Berlins größte Versammlung für nur einen Beschluss: Kritik an Pankower Sondersitzung trotz Corona-Krise
Trotz Corona-Krise tagte die Pankower BVV. Per Beschluss soll die Bebauung des Thälmannparks durch den Investor verhindert werden - für die Grünen unverantwortlich.
Alle gehen auf Corona-Distanz - nur die Pankower Lokalpolitik nicht. Zwar sind die regulären Sitzungen der Bezirksverordnetenversammlung Pankow wegen der Pandemie bis zum 20. April ausgesetzt worden. Dennoch hielt die BVV am Mittwochabend eine Sondersitzung ab, auf Einladung des Bezirksamts. Es stand nur ein Punkt auf der Tagesordnung: Eine Bebauung des ehemaligen Güterbahnhofs Greifswalder Straße in Prenzlauer Berg durch den Investor zu verhindern. Dafür sollten die 55 Verordneten durch die halbe Stadt fahren: Aufgrund eines fehlenden geeigneten Raums im eigenen Bezirk tagte die BVV in einer Lichtenberger Schul-Aula.
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Kritik daran kommt von den Pankower Grünen. „Das ist doch alles nicht verständlich", sagte Fraktionsvorsitzende Cordelia Koch. "Wegen der bestehenden Gesundheitsgefahr legen wir in Deutschland die gesamte Wirtschaft lahm." Aber in Pankow sei dieser eine Punkt offenbar "so wichtig, dass wir Verordneten unsere Gesundheit gefährden".
Hintergrund ist der Streit um die Fläche nördlich des Thälmannparks. Hier will der Investor Christian Gérôme seit acht Jahren Wohngebäude errichten. Das Bezirksamt will stattdessen eine Gemeinschaftsschule und dafür auch Teile von Gérômes Gelände nutzen. Dafür sollen ihm Teilflächen wieder abgekauft werden.
Nach jahrelangen Verhandlungen hat der Investor im vergangenen Frühjahr zwei Anträge für den Bau von Bürohäusern auf dem Areal gestellt. Der Bezirk hat darauf laut Gérôme bis zum Herbst nicht geantwortet, weswegen die Anträge rein rechtlich nun als genehmigt gelten würden. Gérôme vermutet nun, dass dies dem Bezirksamt und Lokalpolitikern inzwischen bewusst geworden sei. "Seitdem ist Druck in die Angelegenheit gekommen."
Um eine Bebauung zu verhindern, sei nun eilig die BVV-Sondersitzung durch das Bezirksamt einberufen worden. Baustadtrat Vollrad Kuhn (B'90/Grüne) bestätigt dies: Es existierten "Bauanträge bzw. Bauvoranfragen für insgesamt 6 Gebäude (4 Wohngbäude, 2 Bürogebäude) der privaten Eigentümer einer Teilfläche (...), die eine Schule verhindern würden".
Die Sondersitzung berief Kuhn ein, "da nicht absehbar war, wann überhaupt eine nächste reguläre Sitzung der BVV stattfinden könnte". Nach seiner Darstellung drohten Fristen für die "Genehmigungsfiktion" der Bauanträge abzulaufen - Gérôme hätte also tatsächlich einfach losbauen können. Der Investor macht für den Gegenwind aber insbesondere die Linkspartei des Bürgermeisters Sören Benn verantwortlich, die den Neubau in ihrem wichtigen Wahlbezirk am aktivsten bekämpfe. "Ein Armutszeugnis für den Bezirk, erbärmlich für die Stadt", sagte Gérôme.
Die Sonderversammlung inmitten der Pandemie halten auch die Pankower Grünen für falsch. "Insbesondere Versammlungen stellen eine große Gefahr dar, für die Gesundheit der einzelnen Bezirksverordneten, und damit für die Allgemeinheit", sagten der andere Fraktionsvorsitzende Oliver Jütting. "Denn wir begegnen vielen auf dem Weg zur Versammlung und bringen damit neue Gesundheitsgefahren in unsere Familien mit.“
Die vom Bezirksamt so dringend eingeforderte "Veränderungssperre" für das Gebiet habe zudem noch Zeit, die Frist dafür laufe erst im Juni ab. Jütting: „So wichtig es ist, den Schulneubau in Pankow voranzutreiben, so stellt sich hier doch die Frage der Verhältnismäßigkeit." Zwar gelte das aktuelle Versammlungsverbot ausdrücklich nicht für eine BVV. "Doch es geht nicht darum, was wir tun dürfen, sondern darum, was wir tun sollten. Und das ist eindeutig: Zuhause bleiben.“ Deswegen stellten die Grünen es ihren Verordneten frei, an der Sonder-BVV teilzunehmen.
Davon machten die meisten Grünen auch Gebrauch - immerhin der grüne Baustadtrat Vollrad Kuhn war zugegen und erläuterte die Dringlichkeit der Sache, die die Sondersitzung nötig gemacht habe. Auch ohne die Anwesenheit seiner Parteikollegen wurde der Beschluss gefasst. "Die Veranstaltung hat nicht mal eine halbe Stunde gedauert", berichtete Gérôme. "Das war Kindertheater mitten in der Corona-Krise."
Den Bau von Wohnungen hält Kuhn aber trotz des Sperrbeschlusses weiter für möglich, das werde im anlaufenden Bebauungsplanverfahren geprüft. "Ob und in welcher Form Wohnbebauung möglich sein wird, unterliegt letztendlich auch der politischen Willensbildung im weiteren Verfahren", sagt der Baustadtrat, "da die BVV am Ende des Bebauungsplanverfahrens den B-Plan beschließt."
Gérôme will sich damit nicht abfinden und kündigt eine Schadenersatzklage "in deutlicher Millionenhöhe" gegen den Beschluss an. Der Bezirk sei darauf "vorbereitet und schätzt die Chancen in Rechtsverfahren positiv ein", erklärt Kuhn. Er gehe davon aus, "dass wir auch zu einer Einigung kommen können, da beide Seiten ein Interesse daran haben und für uns die Absicherung der Schulversorgung in dieser Region am dringlichsten ist".