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Der Kurfürstendamm in Charlottenburg.
© imago/Jürgen Ritter
Update

Mordprozess in Berlin: Ku'damm-Raser: "War überzeugt, dass niemals etwas passieren könnte"

Drei Jahre hat Marvin N. zu den Vorwürfen geschwiegen. Jetzt hat er sein Schweigen gebrochen. Hat er sich mit dem Mitangeklagten des Mordes schuldig gemacht?

Was Marvin N. zu sagten hatte, wurde mit Spannung erwartet. N. und der mitangeklagte Hamdi H. sind längst als Ku'damm-Raser bekanntgeworden. Drei Jahre nach dem tödlichen Rennen auf dem Kurfürstendamm brach der 27-jährige N. nun sein Schweigen und äußerte sich erstmals vor dem Landgericht. „Mein AMG-Mercedes war mein Statussymbol“, heißt es in seiner Erklärung. Er sei „zutiefst“ davon überzeugt gewesen, dass ihm und anderen durch seine Raserei „niemals etwas passieren könne, weil ich einfach zu gut war“.

Vier Seiten sind es, die Marvin N. entlasten sollen. Weg von dem Vorwurf, er und Hamdi H. hätten tödliche Folgen billigend in Kauf genommen. So sieht es die Anklage. Sie hätten einen Unfall als möglich erkannt und sich damit abgefunden. Um den Sieg, zu erreichen. Eine bedingt vorsätzliche Tötung.

Marvin N. ließ die Erklärung am Dienstag durch einen seiner Verteidiger verlesen. Er sei sehr gerne sehr schnell gefahren - „voller Begeisterung darüber, was mein Auto so hergab“. Damals sei er davon ausgegangen, „schon frühzeitig potentielle Gefahrenquellen zu erkennen und auch Fahrfehler anderer Verkehrsteilnehmer durch mein fahrerisches Können sicher und folgenlos meistern zu können“. In seiner maßlosen Selbstüberschätzung habe er sich für einen perfekten Fahrer gehalten.

„Voller Begeisterung darüber, was mein Auto so hergab“

Ein Raser, dem das Risiko seiner Fahrt nicht in den Sinn kam? Und der – wie einer der Anwälte einmal sagte – „zu einem bedingten Tötungsvorsatz schlichtweg nicht fähig war“. Darauf wollen die Verteidiger hinaus. Für H. plädierten sie im ersten Prozess auf einen Schuldspruch wegen fahrlässiger Tötung, die Anwälte von N. plädierten auf eine Verurteilung wegen einer Gefährdung des Straßenverkehrs.

Hamdi H. und Marvin N. hatten sich in der Nacht zum 1. Februar 2016 in der City West ein illegales Autorennen geliefert. Mit bis zu 170 Kilometern pro Stunde waren sie über den Kurfürstendamm gerast. Bis Hamdi H. an einer für ihn roten Ampel in einen Jeep krachte. Der 69 Jahre alte Fahrer starb in seinem Wagen.

Die Staatsanwaltschaft geht dagegen von einem bedingten Tötungsvorsatz aus. Sie hätten tödliche Folgen ihrer halsbrecherischen Fahrt billigend in Kauf genommen. Der 27-jährige N. und der 30 Jahre alte Hamdi H. waren im ersten Prozess im Februar 2017 zu lebenslangen Freiheitsstrafen wegen Mordes verurteilt worden.

Der Bundesgerichtshof (BGH) hatte die Entscheidung vor einem Jahr aufgehoben und eine Neuverhandlung vor einer anderen Strafkammer des Landgerichts angeordnet. Die Bundesrichter sahen einen bedingten Tötungsvorsatz nicht ausreichend belegt.

Zufällig an einer roten Ampel begegnet

Marvin N. und Hamdi H., die sich flüchtig aus einer Bar kannten, waren sich zufällig an einer roten Ampel begegnet. H. habe in seinem Audi A 6 durch Motorengeräusche signalisiert, dass er ein „Stechen“ wollte. Von Ampel zu Ampel hätten sie rasen wollen. H. habe verloren. Der 30-Jährige sei dann einfach weiter gerast - „er verletzte damit die Regeln eines Stechens“.

Ex-Zeitsoldat N. aus Marzahn will zunächst sauer gewesen sein. „Was rast der Idiot so?“, habe er gerufen. „Letztlich entschied ich mich aber dafür, die Verfolgung aufzunehmen.“ Er sei ebenfalls losgerast, vielleicht auch bei Rot gefahren. Dann habe er die rote Ampel an der Kreuzung Nürnberger Straße gesehen. Er habe Gas gegeben, weil es fürs Bremsen zu spät gewesen sei. „Es wird schon gut gehen, da kommt keiner mehr quer“, habe er gedacht. „Den Jeep habe ich nicht gesehen.“ Am Ende eine Erklärung, in der indirekt ein bedingter Vorsatz zurückgewiesen wird.

Marvin N. will in der dreijährigen Untersuchungshaft sein „Ich hinterfragt und korrigiert“ haben. Auch sein Leben liege „in einem Scherbenhaufen“. Doch zur Bank der Nebenklage ihm gegenüber sah N. nicht. Einer der Söhne des Getöteten sagte später, er halte die Einlassung von N. für ein „taktisches Manöver und den Versuch, den Kopf aus der Schlinge zu ziehen“. Am Donnerstag sollen die Plädoyers beginnen. Zum Urteil könnte es am 26. März kommen.

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Kerstin Gehrke

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