Antisemitismus und mehr: Krisengespräch nach religiösem Mobbing an Berliner Grundschule
Fachleute sollen die Paul-Simmel-Schule nach mehreren Vorfällen unterstützen. Den Vorschlag, Tandems aus Imamen und Rabbinern zu entsenden, finden nicht alle gut.
Nach dem Konflikt um religiöses Mobbing an der Paul-Simmel-Schule in Berlin-Tempelhof haben die Senatsverwaltung für Bildung und die Schulleitung den Eltern "ausdrücklich unser Bedauern ausgesprochen, dass es diese Entwicklung gab", teilte Verwaltungssprecher Torsten Metter nach einem Krisengespräch am Mittwochabend auf Anfrage mit.
Es sei vereinbart worden, dass die Schule "weitere Maßnahmen" ergreife. So werde eine Schulkonferenz zu diesem Thema einberufen, zu der auch Experten eingeladen würden. "Mit diesen externen Fachleuten wird die notwendige Organisationsentwicklung der Schule begleitet", so Metter.
Im Gespräch mit dem Schulleiter, den Eltern des betroffenen Kindes, der Schulaufsicht und der Antidiskriminierungsbeauftragten seien zudem "erste konkrete Maßnahmen vereinbart worden, die das friedliche Zusammenleben aller am Schulleben Beteiligten stärken sollen".
Dabei gehe es insbesondere um Demokratie- und Werteerziehung. Die Schulaufsicht und auch die Antidiskriminierungsbeauftragte würden diesen Prozess begleiten. In sechs Wochen werde es ein weiteres Gespräch mit den betroffenen Eltern geben.
Schulleiter bedauert "Irritationen"
Wie berichtet, hatte es an der Simmel-Grundschule im Laufe von zwei Jahren drei Vorfälle gegeben, die sich gegen ein nicht muslimisches Mädchen gerichtet hatten. Bei den ersten zwei Vorfällen wussten die muslimische Schüler noch nicht, dass das Mädchen ein jüdisches Elternteil hat. Der Vater des Mädchen betonte gegenüber dem Tagesspiegel, dass es sich um eine „direkte Bedrohungslage“ gehandelt habe. „Die Mitschüler haben meine Tochter mit Schlägen und dem Tod bedroht und sogar noch angefangen, eine entsprechende Mannschaft zu organisieren.“
Zudem hätten sie sinngemäß geäußert, dass Nichtgläubigen der Tod gebührt. Der Schulleiter habe das Geschehen verharmlost – zuletzt am Montag, als er Elternvertretern mitgeteilt habe, dass die muslimischen Schüler das Mädchen nur "angesprochen" hätten „zu den Themen Glaube und Religion“.
Dazu teilte Metter nach dem Gespräch am Mittwochabend mit, der Schulleiter habe erklärt, "dass er bedauert, dass seine Formulierung in der Mail an die Elternvertreter zu Irritationen geführt hat und der Eindruck entstanden ist, dass die Schule das Problem nicht ausreichend ernst nehmen würde". Er werde das auch noch einmal in einem Elternbrief klarstellen.
"Der Schulleiter hat deutlich gemacht, dass die Schule und er als Schulleiter religiöses Mobbing nicht tolerieren", so Metter weiter. Das Gespräch sei ein "wichtiger und intensiver Austausch" gewesen.
Imame sollen für Toleranz werben
In der Diskussion um das zunehmende Problem der religiösen Intoleranz bis hin zum religiösen Mobbing durch muslimische Schüler bestimmte am Mittwoch ein Vorschlag des Zentralrats der Muslime die Debatte: Dessen Vorsitzender Aiman Mazyek hat angekündigt, zehn Imame bereitzustellen, die „vorzugsweise“ mit Rabbinern in die Klassen gehen sollen, um für religiöse Toleranz und ein besseres Miteinander zu werben.
Eine „tolle Sache“ sei das, findet Berlins Landeselternsprecher Norman Heise, zumal die bisherigen Angebote in dieser Richtung nur in sehr geringem Umfang vorhanden seien. Eher zurückhaltend fiel dagegen die Reaktion von jüdischer Seite aus: Der Vorschlag, Rabbiner und Imame in Reaktion auf die antisemitischen Vorfälle an Schulen zu schicken, impliziere, dass es einen Konflikt zwischen Juden und Muslime gebe, sagte Deidre Berger, die Direktorin des American Jewish Committee (AJC) in Berlin. Dies sei aber eine falsche Annahme.
„Es gibt keinen Konflikt zwischen Juden und Muslimen – weder an unseren Schulen, noch in unserer Gesellschaft. Es gibt Antisemitismus und religiösen Hass, der sich einseitig gegen Juden richtet und immer mehr auch gegen jene, die nicht in das Weltbild radikaler Jugendlicher passen: junge Frauen, Homosexuelle oder säkulare Muslime“, fügte Berger hinzu.
Nötig sei daher kein gemeinsames Auftreten religiöser Vertreter, sondern eine klare Haltung muslimischer Verbände und ein „beherztes Eingreifen gegen religiösen Hass und Antisemitismus an unseren Schulen“. Daher brauche es mehr Angebote für Lehrer, Anlaufstellen, die dazu informieren, wie mit dem Thema umzugehen ist, und eine Stärkung der Schülerschaft, die sich anders verhält.
"Die Gefahr, instrumentalisiert zu werden"
Die sogenannten Tandems von muslimischen und jüdischen, aber auch muslimischen und christlichen Geistlichen sowie von Moscheevertretern und Homosexuellen werden seit einigen Jahren durch die Initiative „Meet2respect“ in Schulen geschickt.
Unter den Akteuren der ersten Stunde war auch der Rabbiner Daniel Alter, dem 2012 im Beisein seiner Tochter auf offener Straße durch muslimische Jugendliche das Jochbein gebrochen worden war. Alter ist inzwischen nicht mehr für die Initiative unterwegs: „Wenn Dialog Erfolg haben soll, dann muss er echt und offen sein und auf Augenhöhe stattfinden“, sagte Alter am Mittwoch auf Anfrage. "Wenn aber eine historische Tatsache wie die 1300-jährige Geschichte des islamischen Judenhasses, die ein Teil des Problems ist, geleugnet oder ignoriert wird, dann sehe ich die Gefahr, instrumentalisiert zu werden", sagte Alter in Bezug auf Erfahrungen bei den Schulbesuchen.
"Das freundschaftliche Bild bleibt"
Die Koordinatorin des Projektes, Susanne Kappe, betonte am Mittwoch auf Anfrage, dass die ehemalige Präsidentin des Brandenburger Verfassungsschutzes zum Koordinierungskreis von "Meet2Respect" gehöre. Kappe geht davon aus, dass sich mit den Tandems "dem religiösen Antisemitismus entgegenwirken lässt". Das freundschaftliche Bild, das ein Rabbiner und ein Imam bei einem solchen Klassenbesuch hinterlasse, präge sich ein und "bleibt in den Köpfen der Kinder". "Es wird doch immer wieder von Muslimen verlangt, dass sie sich positionieren", so Kappe weiter. Genau dies täten sie in dem Projekt.
Mehr Elternarbeit als Teil der Lösung
Der langjährige Leiter der Schöneberger Spreewald-Schule, Erhard Laube, warb dafür, der Elternarbeit mehr Beachtung zu schenken. Es sei wichtig, mit türkischen und arabischen Sozialarbeitern und Pädagogen das Vertrauen der betreffenden Eltern zu gewinnen. Daher habe er damals „Elterncafés“ installiert, in denen ein direkter Austausch möglich gewesen sein. Diese „authentische“ Elternarbeit sei dringend zu empfehlen. Man brauche den „ständigen Dialog“.
„Reflexhaft Tandems an die Schulen zu schicken – das bringt nichts“, meint Laube. Als Teil einer „pragmatischen Lösung“ sieht Laube aber auch einen staatlich kontrollierten bekenntnisorientierten Religionsunterricht. Auf diese Weise könne verhindert werden, dass die Kinder ihr gesamtes religiöses Weltbild nur aus ihren Elternhäusern und Moscheen bezögen, meinet ein Neuköllner Elternvertreter. Landeselternsprecher Heise hingegen hält diesen Weg für falsch. Berlin solle lieber bei seinem Weg bleiben, keinen staatlichen Religionsunterricht anzubieten. Das Grundwissen über die Religionen könne auch im Sachkundeunterricht vermittelt werden.
In Berlin gibt es rund 50.000 muslimische Schüler. Nur rund 5000 werden in der Grundschule vom Unterricht der Islamischen Föderation erfasst. Hingegen gibt es in anderen Ländern – etwa in Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen – einen staatlichen Islamunterricht, auf dessen Inhalte sich mehrere islamische Verbände zusammen mit den jeweiligen Kultusministerien geeinigt haben.