Jede zweite Wohnung fürs Gemeinwohl: Kreuzbergs Baustadtrat will mit „Ankaufsagentur“ Konzerne verdrängen
50 Prozent aller Wohnungen gemeinwohlorientiert: Geht es nach dem Grünen Florian Schmidt, soll der Staat den Mietmarkt umkrempeln. Wie soll das gehen?
Friedrichshain-Kreuzbergs Baustadtrat Florian Schmidt (Grüne) hat sich erneut in die Debatte um die Bekämpfung der Wohnungsnot in Berlin eingeschaltet. Schmidt fordert die Gründung einer Berliner „Ankaufsagentur“ sowie eine konzertierte politische Strategie für den Bestand von rund 1,9 Millionen Wohnungen in Berlin, sagte er dem Tagesspiegel.
Ziel müsse es sein, jede zweite Wohnung gemeinwohlorientiert zu verwalten und zu günstigen Mieten anzubieten. Schmidt zufolge ist dies eine Position der Grünen berlinweit und könnte damit auch den Wahlkampf prägen.
Hintergrund der Forderung sind zwei jüngst geplante private Deals von Wohnungsobjekten. In dem einen Fall hatte der Bezirk Mitte das Vorkaufsrecht ausgeübt. Er übernimmt die Wohnungen nun über eine Landesfirma.
Im zweiten Fall kaufte der Konzern Deutsche Wohnen 16 Wohnhäuser in Friedrichshain-Kreuzberg und Treptow-Köpenick, hatte dafür aber „Abwendungsvereinbarungen“ unterzeichnet und verpflichtete sich damit auf eine Verwaltung der Objekte nach sozialen Kriterien.
Baustadtrat Schmidt begründete seine Forderung nach Gründung einer „Ankaufsagentur wie in München“ damit, dass so mehr Zug hineinkomme in das politische Ziel der Grünen, jede zweite Wohnung in Berlin in Besitz Gemeinwohl orientierter Träger zu bringen. Bisher gebe es dafür „keine koordinierte Strategie“ in der Stadt.
Neubau alleine hilft nicht - Vorkaufsrecht muss stärker genutzt werden
Zwar gebe es vereinzelte Förderungen und Hilfen, um günstige Mietwohnungen etwa zugunsten von Genossenschaften und Stiftungen zu sichern. „Aber jetzt muss die Sicherung bezahlbarer Wohnungen mit höherem Tempo umgesetzt werden.“
Denn zurzeit liefen auch Ankäufe von privaten Konzernen mit Nachdruck. Es komme außerdem verstärkt zu „Umwidmungen“ von Mietwohnungen in Eigentumsobjekte, um auf diese Weise die Mietenregulierungen zu umgehen. „Gegen diesen Trend muss die öffentliche Hand ankämpfen“, sagte Schmidt.
Die wohnungspolitische Sprecherin der Grünen, Katrin Schmidberger, bestätigte Schmidts Forderung: „Die Mehrheit der Wohnungen in Berlin muss dauerhaft sozial gebunden sein, das haben wir Grünen schon im Jahr 2011 beschlossen“.
Durch Neubau allein sei diese Quote nicht mehr zu erreichen. Deshalb müsse das Vorkaufsrecht in Zukunft verstärkt ausgeübt werden. „Gerade in Corona-Zeiten und der schwierigen wirtschaftlichen Lage muss krisensicheres Wohnen für alle möglich sein“, sagte Schmidberger.
Der Baustadtrat hält das Ziel eines zu 50 Prozent gemeinwohlorientierten Wohnungsbestandes für erreichbar. Denn zum Bereich des „Gemeinwohls“ zählt der Grünen-Politiker genossenschaftliche Objekte und landeseigene Wohnungen, solche von Stiftungen und ebenso Wohnungen, die mit sozialen Belegungsrechten gebunden oder per Abwendungsvereinbarungen zu günstigen Mieten gesichert sind.
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Außerdem zeige das Beispiel der Stadt Wien, dass eine solche Quote erreichbar sei, erklärt Schmidt. Im eigenen Bezirk sei der Gemeinwohlbestand „in wenigen Jahren von 25 auf 27 Prozent gestiegen“ und das auch noch gegen anfängliche politische Widerstände. „Daher ist eine Quote von 50 Prozent bei dezidierter politischer Zielsetzung im neuen Koalitionsvertrag nach der Wahl möglich“, sagte Schmidt.
Der Kampf gegen die Wohnungsnot ist trotz bundesweit einmaliger Berliner Mietregulierungen nicht gewonnen. Die erhoffte Entspannung am Wohnungsmarkt bringen die bisherigen Regulierungen nur für wenige. Seit Einführung des Mietendeckels ist die Stadt aber bundesweit die einzige, in der die Mieten nicht mehr steigen, fanden Marktforscher der Firma „Value AG“ heraus, einer Gesellschaft für finanzwirtschaftliche Immobilienbewertung.
Lompscher: Land darf nicht zum Preistreiber werden
Laut eines Marktberichts, den die Firma gerade veröffentlichte, sanken die Mieten im zweiten Quartal des Jahres. Diese „Sondersituation“ in Berlin führen die Marktforscher auf die Einführung des Mietendeckels zurück. Dieser habe allerdings unerwünschte Nebenwirkungen: Die Zahl der Wohnungsangebote brach im gleichen Zeitraum regelrecht ein – um 25 Prozent. Den Run auf Berliner Kaufimmobilien bremsen die staatlichen Mieten dagegen kaum: Deren Preise seien auch im zweiten Quartal ähnlich wie bundesweit gestiegen, in Berlin um 1,3 Prozent.
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Berlins Senatorin für Stadtentwicklung und Wohnen Katrin Lompscher sagte dem Tagesspiegel bezogen auf Schmidts Forderung: „Das Ziel, so viele Wohnungen wie möglich in Berlin gemeinwohlorientiert zu binden, ist kein neues, aber ein gutes und richtiges Ziel.“ Das Land Berlin verfolge zwar eine gezielte Ankaufsstrategie. Dennoch müsse klar sein: „Angebotspreise setzen Grenzen, das Land darf nicht zum Preistreiber werden.“
Lompscher setzt deshalb auch auf die Steuerung des Wohnungsangebots auf Neubauflächen. Der „Stadtentwicklungsplan Wohnen 2030“ lege für neu geplante Baugebiete fest, dass jede zweite Wohnung eine günstige Mietwohnung sein muss. Auch die sechs landeseigenen „Wohnungsunternehmen seien durch die „Kooperationsvereinbarung“ mit dem Land auf die 50-prozentige Quote bezahlbaren Wohnraums eingeschworen, also auf den Bau Mietpreis- und belegungsgebundener Objekte.
Zudem verpflichte Lompschers Verwaltung „private Bauherren im Rahmen des Berliner Modells der kooperativen Baulandentwicklung dazu, 30 Prozent der Wohnfläche sozial gebunden zu errichten“. Dies sei allerdings bislang nur möglich auf Flächen, für deren Entwicklung die Erstellung eines Bebauungsplans erforderlich sei – wie beispielsweise bei den neuen Großsiedlungsprojekten am Stadtrand.