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Demontration für Klimanotstand in Berlin.
© DAVIDS/Frank Lehmann

Berliner Grüne und der Klimanotstand: Keine Zeit für Symbolpolitik

Die Grünen verhalten sich wohlwollend distanziert zur Volksinitiative Klimanotstand. Sie setzen auf konkrete Schritte, kommen aber nicht richtig schnell voran.

Von Ronja Ringelstein

Notstand heißt Ausnahmezustand. Heißt: Eingriff in Rechte, um ein höheres Gut zu schützen – mit womöglich weitreichenden politischen Folgen. Berlin soll den „Klimanotstand“ ausrufen, so fordert es ein Bündnis von Umweltaktivisten mit ihrer Volksinitiative, das bereits 43.522 Unterschriften ans Abgeordnetenhaus übergeben und damit die erste Hürde für einen Volksentscheid genommen hat.

Aber herrscht der Notstand? Ja, sagen die Berliner Grünen. Dennoch unterstützen sie die Initiative nicht aktiv. Klima- und Umweltschutz ist das ureigene Thema der Grünen, und nun, da eine Initiative aus der Mitte der Gesellschaft nach der „Fridays for Future“-Bewegung ihr Kernanliegen in den Fokus rückt, ist die Partei nicht dabei. Wie kommt das?

Als sich die Volksinitiative „Berlin braucht Tegel“ 2016 für die Offenhaltung des Flughafens im Nordwesten Berlins einsetzte, unterstützte die Berliner FDP das Ziel des am Ende erfolgreichen Volksentscheids derart eifrig, dass die Liberalen als Ein-Thema-Partei bezeichnet wurden. Davon sind die Grünen beim Thema „Klimanotstand“ weit entfernt.

Georg Kössler, umweltpolitischer Sprecher der Grünen-Fraktion, erklärt das so: „Wir halten das offiziell getrennt, weil Zivilgesellschaft und Partei unterschiedliche Rollen haben. Eine gewisse kritische Distanz muss schon sein.“ Kössler sei als Fachpolitiker dennoch viel mit den Aktivisten im Austausch.

Doch sehen die Grünen zwei Probleme. Erstens: Ein Notstand geht oftmals schwer zulasten der Zivilgesellschaft. So gab es anfangs einige Debatten um den Begriff als solchen. Dennoch habe die Fraktion bei der Klausurtagung Anfang August beschlossen, dass sie den „Klimanotstand“ anerkenne.

Zweitens: Keiner will sich den Vorwurf reiner Symbolpolitik machen lassen. Die Grünen regieren in Berlin – sie können also handeln, nicht nur fordern. Es gebe mit allen Akteuren des Bündnisses viele Schnittmengen, sagt Fraktionschefin Silke Gebel, „aber in der Regierung dürfen wir nicht nur darüber sprechen, ob wir das Klimanotstand nennen oder nicht, sondern müssen in die Umsetzung gehen und Maßnahmen ergreifen.“

So sieht es auch die grüne Umweltsenatorin Regine Günther. Wichtig sei, dass die Initiative „weitere Aufmerksamkeit auf ein existenzielles Thema“ lenke. Sie sagt aber auch, dass Städte nicht daran gemessen werden sollten, ob sie einen Klimanotstand ausrufen, sondern daran, was sie konkret gegen die Klimakrise tun und wie viel Tonnen Kohlendioxid sie wie schnell vermindern. „Die Zeit der Symbolik ist längst vorbei“, sagt Günther.

Die Initiative hat klare Forderungen

Als die Aktivisten die Volksinitiative starteten, war es allerdings ein rein symbolischer Akt, konkrete Ziele hatten sie nicht formuliert. Das sei Sache für die Profis, hieß es. Das habe die Grüne Jugend Berlin, die die Initiative im Gegensatz zur Fraktion aktiv unterstützt, gleich im ersten Treffen vor rund drei Monaten bemängelt, sagt deren Sprecherin Annkatrin Esser.

Inzwischen hat die Initiative „Klimanotstand Berlin“ konkrete Forderungen gestellt; etwa dass Berlin sofort handelt, um den Treibhausgas-Ausstoß drastisch zu reduzieren, als Maßnahmen nennen sie Tempo 30 auf allen Straßen oder fleischfreie Kantinen. Die Grüne Jugend sieht keine Probleme mit der direkten Unterstützung des Bündnisses: „Uns ist wichtig, dass die Gesellschaft bei diesen tiefgreifenden Veränderungen mitgenommen wird. Ich glaube, der Begriff hat das Potenzial, dass alle Menschen verstehen, wie ernst die Lage ist“, sagt Esser.

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Bei den Grünen ist man sich weitgehend einig, dass die Initiative Rückenwind für die Vorhaben bringt, die die Partei eh schon auf dem Zettel hat. Mit zwei grünen Senatorinnen in besonders klimarelevanten Ressorts – Wirtschaft sowie Verkehr und Umwelt – stehen die Grünen besonders in der Bringschuld. Laut rot-rot-grünem Koalitionsvertrag soll Berlin bis 2050 zur klimaneutralen Stadt werden – die Grünen möchten dieses Ziel am liebsten bis 2030 erreichen.

Auch zu einer „sozial-ökologisch verantwortlichen Wirtschaftspolitik“ hat sich R2G verpflichtet. Aus der Braunkohle-Nutzung ist Berlin wie vereinbart vor zwei Jahren ausgestiegen, bis 2030 soll der Steinkohle-Ausstieg geschafft sein.

Stellenweise hapert es noch

Die Grünen-Fraktion hat als weiteres Ziel eine „Null-Emissions-Zone“ beschlossen: Fahrzeuge mit Verbrennungsmotoren sollen ab 2030 nicht mehr in der Innenstadt fahren dürfen, im ÖPNV soll es dann nur noch Elektrobusse geben.

An einigen Stellen aber hapert es. Berliner Gebäude sind für 26 Prozent der CO2-Emissionen in der Stadt verantwortlich. Bisher würden jährlich allerdings nicht einmal ein Prozent der Gebäude saniert. Die Umsetzung des vor einem Jahr verabschiedeten Mobilitätsgesetzes kommt nur schleppend voran.

Und die Berliner Stadtwerke, die als Tochter der landeseigenen Wasserbetriebe die Energiewende zu Ökostrom vorantreiben sollen, wollen in diesem Jahr, wie berichtet, 30.000 Tonnen CO2 einsparen. Das entspricht in Deutschland dem Jahresverbrauch von 3700 Menschen – ein bescheidener Erfolg. Auch die Verbreitung von Solaranlagen lässt auf sich warten: Die zehn ersten Schulen, die im Rahmen der Neubauoffensive entstanden sind, haben keine, obwohl das Energiewendegesetz sie vorschreibt. 21 weitere Schulneubauten sind nun mit Solaranlagen geplant, gebaut sind sie noch nicht.

„Die Klimakrise verträgt keinen Zeitaufschub. Wir müssen schnellstmöglich handeln – die Rezepte dafür sind zum großen Teil längst vorhanden“, sagt Umweltsenatorin Günther. Doch scheinen einige der grünen Ziele in der Realität immer wieder Zeit zu verlieren. Rückenwind aus der Zivilgesellschaft kann da nicht schaden.

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