Neubautour mit dem Regierenden: Kommt jetzt die große Wende im Berliner Wohnungsbau?
Am Mittwoch veranstaltete Michael Müller seine Neubautour zusammen mit Berliner Senatoren. Es zeigt sich: Ein bisschen Wahlkampf ist immer.
Als ehemaliger Bausenator hat der Regierende Bürgermeister Michael Müller (SPD) ein Faible für Veranstaltungen wie die Neubautour: Mit den Geschäftsführern der sechs landeseigenen Wohnungsunternehmen einmal quer durch Berlin zu den wichtigsten in Stein gegossenen oder mit Holz errichteten Neubauten oder mal zu den Stoppelfeldern in Rudow, wo Mietwohnungen entstehen – das vermittelt Handlungsfähigkeit und Tatendrang. Und es qualifiziert für den von ihm selbst verkündeten Wunschposten nach dem fest geplanten Einzug in den Bundestag bei den bevorstehenden Wahlen – als Bundesbauminister.
Neu an der Neubautour ist in diesem Jahr aber auch: Umwelt- und Verkehrssenatorin Regine Günther (Grüne) stieg mit in den Reisebus ein. Einer der Mitreisenden feixte: Jetzt, wo Kartin Lompscher (Linke) als Senatorin zurückgetreten sei, stehe sie im Senat als „Bauverhinderin“ da. Günther will davon nichts wissen: Am Pankower Tor, wo wegen der in Berlin sonst nirgendwo zu findenden Kröten der Bau dringend benötigter Mietwohnungen weitere zwei Jahre aufgeschoben wird, habe sie Angebote unterbreitet, die auch den Investor zufrieden stellen. Den Beweis, dass sie nichts verhindere, aber eben auch Umwelt-„Recht nicht beugen wird“, trete sie jederzeit gerne an.
„Ja, Herr Senator, guten Morgen“, ruft Müller Sebastian Scheel zu. Der Linke-Politiker wurde jüngst vereidigt und führt nun das Ressort für Stadtentwicklung und Wohnen. Als Dritter im Bunde war damit die geballte Kompetenz und Zuständigkeit für den Neubau in der Stadt versammelt.
Da drängte sich die Frage auf: Kommt jetzt die große Wende im Wohnungsbau, Herr Müller? „Ja, das ist die rot-rot-grüne Strategie“, kontert der Regierende scharf: Erst war der Senat jahrelang im Verzug, aber jetzt soll rechtzeitig „vor der Wahl alles fertig“ sein.
Tatsächlich bauen die sechs landeseigenen Unternehmen in Berlin kräftig. Das gerät wegen des trotzdem akuten Mangels an Wohnungen und der Tatsache aus den Augen, dass statt der 30 000 versprochenen landeseigenen Wohnungen in dieser Legislaturperiode nur „etwas weniger als 25 000“ fertig werden, wie Scheel erneut bestätigte.
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Die landeseigene Degewo zeigte eine Häuserzeile am Rande des Mauerparks, Ecke Gleimstraße, wo 52 Wohnungen fertig wurden, die durchschnittlich für 8,32 Euro je Quadratmeter vermietet wurden. 3 000 Berliner bewarben sich auf der Online-Plattform um einen Mietvertrag. Am Ende verhandelten die Mitarbeiter der Firma mit zehn Bewerbern je Wohnung.
50 Bewerber pro Wohnung – das ist kein Einzelfall
Ein Einzelfall? Nein, das ist die Regel: In Johannisthal, wo die Howoge 314 Wohnungen erbaute, die Hälfte davon gefördert und zu günstigen Mieten vergeben, wird das Los über den Mieter entscheiden: Nach Besichtigungen rechnet Geschäftsführer Ulrich Schiller mit 50 Bewerbern je Wohnung. In Strahlau, wo die Landesfirma ebenfalls baute, seien es 500 Bewerber pro Wohnung gewesen.
Nicht mal mehr an den Rändern der Stadt müssen die Unternehmen fürchten, auf neu gebauten Wohnungen sitzen zu bleiben. Dort liegen auch die meisten Bauvorhaben: Am Buckower Damm standen Müller, Scheel und Günther auf einem weiten leeren Stoppelfeld. Gegenüber Sozialbauten aus den 1970er Jahren aus grauem Beton. Immerhin kann die Firma Stadt und Land hier klotzen und muss nicht kleckern: 900 Wohneinheiten entstehen hier, die Hälfte mit „sozialer Bindung“.
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Zum Ziel haben sich die Bauherren eine CO2-neutrale Wärmeversorgung des Quartiers gemacht. Auf die Dächer der Häuser kommen Solarzellen zur Erzeugung von Strom, der den Mietern angeboten wird. Die Landesfirma will Genossenschaften als Partner mit ins Boot für Teile der Fläche nehmen, auch Stiftungen oder gemeinnützige Vereine und Gesellschaften kommen infrage. Im Herbst sollen die Verträge unterschrieben werden, bis zum Jahr 2026 die letzten Wohnungen fertig gestellt sein.
Geringer Energieverbrauch und andere Formen des „nachhaltigen“ Bauens und Betriebs sind bei allen Projekten des Landes wichtige Aspekte. Wo es geht, werden Autos aus dem Quartier verbannt, etwa bei der Howoge in Johannisthal. Stattdessen werden Lastenfahrräder mit Elektroantrieb den Mietern angeboten. Die Ladestationen sind in der angrenzenden Garage.