Stadtautobahn A100: Kommt auch in Berlin ein Dieselfahrverbot auf der Autobahn?
Nach dem Urteil in NRW rückt die Berliner Stadtautobahn in den Blick: Der Senat ist zurückhaltend. Die Umwelthilfe rechnet mit einer Sperrung der A100 am ICC.
Erst die Autobahn in Essen - jetzt auch die A100 in Berlin? Nach dem Gerichtsurteil für die Stadt Essen könnten ausgerechnet auf diesem Abschnitt laut Deutscher Umwelthilfe (DUH) ein Diesel-Fahrverbot drohen. Das erklärte Peter Kremer, Anwalt der DUH und verantwortlich für deren Klage vor dem Verwaltungsgericht Berlin, auf Nachfrage des Tagesspiegels. Es ist der am stärksten befahrene Autobahnabschnitt Deutschlands. Mehr als 200.000 Fahrzeuge passieren täglich das Autobahndreieck Funkturm.
Die Organisation hat auch schon einen Abschnitt ausgemacht, auf dem Fahrverbote für Dieselfahrzeuge aus Sicht des Verbands nur schwer zu umgehen sein werden.
Konkret geht es um den Bereich der A100 zwischen Kaiserdamm und ICC. Laut Umweltatlas zur verkehrsbedingten Luftbelastung im Straßenraum werden in zahlreichen an die Autobahn angrenzenden Straßen der zulässige Höchstwert von 40 µg/m³ Stickstoffdioxidkonzentration überschritten. In der Rognitzstraße (Berlin-Charlottenburg) lag der Wert zum Zeitpunkt der Messung im Jahr 2015 mit 74 µg/m³ beinahe 100 Prozent über dem zulässigen Grenzwert.
Nächster Termin: März 2019
Laut einem Urteil des Berliner Verwaltungsgerichts muss der Senat an dieser wie an allen anderen Stellen der Stadt bis Ende März 2019 dafür sorgen, dass der Grenzwert eingehalten wird. „Ich halte es für unwahrscheinlich, dass es andere Möglichkeiten für eine Einhaltung gibt als ein Fahrverbot für Diesel-Fahrzeuge“, sagte dazu Peter Kremer, Anwalt der DUH und verantwortlich für das Klageverfahren in Berlin. Er wies darauf hin, dass der tatsächliche Wert sogar noch höher liegen könnte.
In der Tat hatte das Berliner Verwaltungsgericht in seinem Urteil vom 9. Oktober festgestellt, dass die durch das Modell zur Berechnung der Stickstoffkonzentration in Berlin modellierten Werte im Schnitt zehn Prozent unter dem tatsächlichen Wert liegen. Für die Rognitzstraße läge die Stickstoffdioxidkonzentration dann bei 82 statt 74 µg/m³.
Rückendeckung erhält Kremer von Wolfgang Köck, Umweltjurist am Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung. „Wenn Grenzwerte dort nicht eingehalten werden, besteht Handlungsbedarf“, sagte Köck und kritisierte die „scheibchenweise Strategie“, mit der aktuell vielerorts auf Grenzwertüberschreitungen reagiert werde. „Flächige Verbote sind nötig“, sagte Köck, alles andere habe nur Verlagerungseffekte zur Folge.
Die Ursachen für die hohe Stickstoffbelastung in diesem Bereich der A100 ergebe sich aus zwei Faktoren, so Kremer: Ersten stehen die Häuser sehr nah an der Autobahn, zweitens verläuft diese in dem Bereich in einem Trog, der kaum Luftaustausch zulässt. Da sich diese Konstellation auch im weiteren nördlichen Verlauf der A100 immer wieder findet, könnte es auch dort kritisch werden, so Kremer weiter.
Senatsverwaltung: Fahrverbot brächte "große Nachteile"
Unklar ist, inwiefern ein mögliches Dieselfahrverbot auf der A100 durch das Verwaltungsgerichtsurteil abgedeckt ist. Fachanwalt Remo Klinger, der in anderen Bundesländern auch die DUH vertritt, erklärte dazu: „Um das vollständig bewerten zu können, müssen wir die Urteilsbegründung abwarten, die bislang nicht vorliegt.“ Klinger ist sich aber sicher: Sollte ein in Rede stehendes A100-Dieselfahrverbot nicht abgedeckt sein, wird die DUH nach einer möglichen Berufung durch den Senat eben jenes zum Gegenstand der Klage machen. „Es spricht vieles dafür, dass das Oberverwaltungsgericht dann so urteilt wie das Verwaltungsgericht Gelsenkirchen“, sagte Klinger mit Bezug auf ein am Donnerstag gefälltes Urteil aus Nordrhein-Westfalen. Dort war ein Dieselfahrverbot über einen Teil der durch Essen führenden A40 angeordnet worden, sollten die Grenzwerte künftig nicht eingehalten werden.
Die Behörde von Umweltsenatorin Regine Günther (parteilos) stellte klar, dass ein Fahrverbot auf der A100 mit „sehr großen Nachteilen“ verbunden wäre. Sollten durch den Ausweichverkehr andernorts Grenzwertüberschreitungen drohen, „wäre ein Fahrverbot auf der Stadtautobahn als ungeeignet und damit als rechtswidrig einzuschätzen“. Auch bestünden große Zweifel an der Verhältnismäßigkeit einer solchen Verkehrsbeschränkung.
Fahrverbote sind schwer zu kontrollieren
Die Umsetzung eines solchen Fahrverbots könnte vor allem die Polizei an ihre Grenzen bringen – das zeigt ein Blick nach Essen. Dort sieht die Gewerkschaft der Polizei erhebliche Probleme bei der Kontrolle des Dieselfahrverbots für die Autobahn 40. Bei dem bestehenden Personalmangel sei „die Überwachung einer Umweltzone sicher nicht Priorität Nummer eins für die Polizei“, sagte der NRW-Landesvorsitzende der Gewerkschaft der Polizei, Michael Mertens, am Freitag der Deutschen Presse-Agentur.
Ohne zusätzliche Beamte könne diese Aufgabe nicht bewältigt werden, machte der Gewerkschafter klar. „Das geht auch nur, wenn man von außen erkennen kann, welches Auto in die Zone gehört und welches nicht.“ Wenn sich die Polizisten erst den Fahrzeugschein oder ein anderes Dokument zeigen lassen müssten, „dann ist es fast unmöglich, eine solche Verbotszone zu kontrollieren“. (mit dpa)
Anmerkung der Redaktion: In einer früheren Version dieses Artikels hieß es, dass Remo Klinger in Berlin die Senatsverwaltung vertritt. Remo Klinger weist darauf hin, dass er die Senatsverwaltung in Verfahren zur Luftqualität vor etwa zehn Jahren das letzte Mal vertreten hat und heute den Senat in luftverkehrsrechtlichen Angelegenheiten vertritt. Das Mandat der DUH in Berlin hat er nicht übernommen.
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