglich“, sagt er. Und fügt hinzu: „Darf man gar nicht dran denken.“

Nach dem Studium zog es ihn zunächst wieder nach Duisburg, wo er im Zoo als stellvertretender Tierarzt arbeitete. Anschließend wechselte er nach Hannover, wo er Tierarzt und stellvertretender zoologischer Leiter wurde. Dem Zoo Hannover liefen Mitte der 90er Jahre die Besucher davon, die Gehege waren veraltet und marode, der Zoo stand vor dem Aus. Anlässlich der Expo 2000 entwarf ein Team aus Zoologen, Architekten und Freizeitforschern das Konzept „Zoo 2000“. Nach fast zwei Jahrzehnten Bauzeit und 120 Millionen Euro Kosten umfasst der „Erlebnis-Zoo Hannover“ mittlerweile sieben Themengebiete, wie etwa eine nordamerikanische Goldgräberstadt namens „Yukon Bay“ mit Wölfen, Eisbären, Rentieren und Robben. Hannover war der erste Zoo in Deutschland nach amerikanischem Vorbild. Das Konzept funktionierte: Kamen anfangs gerade 600 000 Besucher im Jahr, waren es in den folgenden zwei Jahrzehnten zeitweise mehr als 1,6 Millionen. In Hannover änderte sich auch Knieriems Sicht auf die Zoos. „Wir bauen nicht für uns Zoologen, sondern für die Besucher“, sagt er. „Seitdem laufe ich nur noch auf den Besucherwegen.“

Die Mauer in den Köpfen

Die Berliner sind im Vergleich zu den Hannoveranern nicht tierlieb, sie sind tierbesessen. In keiner anderen deutschen Stadt haben es so viele Zoobewohner zu lokaler Berühmtheit gebracht: Wie etwa Bobby, der 1928 als erster Gorilla in den Zoo kam und den Komponisten Walter Jurmann zu dem Lied „Mein Gorilla hat ’ne Villa im Zoo“ inspirierte. Wie Knautschke, das Flusspferd, das als eines von 91 Tieren die Bombenangriffe im Zweiten Weltkrieg überlebte. Oder wie Knut, der Eisbär, nach dessen Tod fast so viele Blumen, Beileidskarten und Plüschtiere am Zooeingang lagen wie am Buckingham Palace nach dem Tod von Lady Di. „Würde morgen der Funkturm verschrottet, gäbe es müden Protest“, schrieb 1994 der Zooreporter des Tagesspiegels, Werner Philipp. „Was jedoch auf keinen Fall passieren darf, dass irgendwer irgendetwas gegen ihren Zoo sagt. Das gäbe Aufstand, das gäbe Krieg!“

Der Zoologische Garten ist der älteste Zoo Deutschlands, 1844 gegründet, eine Aktiengesellschaft. Mit dem Aquarium zusammen besitzt er den artenreichsten Tierbestand weltweit: rund 17 000 Tiere in 1440 Arten. Jährlich kommen etwa drei Millionen Besucher, mehr als die Hälfte davon sind Touristen. Als einer von ganz wenigen Zoos in Deutschland erzielt er Überschüsse und kommt somit ohne öffentliche Förderung aus.

Vor genau 60 Jahren wurde der Tierpark eröffnet

Der Tierpark feiert in diesem Sommer sein 60-jähriges Bestehen. Einst als Prestigeobjekt des Sozialismus geschaffen, ist er mit seinen 160 Hektar heute der größte Europas, mit weitläufigen Anlagen für Herden von Wildeseln, Kamelen und Hirschen. Etwas mehr als eine Million Besucher kommen jährlich hierher, es sind vor allem Berliner aus dem ehemaligen Ostteil der Stadt.

Jahrzehntelang standen sich beide Einrichtungen als Konkurrenten gegenüber, statt sich zu ergänzen. Noch 25 Jahre nach der Wiedervereinigung gehen die West-Berliner vor allem in den Zoo, die Ost-Berliner in den Tierpark. Kaum irgendwo in Berlin ist die Mauer in den Köpfen so präsent wie in der Identifikation mit Zoo oder Tierpark.

„Es gibt kein oder mehr, sondern nur ein und“, sagt Knieriem. „Wir wollen klar unterschiedene Konzepte, damit der Besucher sagt: Ich gehe in den Zoo und in den Tierpark. Wir sind eine Familie.“ So deutlich hat das vor ihm kaum einer gesagt. Wenn in den vergangenen Jahren die prekäre Finanzlage und der marode Zustand des Tierparks debattiert wurden, fanden sich stets Politiker oder Journalisten, die vorschlugen, den Tierpark dichtzumachen. Was die Ost-Berliner stets entrüstet aufschreien ließ. Das liegt an ihrer besonderen Beziehung zum Tierpark, den die Hauptstadtbewohner der jungen DDR ab Mitte der 50er Jahre selbst mit aufbauten.

Der letzte Tierpark-Architekt

Zwei Sichuan-Takin-Babys im Tierpark.
Zwei Sichuan-Takin-Babys im Tierpark.
© Stefan Schaubitzer/p-a

Knappe fünf Jahre alt war die DDR, als der Ost-Berliner Magistrat die Nase voll hatte. Zu oft reisten die Ost-Berliner in den britischen Sektor, um den Zoo zu besuchen, wo sie Westkontakte pflegten und dem Kapitalismus ihr Geld in den Rachen warfen. Der Magistrat beschloss, einen eigenen Zoo im sowjetischen Sektor zu bauen. Beauftragt wurde Heinrich Dathe. Der damals 43-jährige stellvertretende Direktor des Leipziger Zoos sollte auf dem weitläufigen Gelände des Schlosses Friedrichsfelde gemeinsam mit dem jungen Architekten Heinz Graffunder und der Grünplanerin Editha Bendig einen modernen Zoo entwerfen. Mehr noch: Ein Prestigeobjekt sollte es sein, auf 160 Hektar sollte der größte Zoo der Welt entstehen.

Ende Oktober 1954 begannen die Planungen im Schloss Friedrichsfelde. Mit dabei war Heinz Tellbach. Der heute 84-Jährige ist einer der letzten noch lebenden Tierpark-Architekten der ersten Stunde. Graffunder kannte Tellbach noch aus dem Studium an der Bauakademie in Neukölln und holte ihn in seine Planungsgruppe. Die Bedingungen waren günstig für junge Architekten – viele alte waren im Krieg gefallen oder in den Westen geflohen, für die neuen Zeiten brauchte man neue Bauten. „Wenn die Politik dahinter stand, mussten wir uns um Kosten keine Gedanken machen“, sagt Tellbach. Während Graffunder sich in europäischen Zoos Anregungen holen durfte, sahen sich die anderen Tierhäuser in Leipzig und Halle an. „Für uns Bauleute war das ja komplettes Neuland.“

Die Anfänge waren kurios

Die Anfänge waren dementsprechend kurios. Auf einem Teil des riesigen Areals hatte sich eine wilde Laubenkolonie angesiedelt, und wo später der Wirtschaftshof entstehen sollte, lag ein Übungsplatz der Roten Armee. „Als wir 1954 ankamen, schossen sie da noch“, erinnert sich Tellbach. Gemeinsam mit dem Direktor zogen die Architekten über das holprige Gelände. Tellbach entwarf Häuser für Wisente, Lamas und Hirsche. Einige Fotos seiner Häuser trägt er noch heute in der Brieftasche mit sich: dunkelbraune Blockhütten hinter grünen Büschen. Er hat später noch ganz andere Bauten entworfen, für die richtig großen Tiere der DDR, in Wandlitz. Aber der Tierpark bleibt sein größter Stolz.

Während Tellbach und seine Kollegen noch zeichneten, begannen im Frühling 1955 die Bauarbeiten an Tierhäusern, Gehegen und Wegen. Zahlreiche Berliner halfen in den folgenden Monaten in 100 000 Arbeitsstunden mit, Sand zu schaufeln, Gräben anzulegen oder Wege zu planieren. „Nationales Aufbauwerk“ nannten sich diese formal freiwilligen Arbeitsschichten – und anders als bei anderen Aktionen wurden die Einsätze im Tierpark „bestimmt nicht mürrisch ausgeführt“, wie sich Tellbach erinnert.

Die westdeutschen Medien sahen das anders. Die „Zeit“ schrieb im Mai 1955, wenige Monate vor der Eröffnung: „In Ostberlin wollen die Menschen nicht einsehen, dass sie nur, weil dieser alte Berliner Zoo in den Westsektoren liegt, in ihrem Sektor einen neuen aufbauen sollen.“ Die Ost-Berliner konnten damals wegen der Währungsunterschiede noch zu deutlich günstigeren Preisen den Zoo im Westen besuchen. „Rentner, Schulkinder, FDJ’ler und nur wenige Arbeiter buddeln zurzeit in Friedrichsfelde, um die ersten Gehege bezugsfertig zu machen“, hieß es weiter. „Von Aufbauelan ist nichts zu spüren. Initiative entwickelt nur das einzige tierische Lebewesen, das den ,größten Tierpark der Welt’ bis jetzt bevölkert: der ständig bellende Wachhund des Dr. Dathe.“

Brillenbären von der Stasi

Am 2. Juli 1955, vor genau 60 Jahren, konnte der Tierpark im Beisein von Staatschef Wilhelm Pieck eröffnet werden. Die ersten Tiere waren Geschenke von anderen Zoos oder DDR-Betrieben: Ein Bettenhersteller spendete Störche, die Stadt Strausberg Strauße, die Kinderzeitschrift „Bummi“ sammelte unter ihren Lesern Geld für zwei Giraffen, das Ministerium für Schwerindustrie und die Zeitung „Neues Deutschland“ stellten je einen Elefanten, der VEB Kälte und die Konsumgenossenschaft Köpenick Eisbären. Und die Stasi zwei Brillenbären.

Auch wenn viele Gehege anfangs Provisorien waren – Elefanten und Nashörner zogen in einen alten Pferdestall ein –, entwickelte der Tierpark bald seinen eigenen Charme. So schrieb der sowjetische Schriftsteller Daniil Granin 1969 über seinen ersten Besuch in Friedrichsfelde: „Der Tag ging zu Ende, der Tierpark leerte sich und wirkte noch riesiger. Ich hatte noch nie so viele Vögel und Tiere in Freiheit gesehen. Sie fürchteten die Menschen nicht, der Park erinnerte an ein ausgedehntes grünes Nachtlager Noahs. Wahrscheinlich gibt es in der Welt Zoologische Gärten, die reicher sind als der Berliner. Aber es geht ja nicht um die Zahl der Tiere, nicht um die Ausrüstung; das Schönste und Erstaunlichste war das Empfinden des Schöpfertums.“

Ein Rhinozeros im Tierpark.
Ein Rhinozeros im Tierpark.
© Stephanie Pilick/p-a

„Zu DDR-Zeiten war der Tierpark die Freizeiteinrichtung“, sagt Knieriem. Er fährt mittlerweile meist im Golfcart über das riesige Gelände. 25 Kilometer umfasst das Wegenetz – in einem deutschen Durchschnittszoo sind es drei bis fünf Kilometer. Wenn Knieriem unterwegs ist, sieht er vor allem die vielen Mängel: Kein Wassergraben ist noch dicht, überall brechen Gehegebegrenzungen weg, Rohre und Leitungen wurden von Wurzeln gesprengt. „Alles ist marode“, sagt Knieriem. Im Wendejahr 1989 ist er zum ersten Mal hier gewesen, schon damals wirkte der Tierpark heruntergekommen. „Aber ich war so zooverrückt, dass ich nur in die Tierhäuser gegangen bin. Auf kaputte Wege habe ich nicht geachtet.“

Beobachtet man ihn an seinen beiden Wirkungsstätten, hat man den Eindruck, es gäbe zwei Knieriems: den entspannten im Tierpark, der ausschweifend erzählt, und den gehetzten im Zoo, der auf dem Sprung zum nächsten Termin ist. Im Zoo gehe es deutlich hektischer zu, sagt Knieriem, der Tierpark dagegen sei „ein Hort der Ruhe“. Er schätzt dessen Potenzial, die Schönheit der weitläufigen Parklandschaft, die Planer der Gründerjahre hätten das gut gemacht. „Diese amorphe Wegführung ist sehr gelungen. In den 60er und 70er Jahren sah der Tierpark aus wie ein Zoo im Westen, er war voll auf der Höhe der Zeit.“

Wettrüsten mit Tieren

Mit dem Ansehen des jungen Tierparks stieg damals auch das seines Direktors. Heinrich Dathe galt bald als der „Grzimek des Ostens“. Mit seinen Sendungen aus dem Tierpark lockte er die halbe DDR vor Radio und Fernseher. Zwar hatte Dathe zur Eröffnung 1955 im „Neuen Deutschland“ verkündet: „In ihrer Struktur sind der Berliner Zoo und unser neuer Berliner Tierpark so grundlegend unterschiedlich, dass eine ,Konkurrenz‘, die von niemandem gewünscht wird, von vornherein ausgeschlossen ist.“ Doch das Verhältnis zu seinem Kollegen im Westen war alles andere als freundschaftlich: Auf der einen Seite Dathe, der onkelhafte Geschichtenerzähler, auf der anderen, der West-Seite, Heinz-Georg Klös, dem manche nachsagen, er hätte mit seiner Gutsherrenart besser ins 18. Jahrhundert gepasst. Der spätere Zoodirektor Jürgen Lange beschrieb das Verhältnis der beiden so: „Wenn der eine einen Zwergesel kauft, kauft der andere einen Riesenesel.“

Der Zoo hatte historisch bedingt einen Vorsprung, der Tierpark versuchte nachzuziehen. Am 30. Juni 1963 – dem 70. Geburtstag von Staatsoberhaupt Walter Ulbricht – wurde das Alfred-Brehm-Haus eröffnet. Ein Jahr zuvor hatte Klös im Zoo mit einem neuen Vogelhaus samt begehbarer Freiflughalle vorgelegt. Nun präsentierte Dathe das mit 5300 Quadratmetern größte und modernste Tierhaus der Welt, mit riesigen Felsenhallen für Löwen und Tiger und einer begehbaren Tropenhalle mit Flughunden und Vögeln. „Ein Meilenstein zur Erreichung des Sozialismus“, so verkündete es ein Banner über dem Eingang. Jahrelang warb der Tierpark in seinem Parkführer mit dem Zitat der Berner Zoodirektorin Monika Meyer-Holzapfel: „So stellen wir uns den Zoo der Zukunft vor.“ Dathe ergänzte stolz: „Wir übrigens auch.“

Hier entsteht (k)ein Tapirhaus

Die Giraffen-Jungtiere Dorle und Jule im Tierpark.
Die Giraffen-Jungtiere Dorle und Jule im Tierpark.
© Britta Pedersen/p-a

Die Planungen im Tierpark gingen weiter. 1966 bekam Dathe von der Berliner Bauakademie einen Experimentalbau angeboten: ein Gebäude aus Stahl und Glas mit zwei kurzen und zwei hohen Dachstützen, an denen das Glasdach mithilfe von Spanndrähten wie eine Hängematte durchhing. „Ein hyperbolisches Paraboloid“, erklärt Architekt Tellbach. „Dathe wurde gefragt: ,Könnt ihr det gebrauchen?’ Und er antwortete sofort: Ja, daraus machen wir ein Tapirhaus!“ Dieses war bereits im ersten Lageplan vorgesehen gewesen. Die schwarz-weißen Schabrackentapire aus Südostasien waren auch schon da. Sie lebten seit einigen Jahren versteckt im alten Pferdestall bei den Elefanten und Nashörnern.

Doch das Bauen gestaltete sich zäh. Bis 1970 hatte der Tierpark noch private Handwerksbetriebe mit Arbeiten beauftragen können. „Bis die Reste der Privatwirtschaft zerschlagen wurden und nur noch Genossenschaften und träge volkseigene Betriebe bestanden“, sagt Tellbach. Als das Tapirhaus zu 85 Prozent fertig war, wurde der Bau plötzlich eingestellt. Der Magistrat war klamm, der Ausbau des Stadtzentrums dringender. Kurz darauf traf Tellbach bei einer Tanzveranstaltung im Tierpark den Karikaturisten Erich Schmitt. Der Erfinder der Comicfigur „Tierparklehrling Ede“ hatte vom Baustopp gehört und zeichnete Tellbach auf die Rückseite seiner Einladung eine Skizze der stählernen Bauruine. Davor stehen Vater und Sohn: „Vata“, fragt der Sohn, „is det det Jerüst, wo die Tapire uffjehangen werden?“

Noch in den 80er Jahren verkündete ein Baustellenschild: „Hier entsteht ein Tapirhaus.“ Doch die Tapire blieben für immer hinter den Kulissen. Nach 15 Jahren wurde das Stahlgerüst abgerissen. Wo heute die Anlagen für Hyänen sind, erinnert nichts mehr an das gescheiterte Großprojekt von einst, den BER von Friedrichsfelde. „Wäre schön gewesen“, sagt Tellbach nur. Die Eintrittskarte mit der Zeichnung hat er nicht mehr.

Während Heinz Graffunder Anfang der 70er Jahre den Auftrag bekam, den Palast der Republik zu planen, entstanden im Tierpark erst Ende der 80er Jahre wieder größere Bauten. 1989 wurde das Dickhäuterhaus für Elefanten und Nashörner eröffnet – das letzte Bauprojekt unter Dathe.

Wendewirren im Tierpark

Am 7. November 1990 feierte der bereits an Krebs erkrankte Direktor seinen 80. Geburtstag im Tierpark. „Ich habe gern gearbeitet und tue es noch“, sagte er damals. „Und gerade in dieser nicht ganz leichten Zeit halte ich es für notwendig, dass ich noch ein paar Tage durchhalte, um meine Einrichtung in ruhiges Gewässer zu führen.“ Auch sein West-Berliner Widerpart Klös hielt eine Rede. Er gratulierte Dathe, da vieles im Tierpark „mich so begeistert, dass ich es mir auch zwischen Ku’damm und Landwehrkanal vorstellen kann“. Der Tierpark sollte nach Senatsbeschluss zwar bleiben, dafür musste sein Direktor gehen. Einen Monat später wurde Dathe mitgeteilt, dass er seine Amtsgeschäfte zu übergeben und seine Dienstwohnung zu räumen habe. „Ich lebe, um zu arbeiten“, hatte Dathe stets gesagt. Am 6. Januar 1991 starb er. Der Rausschmiss habe ihm den Rest gegeben, erzählte man sich später – nicht nur im Osten.

Seit 1991 ist der Tierpark ein Tochterunternehmen des Zoos. Doch die gemeinsame Weiterentwicklung beider Einrichtungen bleibt die größte Herausforderung, die es derzeit in der deutschen Zoolandschaft gibt. Kritische Stimmen unkten schon vor Knieriems Dienstantritt, er habe sich übernommen, ein Direktor sei zu wenig für beide Einrichtungen. „Zoo und Tierpark haben zum Teil unterschiedliche Geschichten“, sagt Knieriem. „Sie sollen eine gemeinsame Zukunft haben.“

Das Waldgiraffen-Baby Bashira und seine Mutter Batouri im Zoo.
Das Waldgiraffen-Baby Bashira und seine Mutter Batouri im Zoo.
© Jan-Philipp Strobel

2009 hat er für sich entschieden, neue Wege zu gehen. Der Tierarzt wollte Zoodirektor werden, nicht mehr nur Stellvertreter sein, sondern selbst die Dinge in die Hand nehmen. „Ich weiß genau, welche Planungen ich in Hannover zu verantworten habe“, sagt er. „Aber man möchte auch mal mit seinem Namen genannt werden.“ So zog es ihn nach München. Der dortige Tierpark Hellabrunn war bei seiner Eröffnung 1913 auch ein Zukunftszoo gewesen, der erste Geozoo der Welt, in dem die Tiere nicht systematisch, sondern nach Kontinenten sortiert gehalten wurden. In München hat Knieriem dieses Konzept, das in den Jahren zuvor vernachlässigt worden war, wieder stärker berücksichtigt. Dass sein Weggang noch nicht lange zurückliegt, merkt man, wenn er über die dortigen Probleme redet. Er ertappt sich selbst dabei, dass er „wir“ sagt, wenn er etwa von der Restaurierung des 100 Jahre alten Elefantenhauses redet, als müsse er sich noch immer mit der Münchner Denkmalschutzbehörde herumschlagen.

Seit einem knappen Jahr wohnt Knieriem nun in einer Wohnung über dem Aquarium, zusammen mit seiner Frau, seiner Tochter und zwei Hauskatzen – und mit Blick auf die Löwenanlage. „Manchmal würde ich lieber draußen wohnen, um abschalten zu können“, sagt er. Der Mann, der schon als Jugendlicher seine Freizeit im Zoo verbrachte, hat sein Hobby zum Beruf gemacht. „Ich dachte, dass ich als Zoodirektor glücklicher sein werde“, sagt er. „Ich bin es aber nicht. Ich bedaure, dass ich kein Hobby mehr habe.“

Das Leben ist eine Baustelle

Früher hat er selbst Aquarien gehabt, das Geräusch der Filter beruhigte ihn. Jetzt bleibt ihm dafür keine Zeit mehr. Nur morgens auf dem Weg zum Bäcker und abends auf dem Heimweg gönnt er sich kleine Fluchten. Dann geht er allein durchs Aquarium und schaut, was es Neues gibt, wie es dem Hammerhai geht, ob der Soldatenfisch wieder mit der Schwanzflosse die Wasseroberfläche aufwirbelt. „Der hat ’ne Meise“, sagt Knieriem. „Der muss das nicht machen, aber der macht das gerne.“

Als Tierarzt konnte er sich in Details verlieren, heute geht es ums große Ganze, um Baustellen, vor allem im Tierpark: Das Alfred-Brehm-Haus ist zwar kürzlich erst energiesaniert worden, aber längst nicht mehr zeitgemäß. Die Käfige mit ihren pastellfarbenen Kacheln sind veraltet und zu klein. Die Tropenhalle hat nach der Renovierung unter Knieriems Vorgänger Bernhard Blaszkiewitz den Charme eines Gartencenters. Das einst modernste Tierhaus der Welt ist das erste Projekt, das Knieriem „anfassen“ will, wie er es nennt. Noch in diesem Jahr soll es umgebaut werden und später einen Querschnitt durch die Tierwelt der asiatischen Tropen zeigen, von der Spinne bis zum Tiger. „Es soll seinem Namensgeber, dem ,Tiervater Brehm’, wieder alle Ehre machen.“

Sechs Millionen Euro sind allein dafür eingeplant. Insgesamt sieht Knieriems Ziel- und Entwicklungsplan rund 93 Millionen Euro für den Umbau des Tierparks bis 2030 vor. Eine Reise durch die Kontinente soll der Besuch dann bieten. Erstmals seit 1991 sollen wieder Orang Utans gehalten werden. Aus den 30 000 Tonnen Bauschutt, die ihm sein Vorgänger hinterlassen hat, soll eine Himalaya-Bergwelt werden. Noch ist Knieriems Konzept aber nicht vom Berliner Abgeordnetenhaus abgesegnet worden, das Thema Tierpark wurde dort auf September verschoben. Im Umfeld des Zoos sprechen einige jetzt schon vom Tierpark als dem „Land Utopia“. Doch Knieriem sieht wie nie zuvor in seiner Karriere die Chance, seine Vorstellung vom perfekten Zoo umzusetzen: „Wir wollen hier die Weite der Natur authentisch simulieren und dabei dem Tier so viel Platz geben, dass es für den Besucher noch sichtbar bleibt. Denn wenn die Eisbären so weit weg sind, dass sie wie Eisfüchse aussehen, bringt das auch nichts.“ Im Zoo will er moderne Tierhaltung mit historischen Traditionsbauten verbinden. „Er soll der artenreichste Zoo der Welt bleiben, ohne dass das auf Kosten der Tiere geht.“

Und eine Mauer muss noch weg – die in den Köpfen. „Ich glaube, die Stadt wird weiter zusammenwachsen“, sagt Knieriem. Die gemeinsame Verwaltung beider Einrichtungen hält er für alternativlos. Schon jetzt stoße der Zoo mit seinen rund drei Millionen Besuchern im Jahr an seine Grenzen. „Hätte Berlin nur einen Zoo“, sagt Knieriem, „dann müssten wir jetzt einen zweiten bauen.“

Dieser Beitrag ist gedruckt in der Tagesspiegel-Samstagsbeilage Mehr Berlin erschienen.

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