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Sein Abenteuerspielplatz. Oliver Mommsen, 49, wohnt seit 20 Jahren in Kreuzberg. Im Viktoriapark kennt er jeden Winkel.
© Kitty Kleist-Heinrich

Kiezspaziergang mit Oliver Mommsen: Kreuzberg ist sein Bullerbü

Er ermittelt in Bremen, lebt aber an der Bergmannstraße. Die Veränderung findet Schauspieler Oliver Mommsen vor allem spannend – im Kiez und im Beruf.

Er wird uns jetzt aber nicht nochmal versetzen, oder? Ein paar Tage zuvor, morgendlicher Anruf, drei Stunden vor der Verabredung: Sorry, in den Geburtstag reingefeiert, ein bisschen übertrieben, das wird leider nichts mit der Spaziererei. Also neuer Versuch, Dienstagvormittag, Treffpunkt unter der Monumentenbrücke, doch wo ist Oliver Mommsen?

Er hebt sofort ab. „Nein, die andere Seite“, ruft es frisch und fröhlich aus dem Telefon. Also rübergestiefelt, zurück nach Schöneberg, Treppe runter zum weißen Spielplatz mit der großen Burg, da sitzt er ja auf einer Bank, Oliver Mommsen, Schauspieler, Noch-Tatort-Kommissar. Fester Händedruck, breites Grinsen, Entschuldigungen in einem fort: schlechter Treffpunkt, und das mit der Absage, so peinlich... Hey, kein Problem, Kaminer hatte den Termin komplett vergessen, aber das ist eine andere Geschichte (die hier hoffentlich auch bald steht). Jetzt ist ja alles gut, also los.

Warum hier?

Mommsen lässt das Rennrad an der Bank gelehnt stehen und eilt, etwas aufgekratzt, hinter den breiten Brückenpfeiler zwischen S-Bahn und Fahrradweg, Graffiti-beschmiert, „WAR“ steht da in großen silbrigen Buchstaben, daneben ein Penis, ein Profi war das nicht. Vielleicht er, letzte Woche...? Mommsen lacht sich kaputt.

Urban-Tennis am Brückenpfeiler

Mensch, der ist ja richtig witzig, ein sympathisches Plappermaul mit unkontrollierbaren Haaren, gar nicht so weichgespült, wie er im Fernsehen manchmal rüberkommt – oder ist er einfach nur ein guter Schauspieler? Er holt sein Smartphone aus der Manteltasche, ein Selfie-Video: Er im flotten Sportdress, haut gekonnt die Tennisbälle an den Brückenpfeiler. „Ist doch cool, oder?“, fragt er, breit grinsend, und scheint weniger sich selbst als die Sache zu meinen: Er, undergroundmäßig unterwegs, ohne Ballwand und Verein, hinter ihm rauschen die S-Bahn-Züge vorbei. Mindestens drei Mal die Woche kommt er, Solo-Tennis und Seilspringen im Wechsel, manchmal Skateboard für die Balance, das helfe ihm auf der Bühne, sagt er. 90 Minuten dauert sein urbaner Parcours, Tatortlänge, dann fühlt er sich fit. „Ich muss draußen sein“, sagt er, auch beim Arbeiten: Im Sommer kann man ihn mit den Textbüchern, auf Din A5 kopiert, durch Kreuzberg wandern sehen, oder auch mal in der Hängematte im Viktoriapark, da schläft er aber meist ein. Deswegen hat er sich jetzt einen Klappstuhl gekauft, „den kleinsten Stuhl der Welt“.

Zum Abschalten nimmt er sein bordeauxrotes Rennrad, amerikanisches Reiserad, matschbespritzt, er nennt es liebevoll seinen „Volvo“, und fährt damit ins Umland. Weil er als Schauspieler immer auf andere hören muss, immer auf Abruf, hat er Privat einen Freiheitsdrang entwickelt, trifft Verabredungen höchstens spontan, lässt sich gern treiben. „Der Fahrradweg ist super“, sagt er und zeigt auf die neue Strecke, die unten an der Yorckstraße beginnt und hier unter der Brücke bis Südkreuz und Priesterweg führt, „irgendwann soll man bis Leipzig kommen.“

Er kennt Berlin noch als Abenteuerspielplatz

Er ist hier schon rumgelaufen, als das ehemalige Bahngelände am Gleisdreieck noch Brache war, Abenteuerspielplatz, das alte, wilde Berlin. Heute wächst die langgestreckte Parkanlage immer weiter. „Da habe ich mich bei Wowereit mal persönlich bedankt, als wir zusammen in einer Talkshow saßen“, erzählt Mommsen, der doch eigentlich am liebsten unpolitisch bleibt, sich aus allem raushält, „weil ich mich sonst nur aufrege“.

Nur die Sache mit den neuen Spielplätzen überall ärgert ihn: „Die hätte ich gern gehabt, als meine Kinder klein waren.“ Oskar und Lotte, heute 20 und 15, sind eine Ecke weiter aufgewachsen, rüber über die Monumentenbrücke, vorbei am neuen roten Riegel, für manche architektonisches Meisterwerk, für andere scheußliches Sinnbild der Gentrifizierung. „Ich warte darauf, dass jemand von denen schreit: ,Das ist zu laut!’, wenn ich da unten Tennis spiele. Dann schreie ich zurück: Zieh aufs Land!“

Neuanfang. Den letzten Tatort dreht Mommsen im Herbst.
Neuanfang. Den letzten Tatort dreht Mommsen im Herbst.
© Kitty Kleist-Heinrich

Es gab diesen kurzen Moment, als Lotte geboren wurde, als die Wohnung im fünften Stock in der Kreuzbergstraße über dem Steakhouse, Blick auf den Park, zu unpraktisch wurde. „Im Sommer heiß, im Winter kalt, das ganze Geschleppe: Mich kriegst du nie wieder unters Dach“, sagt er. Da haben sie überlegt rauszuziehen aufs Land, Kleinmachnow oder so. Nach der vierten Besichtigung standen sie am Mehringdamm im Stau und er hat gesagt: „Ich will hier nicht weg.“

Rollenspiele mit den Kindern? "Dafür nehme ich Geld."

Also sind die Kinder im Viktoriapark großgeworden: Hier haben sie Radfahren gelernt, im Wasserfall Staudämme gebaut, in den Büschen Verstecken gespielt, im Winter gerodelt, natürlich die wilde Strecke. „Das ist unser Abenteuerspielplatz“, sagt er und das Leuchten in seinen Augen verrät: Oliver Mommsen hat hier wirklich sehr viel Zeit mit seinen Kindern verbracht, auch wenn offiziell er für die Karriere zuständig war, seine Frau Nicola, studierte Produzentin, mit der er seit mehr als 20 Jahren zusammen ist, für die Kinder. „Nur Rollenspiele habe ich gehasst“, sagt er. „Dschungelbuch, da musste ich immer Balu sein, fürchterlich.“ Nein, Schauspiel sei sein Beruf, „dafür nehme ich Geld“.

Runter zur Großbeerenstraße, die wilde Strecke, dann auf der Kreuzbergstraße Richtung Mehringdamm. Seine Lieblingsanekdote: An der Ecke hat er mal einen Typen gesehen, gut beleibt, nicht verwahrlost, aber offensichtlich etwas verloren, ob er Hilfe brauche, habe Mommsen ihn gefragt. Der: Nee, ich warte hier nur, und habe dann weiter in die Gegend gestarrt. „Am nächsten Tag habe ich ihn in der Zeitung gesehen: Matthias Lilienthal, damals noch Dramaturg an der Volksbühne.“ Mommsen lacht wieder dieses ansteckende, leicht dreckige Lachen. „Solche Sachen erlebst du hier in Kreuzberg.“

Heute wohnt die Familie direkt in der Bergmannstraße, zweiter Hinterhof, Hochparterre mit Gemeinschaftsgarten, so richtig schön Rappelkiste, sagt er. „Und barrierefrei.“ Plant er, gerade 49 geworden, etwa schon für die Rente? Mommsen grinst: „Oskar nervt schon, wann wir endlich ausziehen, damit er die WG starten kann.“ Nein, Oliver Mommsen ist niemand, der lange im Voraus plant, er lässt die Dinge passieren, „ich kann mit Veränderungen gut umgehen“, sagt er, deswegen hat er auch beschlossen, dass mit Tatort nun Schluss sein soll. Drei Folgen mit den Bremer Kommissaren Stedefreund und Lürsen wird es noch geben, im Herbst drehen sie den letzten. Dann will er wieder mehr Zeit für neue Projekte haben, sich weiterentwickeln.

Die Berlinale nennt er liebevoll "Branchen-Fasching"

Ein bisschen Hoffnung ist für ihn immer auch die Berlinale, oder wie er es nennt liebevoll nennt: Branchen-Fasching. „Das ist nicht nur roter Teppich. Für uns Fernseh-Fuzzis ist das im Grunde sowas wie eine Fachmesse.“ Bei all dem bunten Treiben geht es für viele auch ganz klar um Jobs. „Es geht auch darum, Schubladen wieder aufzureißen, andere Seiten zu zeigen.“ Andere Seiten zeigt er auch gerade am Ku’damm, wo er mit seiner Dauerpartnerin Tanja Wedhorn im gefeierten Stück „Die Tanzstunde“ einen Autisten spielt. Dass die beiden historischen Bühnen im Mai nun tatsächlich abgerissen werden, nennt er „eine Vollkatastrophe“, unfassbar, dass sowas passieren kann, echauffiert er sich, aber er will ja unpolitisch bleiben und überhaupt heißt es nun nach vorn gucken, „das Schillertheater rocken, dann das neue Theater füllen“.

"Ein Kreuzberger kann auch Mercedes fahren und Gucci tragen"

Ähnlich sieht er es auch mit der Bergmannstraße. „Ich werde mich nicht auf die Straße stellen und rufen: Früher war alles besser.“ Der Wandel habe ja auch etwas Spannendes. „Und die alteingesessenen Kräfte sind groß genug, damit das hier nicht zum Disneyworld verkommt.“ Die Ur-Chaoten sitzen immer noch im Turandot, Ecke Solmsstraße, auch wenn gegenüber das Kochhaus eröffnet hat. Und der Kreuzberger ist für ihn ohnehin jemand, der lebt und leben lässt, der seine eigene Meinung hat, aber die Leute damit nicht penetriert. „Der muss jetzt nicht unbedingt aussehen wie der junge Joschka Fischer, er kann auch mit dem Mercedes kommen und Gucci tragen“, sagt er und erschrickt vor sich selbst: „Bitte nicht in die Überschrift schreiben!“

Wir gehen trotzdem nicht durch die Bergmannstraße, lieber hinten rum, Fidicinstraße, wo er zum ersten Mal Theater gespielt hat im „Zerbrochenen Fenster“, gleich oben, Nummer 3, Hinterhof, gibt es heute leider nicht mehr, ein Stück weiter Oskars Schülerladen.

"Wie Bullerbü in der Großstadt: Die Leute passen auf sich auf"

Am Wasserturm links am Titanic-Verlag vorbei, gegenüber luxussanierte Altbauten. „Ich bin froh, dass ich auf dem Chamissoplatz nicht mehr jedes Wochenende vegane Waffeln essen muss“, sagt er. Am Brunnen sitzt er gern noch im Sommer, Textlernen natürlich, aber auch Leute gucken. Irgendwer tut sich immer weh, weil die Kinder den Sand auf den nassen Marmor tragen, ausrutschen, sich den Kopf anhauen. „ Es wäre eine Tragödie, den Brunnen nicht anzumachen, aber es sollte mal jemand ein Schild aufstellen.“

Zum Abschluss noch schnell in die Markthalle, Cappuccino bei Le Bretagne, sie machen ihm ein extra schönes Bärchengesicht auf seinen Milchschaum. „Den kann ich nicht trinken“, ruft er rüber, das ist sein Kiez, er kann hier Stunden verbringen, mit den Leuten quatschen. „Es ist so ein bisschen Bullerbü in der Großstadt“, sagt er. „Die Leute passen auf sich auf.“ Und wenn er ständig erkannt wird? „Soll mir mal einer erzählen, dass er das nicht toll findet“, sagt er. Und, das gilt schließlich auch für Kreuzberg: Die meisten Menschen sind ja nett.

„Die Tanzstunde“ läuft noch bis zum 25. Februar in der Komödie am Kurfürstendamm, Karten ab 13 Euro, weitere Infos unter: www.komoedie-berlin.de. Der nächste Tatort „Im toten Winkel“ läuft am 11. März in der ARD.

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