Wenn Tierwohl zum Problem wird: Warum dieser Bauer seine Schweine töten muss
Die Brandenburger Bio-Schweine von Michael Staar leben draußen. Wegen der Afrikanischen Schweinepest müssen sie in den Stall. Doch den gibt es nicht.
Michael Staar ist ein Bauer wie aus dem Bilderbuch. Auf seinem Ökohof in Brandenburg leben die Schweine an der frischen Luft. Sie gehören zu einer alten, gefährdeten Nutztier-Rasse, dem Deutschen Sattelschwein. 100 Tiere hält der 46-Jährige auf Gut Hirschaue, gerade einmal 200 gibt es in ganz Deutschland. Die Sorte ist robust, die Schweine setzen mehr Fett an als ihre Artgenossen, die im Supermarkt als Schnitzel verkauft werden.
Die Art hat ihre Liebhaber. Das Fleisch gibt es in Ökoläden und Restaurants in der Region, auf Wunsch liefert Staar auch an die Haustür der Berliner. Geschlachtet wird auf dem Hof, Tiertransporte zum Schlachthof müssen die Schweine nicht ertragen. Sie haben ein gutes Leben: Das ganze Jahr über sind sie draußen, wühlen, fressen, spielen und schlafen im Freien. Nur die Sauen mit ihren Ferkeln stehen im Stall.
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Doch nun droht Staars Tieren die Massenschlachtung. Sein Hof liegt in der Nähe von Beeskow, östlich von Berlin. Dort sind Wildschweine gefunden worden, die mit der Afrikanischen Schweinepest (ASP) infiziert waren. Die Seuche ist aus Polen eingeschleppt worden. Für Menschen ist sie ungefährlich, für Schweine tödlich.
692 infizierte Wildschweine sind in Brandenburg, dem Bundesland, das am stärksten von der Seuche betroffen ist, seit vergangenem September gefunden worden, Hausschweine sind bislang nicht betroffen. Um eine weitere Ausbreitung zu vermeiden, läuft ein Krisenmanagement. Dazu gehören auch Auflagen für Schweinehalter. In den von den Behörden ausgewiesenen gefährdeten Gebieten müssen alle Schweine in den Stall, damit sie nicht mit dem Virus in Kontakt kommen. Eine Ausnahme für Biobauern gibt es nicht.
Die Tiere müssen in den Stall. Was aber, wenn man keinen hat?
Für Staars Tiere bedeutet das den vorzeitigen Tod. Gut Hirschaue liegt im gefährdeten Gebiet. Bis zum 12. März, so hat das Veterinäramt verfügt, müssen alle Schweine in den Stall umgezogen sein. Doch das geht nicht. Staar hat nämlich keine Ställe für seine Tiere, und zwar aus Prinzip. Stallhaltung, sagt er, mache die Schweine aggressiv und schade ihnen. Diese Haltung rächt sich jetzt. Die kerngesunden Vierbeiner müssen geschlachtet werden. „Mich macht das böse und traurig“, sagt der studierte Landwirt. „Das ist einfach krank.“
In Brandenburg ist die Freilandhaltung von Schweinen in allen gefährdeten Gebieten verboten. Die Behörden berufen sich auf eine Risikobewertung des Friedrich-Loeffler-Instituts, das eine Aufstallung empfiehlt. Bundesagrarministerin Julia Klöckner findet die Stallpflicht in ASP-Gebieten richtig: „Wir müssen alles tun, die Hausschweinbestände zu schützen“, sagt sie.
Biobauern, die ihre Tiere im Freien halten, müssten im Interesse aller Schweinehalter zurückstecken. Ein Ausbruch bei Hausschweinen hätte zur Folge, dass tausende Tiere gekeult werden müssten. „Schutz vor der Tierseuche ist der beste Tierschutz“, meint die CDU-Politikerin.
Wegen der Schweinepest nehmen viele Länder kein deutsches Fleisch mehr
Der Ausbruch der ASP hatte gravierende Folgen für die Branche. Obwohl bislang nur Wildschweine betroffen sind, haben wichtige Abnehmer wie China den Import aus Deutschland gestoppt. Der Preis für Schweinefleisch stürzte ab, statt zwei Euro pro Kilo bekamen die Landwirte vorübergehend nur 1,19 Euro. Inzwischen sind es zwar 1,30 Euro, aber auch das ist nicht kostendeckend.
Deutschland gehört weltweit zu den größten Exporteuren von Schweinefleisch. Klöckner versucht, die Türen wieder zu öffnen und dafür zu sorgen, dass Schweinehalter aus ASP-freien Regionen liefern dürfen. Bosnien-Herzegowina und Kanada sowie Singapur haben bereits eingelenkt, auch Thailand hat seine Exportsperre nicht verlängert. Um China zu überzeugen, hilft das Bundeskanzleramt, allerdings bislang ohne Erfolg.
Eines kann die Agrarministerin da gar nicht gebrauchen: Dass das Virus hierzulande auf Hausschweine überspringt. Rechtlich würde das zwar nichts ändern, aber es würde die derzeitigen Regionalisierungsverhandlungen „erheblich erschweren“, sagte eine Ministeriumssprecherin dem Tagesspiegel. Von einer Lockerung des Exportstopps profitieren vor allem die Großproduzenten, die Zehntausende Tiere unter einem Dach halten, und große Verarbeiter wie Tönnies. Für Biobauern wie Staar spielt der Export keine Rolle. Dass seine Tiere sterben müssen, damit der Export wieder möglichst schnell anläuft, ist für ihn unfassbar.
Wirtschaftliche Interessen gehen vor
„Wirtschaftliche Interessen gehen vor Tierschutz“, ärgert er sich. Dabei wollen doch alle mehr Tierwohl. Eine von Klöckner eingesetzte Expertenkommission unter Ex-Agrarminister Jochen Borchert hat Vorschläge für eine bessere Haltung der Tiere gemacht. Die Ministerin will in den nächsten Tagen eine Machbarkeitsstudie vorstellen, wie solche Reformen finanziert werden können. Staar ist längst weiter. Umso größer ist der Frust.
Die gesamte Bio-Branche ist betroffen
Damit ist er nicht allein. „Wir diskutieren in Deutschland Vorschläge der Borchert-Kommission, wie man die Nutztierhaltung verbessern und mehr Tierwohl schaffen will“, sagte Felix Prinz zu Löwenstein, Chef des Bundes ökologische Lebensmittelwirtschaft, dem Tagesspiegel. „Wenn die Bauern jetzt sehen, dass solche Haltungsformen unmöglich werden, sobald wieder einmal eine Seuche durchs Land geht, hat das keine Chance mehr.“ Es sei höchste Zeit, in der Krisenbekämpfung umzusteuern. Mit Zaunanlagen könne man artgerechte Haltung auch in Seuchenzeiten ermöglichen.
Drei Zäune, ist das nicht genug?
Staar hat gleich drei Zäune. Nach einem Wolfsangriff hat er einen Wolfsschutzzaun errichten lassen, der nicht unterwühlt werden kann. Zwei Elektrozäune ergänzen den Schutz. Auf normalem Wege kommt niemand an seine Schweine heran, nur Vögel könnten schlimmstenfalls infiziertes Material einschleppen. Das Risiko, meint der Bauer, sei aber sehr gering.
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Auf eine Entschädigung würde er verzichten
Zudem werden seine Schweine regelmäßig überwacht und auf das Virus kontrolliert. Sollte doch etwas geschehen, würde er sie selbstverständlich schlachten – und notfalls auch auf die staatliche Entschädigung verzichten, die alle von der ASP betroffenen Halter für ihre getöteten Tiere verlangen können. Die Politik überzeugt das nicht: Auf einen individuellen Verzicht auf Entschädigung könne keine Rücksicht genommen werden“, heißt es im Brandenburgischen Verbraucherschutzministerium, „ein Eintrag in einen Bestand hätte Auswirkung auf die gesamte Schweinewirtschaft.“