Seuche in Brandenburg: Landwirte bangen nach sechs Monaten Schweinepest um ihre Existenz
Am 10. September 2020 gab es den ersten Fall von Afrikanischer Schweinepest im Kreis Spree-Neiße. Wie hat sich das Leben der Landwirte seither verändert?
Vor einem halben Jahr ist aus der Befürchtung Gewissheit geworden: Bei einem Wildschweinkadaver in Brandenburg wurde die Afrikanische Schweinepest (ASP) festgestellt - amtlich bestätigt am 10. September. Sembten, ein Ortsteil von Schenkendöbern im Süden Brandenburgs, wenige Kilometer von der Oder entfernt, wurde auf einen Schlag bundesweit bekannt.
Katastrophenpläne wurden aktiviert. Deutschland verlor den Status, „seuchenfrei“ zu sein. Ein Ziel eint seitdem Behörden, Landwirte und Jäger: Eine Ausbreitung der Krankheit, die für Menschen ungefährlich, für Hausschweine aber meist tödlich endet und gegen die es keine Impfung gibt, muss gestoppt werden. Seit langem grassiert die Tierseuche in Polen.
Das Eindringen der ASP in Hausschweinbestände in Deutschland wäre verheerend. Bislang ist es gelungen, die Seuche aus den Ställen zu halten. Die Landwirte spüren die Gefahr jeden Tag - trotz vieler Schutzmaßnahmen. Was ihnen große Sorgen bereite, sei der lange Zeitraum, auf den sie sich noch einstellen müssten, sagt Hendrik Wendorff, Präsident des Landesbauernverbandes in Brandenburg. „Wir wissen ja, dass frühestens zwölf Monate nach den letzten infizierten Wildschweinen Maßnahmen gelockert werden können“. Die Geduldsprobe verlängere sich mit jedem neuen ASP-Fall.
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„Die Lage ist nach wie vor angespannt. Immer wieder werden an der deutsch-polnischen Grenze tote Wildschweine gefunden“, sagt Bernhard Krüsken, Generalsekretär des Deutschen Bauernverbandes. Der Zaunbau sei wegen der teilweise schwierigen Bedingungen - unwegsames Gelände, Munitionsreste im Boden - immer noch nicht überall abgeschlossen. Können infizierte Wildschweine nach Deutschland kommen, fragen sich besorgt die Landwirte.
Brandenburg hat mittlerweile 490 Kilometer Zäune errichtet, auch in Sachsen geht es voran. Brandenburger Landkreise haben im vergangenen Jahr 7 Millionen Euro zur Umsetzung der Schutzmaßnahmen erhalten, im Haushalt 2021 sind 32 Millionen Euro eingestellt.
Ein Krisenszenario wurde seitdem abgespult: Hunderte Freiwillige und auch Bundeswehrsoldaten suchten nach verendeten Wildschweinen. Drohnen überflogen unwegsames Gelände. Und speziell ausgebildete Suchhunde - sie dürfen Kadaver nur aufspüren und nicht berühren - waren unterwegs. 719 Fälle der Schweinepest wurden bislang (Stand 4. März) in Brandenburg amtlich bestätigt, in Sachsen - ebenfalls mit einer Grenze zu Polen - waren es mit Stand 25. Februar 55 Fälle.
Laut Bundesagrarministerium laufen regelmäßig Abstimmungen zu Maßnahmen gegen die ASP im deutsch-polnischen Grenzgebiet. Da die bisherigen Fälle in Brandenburg in fast unmittelbarer Grenznähe und in Sachsen nur gute 60 Kilometer entfernt zu Tschechien liegen, sei es wichtig, die Situation im Auge zu behalten, heißt es.
Innerhalb der EU ist der Handel nach den Angaben mit Schweinefleisch weiter möglich, da das Regionalisierungskonzept anerkannt ist. Lediglich für Betriebe, die im Restriktionsgebiet liegen, ist er eingeschränkt.
Schweinefleisch ins Ausland zu exportieren wird zunehmend schwieriger
Für die Landwirte hat der Ausbruch der Schweinepest empfindliche wirtschaftliche Folgen, auch wenn die Tierseuche bislang nur in Wildschweinbeständen aufgetreten ist. Aber nach dem Nachweis des ersten Falls haben viele wichtige Exportmärkte ihre Tore für Schweinefleisch aus Deutschland geschlossen - allen voran China.
Der Export dorthin hatte zuletzt für ein deutliches Preishoch bei den Schlachtschweinen gesorgt - Ende 2019 lag der Durchschnittsschlachtpreis noch bei rund 2 Euro, seit September stürzte er um gute 80 Cent ab. Allerdings hat nicht allein die Afrikanische Schweinepest den Preisverfall verursacht. Auch die Folgen des Corona-Lockdowns in der Gastronomie hätten zu den stark gesunkenen Schlachtpreisen beigetragen, sagte ein Experte der Interessengemeinschaft der Schweinehalter Deutschlands (ISN).
Das Bundesagrarministerium verhandelt schon länger mit Handelspartnern in Drittstaaten, um dorthin aus ASP-freien Gebieten Schweinefleisch zu liefern, unter anderem auch mit China. Singapur habe bereits einer Regionalisierung zugestimmt, Brasilien, Argentinien, Südafrika und Südkorea hätten Ausnahmen zugesagt, heißt es aus dem Ministerium.
„Abzuwarten bleibt, ob die Verluste ausgeglichen werden“
In Brandenburg sind Wendorff zufolge derzeit 20 Schweinehalter von den restriktiven Maßnahmen betroffen, dazu kämen die Ackerbauern in dem Gebiet, die in ihrer Bewirtschaftung eingeschränkt seien. Es gehe um 150.000 Hektar landwirtschaftliche Fläche. „Abzuwarten bleibt, ob die Verluste ausgeglichen werden“. Da gebe es noch viel Rechtsunsicherheit, sagt er.
Bauernverbands-Vertreter Krüsken sagt: „Nach Anlaufschwierigkeiten scheinen nun die Entschädigungen für Bewirtschaftungsauflagen für die Betriebe zu fließen.“ Völlig unbefriedigend sei allerdings die Lage der betroffenen Schweinehalter in den Restriktionszonen. Es fehlten insbesondere Hilfen für die existenzbedrohenden Nachteile bei der Vermarktung oder bei Auflagen. Er befürchtet, dass Betriebe die Schweinehaltung aufgeben müssten, wenn finanzielle Unterstützung noch länger ausblieben.
Die Experten mahnen, nicht nur auf Zäune zu setzen, sondern auch auf die Jagd auf Wildschweine entlang der polnischen Grenze. Dauerhaft müssten die Tiere "entnommen" werden, fordert der Deutsche Bauernverband. „Das ist eine Aufgabe nicht nur für wenige Wochen, sondern für die kommenden Jahre, jedenfalls mindestens solange, bis die ASP auf beiden Seiten der Grenze getilgt worden ist.“ Sonst könne die Seuche nicht aufgehalten werden und dringe weiter nach Westeuropa vor.
Wendorff sagt, man müsse europaweit denken. Aus Polen komme ein sehr hoher „Seuchendruck“, der müsse gestoppt werden. Hier sei der Bund stärker gefragt. Polen sei möglicherweise mit der Bekämpfung der Schweinepest in der Region überfordert, meint er und sagt: „Die örtlichen Akteure stoßen mit der Seuchenbekämpfung an ihre Grenzen.“ (dpa)
Gudrun Janicke, Silke Nauschütz