Wahlkampf in Berlin: Kurz vor Schluss packt die Politik die wichtigen Themen an
Die Politiker machen so kurz vor der Abgeordnetenhauswahl Tempo auf allen Kanälen und gehen in den Nahkampf. Schade, dass der Wahlkampf bald vorbei ist. Ein Kommentar.
Die Wahl in Berlin rückt näher, und langsam geht sie nahe. Dichter ran an die Menschen, die sich vor Flyern und gut gemeinten Wahlvorschlägen kaum retten können. Ran an Jüngere, die der Regierende Bürgermeister Michael Müller (SPD) bald per Snapchat erreichen will – hat er zumindest im analogen Fernsehen behauptet. Die Nahwahlkämpfer machen Tempo auf allen Kanälen. Viele Wähler macht es nervös, dass sie noch nicht wissen, wen sie wählen sollen. Da hilft zu sehen, wie die Politiker reagieren, die die Geschicke der Stadt in die Hand nehmen wollen. Sind sie geschickt? Ablesen lässt sich das an kleinen Szenen. Und an den großen Themen.
Die kleinen Szenen. Müller, plötzlich wieder mit Biss, geht seine Lieblingskoalitionspartnerin Ramona Pop von den Grünen im RBB an: „Sie sind noch in der Opposition. Sie wissen nicht, wovon Sie reden.“ Ist das Arroganz der Macht im seit Jahrzehnten rot regierten Rathaus? Oder schon eine Rückannäherung an Frank Henkel, den CDU-Berliner, der mit kernigen innenpolitischen Sprüchen die AfD entkernen will? Und Klaus Lederer, blitzgescheiter Linker: Er gibt Georg Pazderski, dem AfD-Bundeswehrgeneral a.D., nicht die Hand und haut ihm lieber mit der Frage auf die Finger, warum eine desolate Armee Vorbild für eine desolat verwaltete Stadt sein soll.
So munter war es lange nicht im politischen Berlin-Berlin – auch weil Umfragen nach wie vor ein knappes Rennen vorhersagen. Die Nervosität in den Parteizentralen steigt; längst wird der Tag nach der Wahlnacht geplant: Wie gut muss das Ergebnis sein, damit sich Müller in der SPD hält? Wie schlecht darf es für die CDU werden, um nicht die nächste Debatte um Angela Merkels Kurs frei bayerischem Wirtshaus geliefert zu bekommen? Berlin setzt Trends fürs ganze Land und die große Wahl im nächsten Jahr. Dabei zeigt sich: Berlin hat eigene Sorgen.
Die Richtungswahl
Die großen Themen: Die Mieten sind zu hoch, die Verwaltung ist zu lahm für eine schnell wachsende Metropole, der Verkehr rollt auf der letzten Felge, an Schultafeln quietscht die Kreide, die Angst vor Kriminalität steigt, das Vertrauen in Integration à la „Wir schaffen das“ sinkt. Viele dieser Probleme sind zu komplex für Wahlplakate und Kandidatenhearings – erst recht in einer Großstadt, die durch kleinstädtisch regierte Bezirke verwaltet wird.
Aber die Antworten weisen in wichtige Richtungen. Die rot-rot-grüne Koalition steht zumindest beim sozialen Wohnungsbau (auch wenn statt günstiger Appartments eher billige Ankündigungen errichtet werden). Verwaltung und Polizei bekommen mehr Personal – hier sind sich alle Parteien einig, schon wegen ihrer Versäumnisse. Beim Verkehr bedient jeder seine Klientel (die Grünen die Radler, die SPD die Autobahnfahrer), ebenso bei der Bildung (die CDU die Gymnasiasten). Spannend wird es beim Gefühl, der Angst vieler Menschen vor Einbrüchen, vor Flüchtlingen, vor Überforderung, vor dem Abstieg. Hier setzt die CDU auf laute Töne (in die Nebenbei-Innensenator Müller leise einstimmt), während die AfD weiter Angst vor kriminellen Ausländern schürt, die es laut Statistik kaum mehr gibt. Und die Grünen, vor dem Ziel seltsam verzagt, rufen weiter: Wir schaffen das schon.
So nah wie jetzt war Berlin seinen wichtigen Themen lange nicht wie in diesem Nahwahlkampf. Schade, dass er in zehn Tagen vorbei ist.