zum Hauptinhalt
Silke Gebel, 36, ist Co-Fraktionsvorsitzende der Grünen im Berliner Abgeordnetenhaus.
© Promo

Grünen-Abgeordnete Silke Gebel: "Das Problem sind nicht die Frauen, das Problem sind die Männer"

Helfen Sexboxen den Prostituierten an der Kurfürstenstraße? Und warum kommt die Verkehrswende in Berlin nicht voran? Ein Interview.

Von Laura Hofmann

Silke Gebel, 36, ist Co-Fraktionsvorsitzende der Grünen in Berlin und Abgeordnete aus Mitte. Im Interview spricht sie darüber, warum die Verkehrswende im grün regierten Bezirk nicht vorankommt, was sie von Sexboxen für Prostituierte an der Kurfürstenstraße hält und wie sie die Sonntagsöffnung von Spätis durchsetzen möchte. Außerdem über Vereinbarkeit von Familie und Beruf - sie hat vor Kurzem ihr drittes Kind bekommen.

Die Grünen stellen seit fast drei Jahren den Bürgermeister in Mitte und sind an der Landesregierung beteiligt. Trotzdem kommen einige grüne Themen nicht voran: Viele Hauptstraßen haben zum Beispiel noch immer keine Radwege, geschweige denn sichere. Warum schaffen es die Grünen nicht, hier stärkere Akzente zu setzen?

Auch uns geht es nicht schnell genug mit der Verkehrswende. Zum Regierungsantritt mussten wir aber mit  vielen Planungen bei null angefangen. Wir wollen die Verkehrswende in Mitte umsetzen, zum Beispiel mit mehr und sichereren Radwegen und verkehrsberuhigten Gebieten. Ich habe aber in vielen Gesprächen, auch mit Verwaltungsmitarbeitern, erlebt, dass in den Jahren vor der grünen Regierungszeit andere Signale gesendet wurden. Da steuern wir jetzt gerade um. Und ich erlebe Sabine Weißler als sehr engagierte Stadträtin, die auch Verwaltungen aufbaut und sagt: Wir wollen jetzt die Listen, die ihr eigentlich insgeheim schon hattet, um eine Verkehrswende einzuleiten, auch abarbeiten und umsetzen. Es geht langsamer voran als wir wollen. Aber ich sehe jetzt schon die ersten grünen Radwege auf den Straßen, das macht mich optimistisch, dass da jetzt zur Halbzeit ganz viel ausgerollt wird.

Bürgermeister Stephan von Dassel wird von seiner eigenen Partei, auch von Ihnen, häufig kritisiert, zum Beispiel beim Thema Sonntagöffnung von Spätis. Sie sind dafür…

Stephan von Dassel spricht immer die Konflikte an, die es in Mitte gibt. Und es gibt Spätis, die an sehr touristisch geprägten Orten die Kiezkultur negativ beeinflussen. Da muss man drüber reden, wie wir das wirtschaftliche Interesse der Gewerbetreibenden mit den Interessen von AnwohnerInnen zusammen bringen können. Gleichzeitig sollte man aber auch die Frage stellen: Sollten Spätis nicht sonntags öffnen dürfen und kann man dafür eine Berliner Regelung finden? Da muss man sehen, wie sich das mit dem Bundesgesetz vereinbaren lässt. Ich habe vorgeschlagen, eine Späti-Konferenz zu machen, auch um zu erfahren, was die Gründe dafür sind, dass Spätibetreiber ihre Läden sonntags öffnen wollen. Da sind wir gerade dran. Und da kann man auch mit Stephan von Dassel gute Gespräche führen.

Es geht ja vor allem auch um die Nacht von Samstag auf Sonntag. Sie wohnen ja selbst in einem der Partykieze, am Rosenthaler Platz. Sind Sie da nicht auch genervt vom Lärm der zu Kneipen umfunktionierten Spätis?

Der Rosenthaler Platz hat insgesamt nachts eine große Partyszene, da ist der Späti nur ein Baustein. Es gibt total viele Bars, Restaurants, Cafés. Ich persönlich mag, dass es da so belebt ist. Aber man muss natürlich immer wieder mit den Anwohnern schauen, wie kriegt man das beides zusammen? Ich kenne Anwohner, die sagen: Ich finde das gut, dass hier so viel los ist, ich fühle mich dann auch sicherer, hätte aber gerne einen Schallschutz und der wird nicht bezahlt. An solchen Sachen müssen wir arbeiten. Am Rosenthaler Platz habe ich das Gefühl, dass es dort mittlerweile eine friedliche Koexistenz gibt. Um den Konflikt am Weinbergsweg zu lösen, gibt es einen Runden Tisch. Und der Außendienst des Ordnungsamts darf jetzt bis Mitternacht unterwegs sein, das ist auch ein Fortschritt.

[Mehr aus Mitte können Sie jeden Mittwoch im Tagesspiegel lesen. Dann erscheint der Newsletter für den Bezirk. Zur kostenloses Anmeldung hier entlang.]

Auch in der Debatte um ein Sperrgebiet im Kurfürstenkiez sind Sie nicht auf von Dassels Linie…

Mein Ziel ist, dass die Frauen selbstbestimmt leben können. Und ich glaube, dass ein Sperrgebiet dazu nicht führt. Deswegen muss man gut unterscheiden, welche Gründe hinter der Prostitution stecken. Wenn Frauen gezwungen werden, gibt es die klare polizeiliche Aufgabe, das zu verfolgen. Ansonsten braucht man niedrigschwellige Angebote wie den Frauentreff Olga vor Ort, da muss man schauen, ob die noch ausgeweitet werden müssten. Es gibt da keine einfache Antwort. Wenn man den Straßenstrich sperrt und die Frauen aus der öffentlichen Wahrnehmung verbannt, hilft man ihnen nicht. Außerdem müsste die Landesebene über das Sperrgebiet verfügen. Und das werden wir nicht tun. Es gibt den Runden Tisch Sexarbeit, dessen vorgeschlagene Maßnahmen für ein besseres Miteinander im Kiez durch den Haushalt finanziert werden müssen. Klar muss aber sein: Das Problem sind nicht die Frauen, das Problem sind die Männer, die Freier und die Zuhälter, die gewalttätig sind.

Können Verrichtungsboxen eine Lösung sein?

Da gibt es unterschiedliche Erfahrungen aus anderen Städten, wir beraten das gerade in der Partei. Ich bin grundsätzlich offen dafür, weil die Frauen durch einen Notfallknopf geschützt werden könnten. Man muss die Sexarbeiterinnen fragen, ob für sie Verrichtungsboxen der richtige Weg sind. Und wenn das so ist, dann unterstütze ich das.

Was wollen Sie in Mitte in dieser Legislaturperiode noch bewegen?

Mehr sichere Radwege und gute Schulplätze. Und dafür auch neue Wege gehen. Zum Beispiel am Standort des ehemaligen Diesterweg-Gymnasiums. Da sollten wir einen neuen, ungewöhnlichen, kreativen Weg gehen und Schule, Wohnen und sonstige Nutzungen kombinieren, so dass alle hinterher sagen: In Mitte haben sie es trotz Flächenknappheit hinbekommen. Für uns ist klar, dass das ein Schulstandort ist. Wir waren im Übrigen immer dagegen, Schulstandorte aufzugeben. Aber dieses Grundstück ist nur noch in öffentlicher Hand, weil damals die Initiative PS Wedding gesagt hat: Wir machen hier was draus. Und deshalb müssen wir jetzt mit der Initiative einen gemeinsamen Weg finden. Denn ansonsten geht auch Vertrauen in Politik verloren. Ich möchte einen integrativen, modernen Standort, der Schule, Wohnen und Kultur kombiniert.

Aber würde das nicht weniger Schulplätze bedeuten?

Wir wollen dort so viele Schulplätze wie möglich schaffen, aber wir müssen auch Geflüchtete unterbringen. Und wir brauchen auch Wohnungen. Wir dürfen nicht für die Stadt berechtigte Anliegen gegeneinander ausspielen! Deswegen werden wir generell, nicht nur an diesem Standort, in die Höhe bauen müssen. Eine Schule mit einer Turnhalle oben drauf oder Wohnungen, das war ein grüner Vorstoß in der Schulbauoffensive. Das kann man hier mal durchexerzieren. Wir haben insgesamt in Mitte viel zu wenig Flächen. Das heißt, wir müssen hier sowieso neue und kreative Wege aufzeigen, wie wir mit wenig Fläche viel leisten können. Dazu können wir beispielsweise in die Höhe gehen und Mehrfachnutzung zulassen. Wir sollten also auch über fünfstöckige Schulen reden anstatt Schulen auf Grünflächen zu bauen.

Sie haben vor Kurzem Ihr drittes Kind bekommen. Wie schaffen Sie es, Politik und Familie zu vereinbaren?

Wir Grüne sind eine sehr familienfreundliche Partei. Bei uns ist klar, dass Vereinbarkeit von Familie und Beruf gehen muss. Deswegen legen wir die sehr wichtigen Sitzungen auf eine Kernzeit von 9 bis 15 Uhr. Und dadurch, dass meine Co-Vorsitzende und ich in einer ähnlichen Situation sind, kann man das auch gut steuern. Aber ich habe auch einen sehr feministischen Mann an meiner Seite – Erziehung ist ja Teamarbeit – der natürlich einen ganz großen Teil auffängt. Und ein ausgeklügeltes Kindersitter-System, gekoppelt mit einer tollen Kita und einer tollen Schule, bei dem ich ohne schlechtes Gewissen sagen kann, ich geh jetzt arbeiten, weil die Kinder gut aufgehoben sind. Es ist ein großer Organisations-Aufwand, es ist nicht immer einfach. Man muss sich die Zeit für die Familien auch nehmen . Quality-Time mit den Kindern eintakten und man sieht den Preis, den man vielleicht zahlt, erst hinterher. Mit drei Kindern ist es wirklich hart. Deswegen ist der Sonntag auch total politikfrei – wenn nicht gerade eine Krise reinmarschiert, die man dann lösen muss als Fraktionsvorsitzende.

Wird Ihrem Mann die Vereinbarkeits-Frage auch gestellt?

Weniger, das stimmt schon. Bei Männern wird meist gesagt: Toll, dass du das machst, also Elternzeit nehmen zum Beispiel. Bei Frauen wird eher besonders genau hingeschaut, ob sie es hinbekommen statt zu unterstützen wie sie es hinbekommen. Ich bekomme aber viele Zuschriften von Frauen, die sagen: Wenn ihr das schafft, dann trau ich mich das auch. Das freut mich und ich möchte alle ermutigen sich zu trauen! Hart sind die vielen Abendtermine, die man wahrnehmen muss und die ich auch wahrnehmen möchte, weil Politik im Austausch mit der Bevölkerung stattfinden muss. Und das sehe ich auch bei unseren Bezirksverordneten. Da müssten wir eine Debatte anstoßen: Wie kriege ich Vereinbarkeit von Politik auf Bezirksebene und Familie hin? Die große Lebenslüge in Berlin ist, dass die Bezirksverordnetenversammlung ein reines Ehrenamt ist. Ich kenne so viele Leute, die deswegen in ihrem Beruf reduziert haben. Und die gehen, wenn sie Kinder haben. Da müssen wir strukturell was verbessern.

Berlin soll ein Paritégesetz bekommen. Das würde bedeuten, dass die Grünen-Fraktion weibliche Abgeordnete verliert, weil das Gesetz eine Geschlechterquote von 50 zu 50 vorsieht…

Wir diskutieren das Paritégesetz gerade bei uns in den Gremien. Wenn man sich anschaut, warum Frauen in der Politik strukturell benachteiligt sind, hat das was mit den Bezirkslisten zu tun. Bezirkslisten werden in anderen Parteien häufig von starken „Bezirksfürsten“ aufgestellt. Und wenn ich da als Frau – aus welchen Gründen auch immer – abends in der Stammtischrunde nicht dabei bin, komme ich vielleicht nicht auf Platz eins. Deswegen müssen die Bezirkslisten abgeschafft werden, um Parität herzustellen und die strukturelle Benachteiligung von Frauen zu beenden. Außerdem müssen die Wahlkreise doppelt aufgestellt werden, damit nicht wie in Brandenburg der Frauenanteil im Parlament durch die Wahlkreise noch geringer wird. Und wenn dann das Gesamtpaket steht, werden auch die Grünen das für sich und ihre Strukturen bewerten.  Wenn es keine Ergebnisparität gibt, ist es aus grüner Sicht nicht vernünftig zu sagen, wir schicken jetzt weniger Frauen ins Parlament.   

Hält die Parlamentsreform, die Plenum bis 22 Uhr vorsieht, nicht noch mehr Frauen davon ab, in die Politik zu gehen?

Das war nicht unser Vorschlag, die Sitzungen so lange zu machen. Wir hätten auch gut damit leben können, Donnerstag und Freitag Plenum zu haben. Wir tragen diesen Kompromiss jetzt aber mit. Und wir müssen gucken, wie das funktioniert. Ist das wirklich familienfeindlich, kann man zu so später Stunde noch gut tagen? Wenn wir sehen, es geht nicht, muss man eine andere Lösung für die Plenarsitzung finden.

Zur Startseite