Verkehr in der Hauptstadt: Lärmschutz: 100.000 Berliner sollen entlastet werden
Der Senat will die Stadt beruhigen: Der neue Umweltsenator Andreas Geisel beklagt vor allem Straßenbahnlärm. In zehn Jahren sollen 100.000 Menschen nachts leiser schlafen können.
Der neue Stadtentwicklungssenator Andreas Geisel (SPD) hat es am Dienstag am Alexanderplatz selbst gehört: Straßenbahnen können, wenn sie um die Kurve fahren, ganz schön laut sein. Damit es in Zukunft etwas leiser wird, hat der Senat am Dienstag – mit mehrjähriger Verspätung – den Lärmaktionsplan 2013-2018 beschlossen. Hehres Ziel: Bis 2025 sollen 100.000 Berliner von nächtlichem Lärm entlastet werden; heute leiden noch rund 300.000 Menschen unter zu viel Krach.
Bei der Straßenbahn soll das „Neue Berliner Straßenbahngleis“, das elastisch gelagert ist, den Lärm verringern. Eingebaut ist es bisher unter anderem abschnittsweise auf der Neubaustrecke über die Invalidenstraße zum Hauptbahnhof, aber auch in der Stahlheimer Straße in Prenzlauer Berg. Durch einen Austausch der Gleise sei es auch auf der Karl–Lade-Straße in Lichtenberg ruhiger geworden, freute sich Geisel, der bis Ende 2014 Bezirksbürgermeister war.
Auch der Schienenverkehr müsse leiser werden, forderte Geisel beim Vorstellen des Lärmaktionsplans. Wenn das Ziel erreicht werde, den Autoverkehr durch ein Umsteigen in Bahnen zu verringern, nehme der Verkehr auf der Schiene zu. Und ohne Gegenmaßnahme dann auch der Lärm. Schutz vor Krach kostet aber Geld. So hat es die S-Bahn abgelehnt, ihre Fahrzeuge so umzubauen, dass die Antriebsgeräusche um drei bis vier Dezibel gesenkt werden könnten. Zu teuer, befand man bei der Bahn.
Bahn spart sich Lärmschutz – und fährt langsamer
Immerhin gibt es kleinere Schritte, die zusammen auch einen messbaren Erfolg brächten, sagte Geisel. Auf der Ringbahn sei es durch den Einbau von Schmieranlagen für die Räder leiser geworden, auf der Stadtbahn von Ostbahnhof bis Charlottenburg habe man Brücken „entdröhnt“, und auch auf den Hochbahnstrecken der U-Bahn vermindern Befeuchtungsanlagen das Quietschen in Kurven.
Lärmschutzwände muss die Bahn nur bauen, wenn sie die Gleisanlagen oder das Betriebsverfahren verändert. Auch hier hat Geisel bereits als Bezirksbürgermeister erfahren, welch ein schwieriger Partner die Bahn sein kann. In Karlshorst habe sie einfach darauf verzichtet, das Tempo der Züge zu erhöhen und sich so den Lärmschutz gespart. „Dabei fährt die Bahn auch heute nicht leise“, sagt der Senator, immer noch verärgert über den ausgebliebenen Lärmschutz. Auch in Pankow, im Bereich des Karower Kreuzes, setzen sich Anwohner für Lärmschutz ein, mit dem sich die Bahn schwertut.
Größter Lärmverursacher ist aber nach wie vor der Autoverkehr. Flüsterasphalt heißt hier das Zauberwort dagegen. Er verteuert den Straßenbau zwar um rund zehn Prozent, reduziert aber auch den Krach. Der Lärmaktionsplan empfiehlt solche Fahrbahnsanierungen für Straßen im Boxhagener Viertel in Friedrichshain, in Wilmersdorf für Abschnitte der Berliner, Detmolder und der Blissestraße. Tempelhof ist mit der Rathaus-, Alarich-, Arnulf- und Attilastraße sowie mit dem Mariendorfer Damm dabei. In Schöneberg steht die Potsdamer Straße im Programm und in Lichtenberg – ohne Geisel-Effekt – die Frankfurter Allee.
Konflikte zwischen Lärmschutz und Mobilität
Wo alles nichts hilft, sollen Schallschutzfenster den Lärm aus der Wohnung fernhalten. 800.000 Euro sind dafür jährlich im Haushalt vorgesehen; aber nur 460.000 Euro wurden im vergangen Jahr abgerufen, sagte Geisel. In einem Drei-Jahres-Programm wolle der Senat bis 2018 jeweils 1,1 Millionen Euro für den Lärmschutz investieren; mit Fördermitteln soll sich die Summe auf 2,4 Millionen Euro erhöhen. Im ersten Aktionsplan, der von 2008 bis 2012 galt, konnten Geisels Vorgänger im Senatorenamt noch insgesamt 20 Millionen Euro ausgeben; aber allein 15 Millionen Euro stammten damals aus dem Konjunkturprogramm des Bundes, das sich so schnell nicht wiederholt.
Geholfen haben nach Ansicht von Geisel auch die Tempo-30-Bereiche auf Nebenstraßen und nachts auf einigen Hauptstraßenkilometern. Hielten die Autofahrer das Limit ein, verringere sich der Lärm um etwa drei Prozent. Weil sich auf jeden Fall die Durchschnittsgeschwindigkeit verringere, nehme der Krach auch bei Überschreiten der 30 km/h und 1,5 Dezibel ab. Neue Tempo-30-Bereiche in großem Stil werde es aber nicht geben, kündigte Geisel an. Das Limit gelte bereits auf 70 Prozent der Straßen, auf Hauptstraßen müsse der Verkehr dagegen flüssig bleiben – weiter mit Tempo 50. Solche Konflikte zwischen Lärmschutz und Mobilität seien nicht zu vermeiden, sagte Geisel.
Ertragen müssen daher auch die Anwohner um den Flughafen Tegel weiter den Krach am Himmel. Und sollte der Flughafen tatsächlich Ende 2017 schließen, schlägt sich dies in der Lärmstatistik nur unwesentlich nieder. Laut Lärmaktionsplan sind tagsüber lediglich rund 20.000 Bewohner und nachts sogar nur 9000 einem Krach ausgesetzt, der den gesundheitsrelevanten Schwellenwert übersteigt, vorwiegend in Reinickendorf und in der Wasserstadt Spandau. Auch Lärm ist eben relativ.