Blockade statt Hungerstreik: Klimaaktivisten versperren Zufahrten zu Berliner Autobahnen – 24 Festnahmen
Die Gruppe „Aufstand der letzten Generation“ erzwang im Herbst per Hungerstreik ein Gespräch mit Olaf Scholz. Jetzt sagt sie: Es hat sich nichts verändert.
Klimaaktivisten der Gruppe „Aufstand der letzten Generation“ haben in Berlin mit Verkehrsblockaden für eine nachhaltige Landwirtschaft und gegen die Verschwendung von Lebensmitteln protestiert. Sie versperrten am Montag Auffahrten zu den Autobahnen A103 am Rathaus Steglitz und A114 in Pankow. 24 Demonstranten wurden im Verlauf des Tages vorläufig festgenommen.
Unter dem Motto "Essen retten - Leben retten" forderten die Aktivisten die Bundesregierung auf, eine "zukunftstaugliche Agrarwende" bis zum Jahr 2030 umzusetzen. Außerdem solle sie sofort ein "Essen-Retten-Gesetz" erlassen, das große Supermärkte verpflichte, "noch genießbares Essen zur Verfügung zu stellen und somit gegen Lebensmittelverschwendung vorzugehen".
Beide Maßnahmen würden helfen, den Ausstoß an Treibhausgasen in Deutschland effektiv zu reduzieren und die globale Erwärmung zu begrenzen, hieß es in einer Pressemitteilung.
Nach Angaben der Aktivisten begannen die Blockaden um 8 Uhr. Die Gruppe sprach in ihrer Mitteilung von Dutzenden Teilnehmern, die Polizei schätzte die Gesamtzahl auf etwa 50 Demonstranten. Die Polizei war selbst mit einigen Dutzend Einsatzkräften vor Ort. Nicht lange nach 8 Uhr gab es erste Räumungsmaßnahmen.
Zwölf Demonstranten in Steglitz festgenommen
Nach Polizeiangaben handelte es sich in Steglitz um die Einfahrt Wolfensteindamm in Richtung Schöneberg, die Schlossstraße musste deshalb gesperrt werden, der Rückstau war beträchtlich. Bis zu 30 Personen beteiligten sich einem Behördensprecher zufolge an dieser Stelle an der Blockade. Kurz vor 9.30 Uhr meldete die Verkehrsinformationszentrale, die A103 könne wieder befahren werden.
Der Protest verlagerte sich dann auf den Gehweg. Um eine erneute Blockade der Fahrbahn zu vermeiden, sprach die Polizei Platzverweise aus. Zwölf Teilnehmer des Protests folgten dieser Anordnung jedoch nicht und wurden deshalb gegen Mittag vorläufig in Gewahrsam genommen.
Zweimal Zufahrt in Pankow blockiert - ebenfalls Festnahmen
Zudem gab es an der Ecke zur Granitzstraße in Pankow eine Blockade auf der Bundesstraße 109 Prenzlauer Promenade, die im weiteren Verlauf nach Norden in die Autobahn A114 übergeht. Auch hier ist auf Twitter dokumentiert, wie Teilnehmer am Morgen von der Polizei von der Fahrbahn getragen oder gezogen wurden. Anders als in Steglitz wurden ihnen zunächst keine Platzverweise erteilt. In der Spitze nahmen hier etwa 20 Personen an dem Protest teil, erklärte ein Polizeisprecher.
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Am Mittag kam es dann an der Pankower Kreuzung zu einer weiteren Blockade, die wenig später erneut von der Polizei aufgehoben wurde. Nachdem die verbliebenen zwölf Aktivisten sich ebenfalls weigerten, Platzverweisen zu folgen, wurden auch sie am frühen Nachmittag von der Polizei vorläufig festgenommen.
Aktivisten zur Räumung: "Wir stören an der richtigen Stelle"
Die Aktivisten nannten das Vorgehen der Einsatzkräfte "unerwartet hart" und sahen sich dadurch in ihrem Protest bestätigt: "Wir stören an der richtigen Stelle." Wenn Personen sich nicht wegtragen lassen wollten, müssten die Beamten unmittelbaren Zwang anwenden, kommentierte ein Polizeisprecher das Vorgehen. Diese Bilder seien nicht schön, ließen sich aber nicht vermeiden.
Der Geschäftsführer der Journalistengewerkschaft dju in Verdi in Berlin, Jörg Reichel, berichtete bei Twitter auch über einen "tätlichen Angriff" auf zwei Journalisten durch Einsatzkräfte der Polizei, die in Steglitz die Räumung mit Kameras dokumentierten. Auf Twitter-Videos ist zu sehen, wie Polizisten in Richtung der Kameras greifen und einmal auch in in die Kamera hinein. "Wir prüfen den Vorwurf", sagte ein Polizeisprecher dazu.
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Aktivisten zu Özdemir: "Schöne Worte reichen nicht"
Der neue Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir (Grüne) hatte Ende Dezember in Aussicht gestellt, die Rahmenbedingungen für Lebensmittelspenden des Einzelhandels verbessern zu wollen, "damit nicht mehr so viel weggeworfen wird". Unter anderem gehe es um haftungsrechtliche Fragen. Zudem kritisierte Özdemir die Strafbarkeit des "Containerns", also des Herausnehmens von Lebensmitteln aus den Abfallcontainern von Supermärkten.
Die Aktivisten erkannten das in ihrer Mitteilung vom Montag an. "Aber schöne Worte reichen nicht – jetzt braucht es Handlungen!", erklärten sie. Sie kündigten an, den Protest so lange fortführen zu wollen, bis ein entsprechendes Gesetz erlassen werde.
Bundesregierung soll Klimakrise als Notfall behandeln
Die Gruppe war im vergangenen September bekannt geworden, als einige Aktivisten mit einem wochenlangen Hungerstreik vor dem Reichstagsgebäude für eine entschiedenere Klimapolitik eintraten. Die Aktion erlangte auch deshalb große Aufmerksamkeit, weil sie in die Schlussphase des Bundestagswahlkampfs fiel.
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Am Ende sicherte der damalige Kanzlerkandidat der SPD und jetzige Bundeskanzler Olaf Scholz den verbliebenen beiden Aktivisten Henning Jeschke und Lea Bonasera ein Gespräch zu. Daraufhin beendeten diese den Hungerstreik. Das Gespräch fand schließlich einige Wochen später statt. Bei dieser Gelegenheit trugen sie auch ihre Forderung nach einem "Essen-Retten-Gesetz".
"Seit unserer Forderung Anfang Dezember ist nichts passiert", beklagte Bonasera nun in der Mitteilung vom Montag. "Bisher hören wir immer nur, dass es ein wichtiges Thema sei - aber wir brauchen das Essen-Retten-Gesetz jetzt." Die Klimakrise müsse von der Bundesregierung als Notfall behandelt werden.