Friedhöfe in Berlin werden zu Bauland: Kleine Gräber, viel Platz
Immer mehr Menschen lassen sich nach ihrem Tod verbrennen. Weil ein Urnengrab kleiner ist als ein Erdgrab, werden immer weniger Friedhofsflächen gebraucht. Jetzt sollen dort Wohnungen für die Lebenden entstehen.
Darf man das? Der Evangelische Friedhofsverband Berlin Stadtmitte hat sich für die Umwandlung von Friedhofsflächen in Bauland ausgesprochen. Von den aktuell 251 Hektar Friedhofsflächen des Verbandes könnten langfristig bis zu 40 Prozent aufgegeben werden, sagt der Geschäftsführer des Friedhofsverbandes, Pfarrer Jürgen Quandt.
Der größte Teil soll in Parks oder Kleingärten umgewandelt werden, ein Drittel aber auch als Bauland ausgewiesen werden. Die Hauptgründe: Berlin hat angesichts der großen Zahl von Feuerbestattungen einfach zu viele Friedhofsflächen, die im Unterhalt zu viel Geld kosten.
Der Evangelische Friedhofsverband ist Berlins größter innerstädtischer Friedhofsträger. Als Erstes will er nun Flächen auf dem Emmausfriedhof in Neukölln und dem St.-Marien- und St.-Nikolai-Friedhof in Prenzlauer Berg verkaufen. Ein weiteres Areal liegt auf dem Friedhof Golgatha-Gnaden in Reinickendorf. Die Umnutzung von ehemaligen Begräbnisflächen sei für den Verband ein neuer Fall, sagt Quandt. Mit den Käufern solcher Grundstücke hat der Friedhofsverband vertraglich vereinbart, dass beim Bau gefundene Gebeine geborgen werden.
75 Friedhöfe sollen umgenutzt werden
Ob der Berliner Senat die Pläne befürwortet und fördert, war auf Anfrage nicht in Erfahrung zu bringen. Die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung verweist auf die gesetzlichen Rahmenbedingungen und auf die strengen Auflagen im Friedhofsentwicklungsplan von 2006. Demnach sollen 75 Friedhöfe mit einer Fläche von insgesamt 257 Hektar zum Teil umgenutzt werden. Ein Drittel davon kann kurzfristig, also in den nächsten Jahren, einer neuen Bestimmung übergeben werden. Der Rest steht wegen der vorgeschriebenen Ruhezeiten erst nach 2025 für eine Umnutzung zur Verfügung.
„Immer mehr Menschen entscheiden sich dafür, sich nach ihrem Tod verbrennen zu lassen. Und ein Urnengrab ist nun mal wesentlich kleiner als ein Erdgrab“, sagt Stephan Hadraschek, Referent für Öffentlichkeitsarbeit bei Otto Berg Bestattungen. Hinzu komme, dass in der Zeit vor 1900 – Berlin wuchs explosionsartig – viele neue Friedhöfe angelegt wurden: Damals waren die Sterbezahlen hoch. Seit Anfang der 1990er Jahre sinken sie indes stark. „Entstanden sind so viele Areale mit einem großen Pflegeaufwand“, sagt Hadraschek. Alle Friedhöfe zu erhalten hieße, die Kosten über die Gebühren auf die Käufer neuer Gräber umzulegen. „Friedhofsfachleute haben erkannt, dass das so nicht weitergehen kann“, sagt Hadraschek.
Von Moabit bis Reinickendorf, von Prenzlauer Berg bis Mitte
Der Friedhofsentwicklungsplan enthält eine Karte Berlins mit dunkel-, hell- und olivgrün markierten Flächen. Dunkelgrün bedeutet „Erhalt als Friedhof“. Hellgrün „Erhalt als Landschaftspark“. Olivgrün „Umnutzung in Grünflächen inklusive kleiner Teilflächen für die sonstige Nutzung“. Also für Bebauung. Dafür dürfen nur Flächen ausgewiesen werden, bei denen die Ruhezeit eines Grabes abgelaufen ist. Sie beträgt 20 Jahre. Danach ist eine „Pietätsfrist“ von 10 Jahren einzuhalten.
„In der Erde befinden sich aber auch dann noch Gebeine“, räumt Pfarrer Jürgen Quandt . Dem Geschäftsführer des Friedhofsverbandes Berlin Stadtmitte unterstehen 44 Friedhöfe von Gemeinden in Friedrichshain, Kreuzberg, Mitte, Moabit, Prenzlauer Berg und Reinickendorf. In der Vergangenheit hat der Verband nur Flächen verkauft, die nie als Friedhof genutzt wurden. Etwa ein Grundstück in Britz, auf dem heute ein Supermarkt steht. Quandt stellt sich vor, dass Mitarbeiter der Friedhöfe den Aushub im Falle des Falles abharken.
„Der Friedhofsträger wird sie dann in der Regel auf demselben Friedhof erneut bestatten.“ So sei es auch nach den archäologischen Grabungen auf dem historischen Friedhofsgelände rund um die nicht mehr existierende Petrikirche in Mitte gewesen. Dort wurden sehr viele Gebeine gefunden. „Man hat sie auf dem heutigen Petri-Friedhof in einer großen Grabanlage mit Gedenkstein beigesetzt“, berichtet Quandt.
„Potenzielle Flächen für den Wohnungsbau gibt es nicht so viele“, sagt Reinickendorfs Bezirkstadtrat für Stadtentwicklung, Martin Lambert (CDU). Auch bei den Flächen auf dem Golgatha-Friedhof handelt es sich seiner Auskunft nach um Vorhalteflächen, die noch nie belegt waren. „Ich bin froh, dass sich die Kirche offen für eine Bebauung gezeigt hat“, sagt Lambert. Die Pläne stünden aber noch ganz am Anfang. Kein Bebauungsplan ist bisher aufgestellt worden, geschweige denn ein Investor gefunden.
Eine grundsätzliche Lösung des Berliner Wohnungsproblems dürfe man vom Bauen auf ehemaligen Friedhöfen auch nicht erwarten, sagt Quandt. Es handele sich um sehr langfristige Planungen – nur nach und nach würden Flächen frei. Die Kirche werde die Grundstücke nicht unter Wert verkaufen. „Wir sind uns unserer sozialen Verantwortung bewusst und es ist ein wichtiger Gesichtspunkt, wer auf den Flächen was genau baut. Aber bei den Verkäufen wird es sich immer um eine Mischkalkulation handeln, um zu vernünftigen Ergebnissen für uns zu kommen“, sagt Quandt. Alle Erlöse sollen in die Pflege der Friedhöfe fließen. (mit epd)