Debatte um Böhmermann-Gedicht: Keine Ziegendemo vor türkischer Botschaft
Mit Ziegenmasken wollten am Freitag Aktivisten vor der türkischen Botschaft demonstrieren. Aber der Platz blieb verwaist. Die Demonstration der Piratenpartei am Abend fand statt.
Eine "Ziegendemo gegen Beleidigung" war die Idee von Paul Brandenburg und seinen rund zehn Mitstreitern. "Wir wollten Ziegenmasken aufsetzen und Passagen aus dem Böhmermann-Gedicht zeigen", sagt Brandenburg. Die Aktion sollte wohlgemerkt nicht irgendwo stattfinden, sondern vor der türkischen Botschaft in der Tiergartenstraße. Hintergrund, natürlich, das umstrittene Gedicht des Satirikers Jan Böhmermann über den türkischen Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdogan, in dem unter anderem Ziegen eine gewisse, sehr unappetitliche Rolle spielen.
Für zehn Uhr war die Demo angemeldet, drei Polizeiwagen standen parat, auch Fotografen waren da - allein, es fehlten die Protestler mit den Masken. Die Aktivisten sagten die Demo ab - wiederum aus Protest. Die Kundgebung sollte nämlich eine bestimmte Auflage erfüllen: "Das öffentliche Zeigen oder Rezitieren des Gedichts 'Schmähkritik' von Jan Böhmermann oder einzelner Passagen daraus wird untersagt", heißt es in dem Schreiben der Versammlungsbehörde, das Demo-Initiator Brandenburg auf seiner Facebookseite veröffentlicht hat. Die Behörde begründete die Auflagen damit, dass zurzeit eine rechtliche Prüfung der einzelnen Zitate des Gedichts laufe, und "zumindest der Anfangsverdacht einer Straftat" bestehe.
Veranstalter: Auflagen kommen Verbot gleich
Für Paul Brandenburg, der die Demonstration am Dienstag angemeldet hatte, kommen die Auflagen faktisch einem Verbot gleich. "Ich finde es relativ beschämend, dass wir die Gedichtpassagen nicht zeigen durften", sagt der 37-Jährige Arzt, der sich selbst nicht als typischen Politaktivisten bezeichnen würde. Mit seinen Mitstreitern war er bereits gestern Abend zu dem Schluss gekommen, die Protestaktion unter den auferlegten Bedingungen abzusagen. "Das käme einem Akt der Unterwerfung gleich", sagt er. Ob das Gedicht nun gelungen sei, darüber könne man streiten. Aber Brandenburg meint, dass der die Causa Böhmermann im Allgemeinen und das Vorgehen der Behörden im Speziellen zeige, wie es um die Meinungs-, Presse- und Kunstfreiheit in Wahrheit bestellt sei. "Mittlerweile geht es an die Grenze des Erträglichen. Ich mache mir da ernsthaft Sorgen", sagt er.
Das Verwaltungsgericht gab der Polizei recht
Zuvor hatte der Veranstalter noch versucht, juristisch die Auflagen zu verhindern. Vergebens: Das Verwaltungsgericht gab der Polizei recht. "Jedenfalls die isolierte auszugsweise Wiedergabe des Gedichts erfüllt die Voraussetzungen einer beleidigenden Schmähkritik", heißt es in dem Beschluss.
Dass die Bundesregierung mittlerweile angekündigt hat, das Strafverfahren gegen Böhmermann zuzulassen, bestärkt Paul Brandenburg darin, weiter gegen Präsident Erdogan mobil zu machen: "Ich finde es feige und inkonsequent, dass die Regierung dem Strafantrag zugestimmt hat." Pläne für eine neue Demo gibt es zwar nicht, doch der 37-Jährige ist überzeugt, dass er und seine Mitstreiter sich etwas Neues einfallen lassen werden. "Ich kann garantieren, dass wir alle Möglichkeiten ausschöpfen", fügt er hinzu.
Weitere Demonstration am Abend
Wie fließend die Übergänge zwischen Erlaubtem und Verbotenem sind, zeigt eine weitere Demonstration vor der türkischen Botschaft, die am frühen Freitagabend von der Piratenpartei ausgerichtet wurde. Ähnlich wie bei der Ziegendemo sollte bei der Kundgebung „Finger weg von Böhmermann“ das umstrittene Gedicht im Mittelpunkt stehen.
Mit dem Unterschied, dass dabei - wie der Berliner Piratenchef Bruno Kramm sagte - „eine kritische Auseinandersetzung mit der Schmähkritik“ stattfinden sollte, „Natürlich haben wir die Ansage bekommen, dass wir das Gedicht nicht vortragen dürfen.“ Eine kritische Kommentierung aber sei im Rahmen des Erlaubten, so der Piratenpolitiker.
Auf Nachfrage sagte eine Polizeisprecherin, dass es bei der Piratendemo keine Auflagen gegeben habe. „Das Vorgespräch hat das nicht notwendig gemacht.“ Bei etwaigen Verstößen hätten die Kollegen aber eingegriffen. Der Ermessensspielraum scheint dabei groß. Kramm jedenfalls hat bei der Demo mehrere Zeilen des Gedichts unkommentiert vorgetragen - unterfüttert mit politischen Botschaften, versteht sich.
Daniel Godeck