Berlin-Charlottenburg: FDP schlägt Deckel für Teile der Berliner Stadtautobahn vor
Hamburg macht’s, München plant’s – und Berlin? Der A100-Trog am Berliner ICC könnte überbaut werden. Vorteil: viel City-Grün. Nachteil: immense Kosten.
Unten fahren die Autos in Dreierreihen durch Betonröhren, oben spielen die Kinder unter Bäumen in einem verkehrsberuhigten Wohnquartier – eine bessere Welt hätten sich die Stadtplaner vor 100 Jahren kaum wunschträumen können. Die Vision heißt Britzer Tunnel, misst 1713 Meter und kostete 184 Millionen Euro. Auf der zehn Hektar großen Tunneldecke wurden 650 Bäume gepflanzt und sechs Spielplätze angelegt. Der Britzer Tunnel gilt inzwischen als ein Paradebeispiel moderner Stadtraumgewinnung. Warum nicht mehr davon?
Dachten sich die FDP-Politiker Henner Schmidt und Stefan Förster. Vor ein paar Wochen schrieben sie einen Antrag. Der Senat möge doch bitte prüfen, ob man die Stadtautobahn A 100 nördlich des ICC nicht deckeln könne, so bis zur Knobelsdorffstraße. In diesem rund 850 Meter langen Abschnitt verläuft sie ohnehin schon im Trog, mit dem S-Bahnring in der Mitte.
Getrennte Stadtquartiere könnten wieder zusammenwachsen
Also einfach einen Betondeckel drauf, und oben entsteht Platz für Grünflächen, Sportplätze, neue Messehallen, Kleingärten oder woran es der Gegend sonst noch so mangelt. Vor allem entsteht Ruhe, ein enormer Luxus in einer verkehrsgeplagten Gegend. Und seit Jahrzehnten getrennte Stadtquartiere könnten wieder zusammenwachsen, eine offene Wunde würde sich schließen. So ein Deckel hat fast nur Vorteile. Bis auf die Millionen, die er kostet.
Die Stadtentwicklungsexperten der Fraktionen reagierten überwiegend positiv auf den Vorstoß, natürlich unter erheblichen Bedenken, schließlich kommt der Antrag von der FDP, die mit ihrer Kampagne für die Tegel-Offenhaltung viele verärgert hat, besonders bei den Grünen und der SPD. Der rot-rot-grüne Senat hat derzeit aber andere Sorgen als Autos wegzutunneln. Die zuständige Verkehrsverwaltung kümmert sich um den Neubau der Rudolf-Wissell-Brücke und anschließend um das marode Dreieck Funkturm. Beide Vorhaben binden viel knappes Personal und sollen nicht mehr leisten als das bestehende Autobahnsystem zu sichern. „Der konkret benannte Autobahnabschnitt zwischen Kant- und Knobelsdorffstraße liegt nicht im Umbaubereich des Autobahndreiecks Funkturm und erfährt somit keine wesentliche Änderung“, erklärte Verkehrsstaatssekretär Jens-Holger Kirchner (Grüne) auf eine Deckelungs-Anfrage des SPD-Abgeordneten Tino Schopf. Eine ernüchternde Abfuhr.
Stadtentwicklungssenatorin Lompscher soll offen für die Idee sein
Stadtentwicklungssenatorin Katrin Lompscher (Linke) soll sich im Bauausschuss deutlich offener zu der Idee geäußert haben. Ihre Sprecherin Katrin Dietl verweist zwar auch auf die zuständige Verkehrsverwaltung, parallel zum Dreieck-Umbau werde aber ein stadtplanerisches Konzept erarbeitet, das die Entwicklungsmöglichkeiten im Umfeld betrachtet. Denn eines ist klar: Der Neubau des Dreiecks bedingt, dass aktuelle Lärmschutzwerte beachtet werden, der bisherige Bestandsschutz fällt weg. Es wird neue Lärmschutzwände geben, vielleicht auch einen Tunnel, bezahlt vom Bund.
Und hier liegt das Problem: Weil der Abschnitt nördlich des ICC nicht umgebaut wird, besteht auch keine gesetzliche Verpflichtung für den Bund, den Lärmpegel zu senken. Wünscht sich der Senat eine Deckelung, müsste er das Vorhaben selber bezahlen.
Hamburg hat es da deutlich bequemer. Nördlich des Elbtunnels sollen drei städtische Abschnitte der A 7 gedeckelt werden. Weil die Autobahn verbreitert wird, übernimmt der Bund die Hauptkosten. Der Hamburger Senat bezahlt nur dort, wo sich der Tunnel nicht durch den Lärmschutz begründen lässt – und gewinnt gleichzeitig wichtige Flächen für Wohnungsbau, Stadtklima und Erholung. Am Ende rechnet der Senat damit, dass sich die Kosten von 167 Millionen Euro amortisieren. In München, wo auch Deckelungen von Autobahnabschnitten diskutiert werden, rechnet man nicht mit Finanzhilfe von Bund oder dem Freistaat Bayern. Für jeden Meter Einhausung kalkulieren die städtischen Bauexperten laut Süddeutscher Zeitung mit Kosten von 113 000 Euro, was bei einem 850-Meter-Tunnel eine Rechnung von rund 96 Millionen Euro ergäbe.
Ein Busbahnhof über der Autobahn?
Direkt auf der Tunneldecke werden in Hamburg keine Wohnungen geplant, das wäre technisch zu aufwändig. Eine zweite Überbauung nach dem Vorbild der Schlangenbader Straße ist nicht in Sicht. Dort wurde in den 70er Jahren ein großer Komplex – 14 Stockwerke, 1000 Wohnungen, 600 Meter Länge – einfach über die Autobahn in Wilmersdorf gebaut. In Charlottenburg am ICC sollen aber stattdessen vor allem Grünzonen entstehen, die als Natur-Ausgleichsflächen für die Autobahnerweiterung angerechnet werden können. Durch die Tunnel könnten zusätzliche Bauflächen für 3000 Wohnungen ausgewiesen werden, im Umfeld der Autobahn, etwa auf Kleingartenanlagen, die dafür auf die Deckel verlagert werden. Und Kleingärten gibt es dort einige im Viertel.
Die FDP-Politiker schlagen vor, den platten Zentralen Busbahnhof auf den Deckel zu verlagern und dafür auf dem ZOB-Gelände Wohnungen zu bauen. Ein Gedanke, der leider ziemlich konträr zu den laufenden Bauarbeiten zur Modernisierung des Bahnhofs verläuft. Es gäbe natürlich mehr Platz, um stark befahrene Kreuzungen im Bereich der jetzigen Brücken für Fußgänger und Radfahrer zu entschärfen.
Der Stadtsoziologe Harald Bodenschatz findet die Deckelungsidee als Anstoß für eine Diskussion um das Messequartier sinnvoll, es brauche aber ein gutes Gestaltungskonzept. „Das verbessert natürlich die Situation, kostet aber auch viel Geld.“ Das beste Beispiel sei Boston in den USA, dort wurde die gesamte innerstädtische Autobahn getunnelt, ein gigantisches Bauprojekt mit Gesamtkosten von 15 Milliarden Dollar.
In Berlin backt man kleinere Röhren. Der Britzer Tunnel hat noch zwei kleinere Schwestern am südöstlichen Stadtrand, wo die A 115 durch Altglienicke (304 Meter) und Rudower Höhe (904 Meter) tunnelt. Auch hier wurden vor allem Grünzüge verbunden. Für Mensch, Klima und Natur sind begrünte Autobahntunnel auf jeden Fall besser als glühende Asphaltpisten.