Überlastete Bürgerämter in Berlin: Keine Termine mehr wegen Personalmangels
Vor dem Urlaub schnell zum Bürgeramt und einen neuen Paß beantragen? Vielerorts gibt es schon morgens keine Wartemarke mehr. Bald vergeben fast alle Bezirke nur noch feste Termine - und in manchen nicht mal das. Bürger wurden bereits handgreiflich.
Die überquellenden Mülleimer sind am Montagvormittag das kleinste Problem im Bürgeramt im Rathaus Kreuzberg. Die Luft ist drückend, mehr als 100 Menschen warten sitzend oder stehend im dritten Stock in der Yorckstraße. Alle fünf Minuten ertönt der Gong, der nächste darf rein. Ein Schild verkündet: „Die Nummernausgabe ist heute beendet.“
Doch Neuankömmlinge stellen sich weiter an. Um 10.53 Uhr Uhr tritt ein Mitarbeiter aus dem Anmeldezimmer und bekräftigt, es gebe keine Wartemarken mehr. Wer noch keine habe, solle am Mittwoch wiederkommen – 30 bis 60 Minuten bevor das Amt um 8 Uhr öffnet. Am Dienstag besteht keine Chance, denn dann werden – wie auch freitags – nur Kunden mit vorab vereinbartem Termin bedient.
Mütter greifen Mitarbeiter in den Wilmersdorfer Arcaden an
Die Szene ist typisch für die überlasteten Berliner Bürgerämter. Nun aber eskaliert mancherorts der Ärger: Im neuen Charlottenburger Bürgeramt in den Wilmersdorfer Arcaden wurden Mitarbeiter am vorigen Donnerstag sogar angegriffen, als sie die Nummernvergabe stoppten. Vier Mütter mit Kinderwagen drängten sich in die Empfangsstelle, schrien und prügelten auf Beschäftigte ein, die blaue Flecken davontrugen. Bis der alarmierte Sicherheitsdienst des Shoppingcenters eintraf, waren die Frauen verschwunden.
So schildert Dagmar König (CDU), die für Bürgerdienste zuständige Stadträtin in Charlottenburg-Wilmersdorf, den Vorfall. Kleine Schäden an der Tür und einem Regal zeugen davon.
Im ebenfalls überlasteten Bürgeramt am Hohenzollerndamm gab es laut König noch keine Gewalttaten, aber Bürger, die vor Frust Papierstapel durch die Räume warfen oder Beschäftigten drohten. Jetzt zieht der Bezirk die Notbremse. Ab August werden Kunden nur noch nach Terminvereinbarung bedient – wie fast überall in Berlin.
Fluchtweg für Mitarbeiter am Hohenzollerndamm
Bis August hat das Amt in den Arcaden nun einen eigenen Wachschutz. Am Hohenzollerndamm soll der Empfangsraum so umgebaut werden, dass Mitarbeiter notfalls durch eine zweite Tür flüchten können.
Die Terminvergabe begründet König nicht zuletzt mit der „Fürsorgepflicht“ für das Personal. „Die Luft brennt“, sagt Bezirksbürgermeister Reinhard Naumann (SPD). Beide kritisieren, ohne Rücksicht auf die City West werde in den anderen Bezirken immer mehr auf das Terminprinzip umgestellt.
Auch Pankow und Steglitz-Zehlendorf wollen nur noch Termine vergeben
Tatsächlich gilt dieses seit Montag auch in Pankow – zunächst als achtmonatiger Test. Der zuständige Stadtrat Torsten Kühne (CDU) sieht Vorteile für Bürger, aber auch er nennt die aggressive Stimmung als Grund. Mitarbeiter trauten sich in ihren Pausen kaum noch auf den Gang, der Krankenstand sei gestiegen, vor ein paar Monaten hätten Unbekannte den Wartenummernautomaten aus der Verankerung gerissen. Das Problem des Personalmangels könne nur der Senat lösen. Wie berichtet, fordern die Bezirke wegen der wachsenden Bevölkerungszahlen einen Stopp des Personalabbaus.
Ab August bedient auch Steglitz-Zehlendorf nur noch Terminkunden, „probeweise“ bis Jahresende. Doch allzu bürgerfreundlich ist das auch nicht. Wer irgendwo in Berlin einen Termin über das Internet oder die Behördenrufnummer 115 buchen will, kommt in der Regel erst nach einem Monat dran – außer in Notfällen wie dem Verlust des Passes.
Gar keine Termine gibt es aktuell in Treptow-Köpenick und im Bürgeramt am Hohenzollerndamm. Der Onlinekalender zeigt nichts an und auch ein Mitarbeiter der Behördenrufnummer 115 fand nichts. Die Bezirke haben die Anmeldefristen reduziert, man soll sich gar nicht Monate vorher anmelden.
Neukölln ist der einzige Bezirk, der in allen Bürgerämtern montags bis freitags noch Spontankunden bedient. Treptow-Köpenick und Friedrichshain-Kreuzberg setzen auf eine Mischung Allerdings hat Kreuzberg im Juni das Amt an der Schlesischen Straße „aufgrund des den Bezirken vom Land Berlin auferlegten Personalabbaus“ vorerst geschlossen.
Die Online-Reservierung hilft nicht immer
Im Rathaus Kreuzberg kommt Matthias Röhrborn am Montag unverrichteter Dinge heraus. Er war zuerst kurz vor acht Uhr im Amt in der Frankfurter Allee. Doch als er dort die lange Schlange sah, versuchte er es in der Yorckstraße. „Die Mitarbeiter können ja nichts dafür und sind alle sehr nett“, sagt Röhrborn. Gerne hätte er sich online angemeldet. „Doch da ich beruflich viel unterwegs bin, konnte ich keinen Termin in vier Wochen annehmen.“
Helena Bergstedt ist schon seit 7.45 Uhr im Rathaus Kreuzberg, zu diesem Zeitpunkt geht die Schlange der Wartenden bereits quer durch die Halle und wieder zurück. Um 9.13 Uhr bekommt sie die Wartenummer 103. Kurz vor 11 Uhr darf sie endlich zum Sachbearbeiter – und staunt hinterher: „Als ich drin war, ging alles sehr schnell.“
Cay Dobberke, Carmen Schucker