Desorientierte Taxifahrer in Berlin: Kutscher, was soll das werden?
Bundeskanzleramt? Nie gehört. Nach Weißensee? Lieber mal das Navi fragen. Immer öfter fahren Berlins Taxifahrer orientierungslos durch die Stadt. Dabei müssten sie in Zeiten von Carsharing zu ihrem eigenen Wohl besser sein als je zuvor.
Als der Wagen vorfuhr und ich auf der Rückbank Platz nahm, hatte ich ein gutes Gefühl. Die Fahrerin lächelte mich freundlich an, ihre Stimme klang nett, als sie sich nach meinem Fahrziel erkundigte. Von Friedrichshain nach Weißensee sollte es gehen, die Zeit drängte, deshalb musste das Taxi her. Ich nannte die genaue Adresse – und bekam schlechte Laune. Im Gesicht der Frau zeichnete sich unverzüglich Ahnungslosigkeit ab, die selbst bei der Nennung der nächstgelegenen Hauptstraße, des nächstgroßen Platzes nicht weichen wollte. Sie würde das lieber mal „ins Navi“ eingeben, sagte die Fahrerin und ließ sich Straßennamen sowie Hausnummer diktieren, um sie umständlich in das kleine rechteckige Kästchen neben dem Lenkrad einzutippen.
Die Fahrt dauerte länger als nötig, das kann ich als langjährige und einigermaßen ortskundige Autofahrerin mit Gewissheit sagen. Es lag hauptsächlich daran, dass wir strikt nach elektronischer Anweisung fuhren. Immer entlang der Hauptstraßen, mitten hinein in Baustellen und Staus. Dabei sollte doch genau das ein Alleinstellungsmerkmal eines Taxifahrers sein: sich gut in der Stadt auszukennen; zu wissen, wann bestimmte Strecken zu meiden, Alternativrouten zu bevorzugen sind; den Fahrgast mit Abkürzungen und Geheimwegen schnell, komfortabel und entspannt an sein Ziel bringen.
Damit wir uns nicht falsch verstehen: Dieser Text soll nicht als pauschale Hetze gegen eine gesamte Zunft missverstanden werden. Es gibt zweifelsfrei Vertreter, die Ahnung haben von ihrem Job, die jede noch so kleine Gasse kennen, jeden winzigen Platz zwischen Kladow, Karow und Zappendusterow. Die weder die Nerven des Fahrgastes noch den Taxameter zu dessen Ungunsten überstrapazieren. Wer jedoch das nähere Umfeld befragt, der bekommt immer öfter gegenteilige Geschichten zu hören. So wie die über jenen Taxifahrer, der auf die Ansage „Zum Bundeskanzleramt, bitte“ antwortete: „Wo ist dat denn?!?“
Dilettanten mit Taxi-Lizenz
So viel unverstellte Ehrlichkeit ist dabei die Ausnahme. Einschlägige Wissenslücken werden heutzutage gern, wie eingangs geschildert, unter Zuhilfenahme des Navigationssystems überspielt. Es ist ja auch so einfach: die Adresse eingeben, Gaspedal drücken, Kopf ausschalten. Ans Ziel kommt man immer, nur eben nicht so schnell und komfortabel, wie man sich das grad von einer Taxifahrt erwarten würde. Und das in Zeiten, in denen an gefühlt jeder Ecke ein Carsharing-Auto verfügbar ist, das man selbst für kleineres Geld, zur Not mit dem GPS des Smartphones, sicher durch den Verkehr navigieren kann.
Technologischer Fortschritt und die grassierende Do-it-yourself-Mentalität vermitteln einem heutzutage leicht das Gefühl, sich Expertenwissen auf allen erdenklichen Spezialgebieten aneignen zu können. Wer seine Handykamera halbwegs gerade auf ein Objekt auszurichten vermag und in der Lage ist, das festgehaltene Motiv durch ein Bildbearbeitungsprogramm wie Photoshop oder Instagram zu jagen, hält sich für einen Fotografen. Bei Menschen, die diesen Beruf tatsächlich erlernt, die Zeit und Geld in eine Ausbildung investiert haben und sich mit den Feinheiten und Extras ihres Metiers auskennen, erzeugt das einiges an Unmut, und zwar völlig zu Recht.
Taxifahrer, die ohne mit der Wimper zu zucken auf elektronische Hilfsmittel zur Orientierung im Straßenverkehr zurückgreifen, diskreditieren sich daher selbst. Ihr Verhalten zeugt von mangelnder Professionalität, denn es gibt dem Amateur auf der Rückbank zu verstehen: Schau her, du könntest das genauso gut wie ich, wenn du nur dieses Gerät zu bedienen imstande bist.
Noch glaube ich an das Wissen der Fahrer: Unlängst fuhr ich mit meinem eigenen Auto durch die Stadt, ein Freund saß auf dem Beifahrersitz. Weil ich mir wegen des Fahrziels nicht sicher war, wollte ich die Adresse ins Navigationssystem tippen. Als ich dazu ansetzte, blickte mich der Freund verwundert an. Wenigstens in seiner Heimatstadt solle man sich doch so gut auskennen, dass man ohne Hilfe an seinen Bestimmungsort gelangt, meinte er. Aber die Stadt ist groß, unzählige Straßen, unendliche Möglichkeiten des Abbiegens! „Ich bin doch kein Taxi“, sagte ich und tippte die Adresse zu Ende.
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