Zahnersatz im Ausland: Biss bald!
Einige tausend deutsche Zahnpatienten lassen sich im EU-Ausland behandeln, weil es billiger ist. Was sind die Vor- und Nachteile? Eine Abwägung.
Wenn es um seine Erfahrungen mit Zahnbehandlung im Ausland geht, kann Heinrich Schmidt (Name geändert) nur Positives erzählen. Bei dem 71-jährigen Berliner aus Lankwitz musste so einiges, um nicht zu sagen: alles gemacht werden: „Ich hatte seit meiner Kindheit schlechte Zähne und habe viele von ihnen früh verloren“, erzählt er. 2016 entschloss er sich zum radikalen Schritt: komplett neue Zähne, im Ober- wie im Unterkiefer. Kostenvoranschlag: 20 000 Euro. Unabhängig vom Zustand des eigenen Gebisses schluckt man da erst mal. Heinrich Schmidt recherchierte, denn er wusste, dass Zahnersatz im Ausland deutlich günstiger sein kann als in Deutschland. Dabei half ihm, das er selbst ein Semester Zahnmedizin studiert hat, bevor er dann doch eine Karriere als Techniker einschlug.
Im Netz findet man bei den Stichworten „Zahnersatz Ausland“ zahlreiche professionell gestaltete Webseiten von Kliniken, vor allem in Polen und Ungarn. Sie werben in gutem Deutsch um Patienten – beziehungsweise Kunden. Eine ungarische Klinik präsentiert den Lebenslauf eines ihrer Ärzte: Er sei „in Deutschland geboren und aufgewachsen. Sein Studium der Zahnmedizin und die anschließende Facharztausbildung absolvierte er an der Semmelweis-Universität in Budapest“. Es geht offensichtlich darum, Zweifel an Deutschsprachigkeit und fachlicher Qualifizierung gleich am Anfang auszuräumen.
Auch Heinrich Schmidt wurde nicht weit von Berlin entfernt fündig, in Stettin. „Schon auf den Videos sah ich, dass die Geräte auf neuestem Stand waren. Als Techniker kann ich das gut erkennen.“ Er fuhr hin, Stettin ist nur zwei Stunden von Berlin entfernt – und ist heute immer noch begeistert: „Alles ist unter einem Dach, die Vorgespräche verliefen sehr freundlich, alle Ärzte sprechen hervorragend Deutsch, auch wenn sie keine Muttersprachler sind. Ansonsten ist sofort eine Sprechstundenhilfe da, die übersetzt.“
Das Lohnniveau ist niedriger als in Deutschland
Nicht jeder mag so positive Erfahrungen gemacht haben wie er. Aber für einige tausend deutsche Patienten ist besonders das Kostenargument ausschlaggebend. Außerhalb von Deutschland ist das Lohnniveau häufig niedriger. Also lassen sie sich an einer ausländischen Zahnklinik behandeln, vor allem wenn sie innerhalb der EU liegt. Anruf bei der Techniker Krankenkasse (TK): Rund 800 000 Zahnbehandlungen registriert sie jährlich unter ihren Versicherten, rund 1000 davon im Ausland. Also eine vergleichsweise geringe Zahl, die sich allerdings nur auf diese eine Kasse bezieht. Die TK hat Verträge mit fünf geprüften Kliniken im EU-Ausland abgeschlossen. „Von diesen kann der Patient erwarten, dass sie eine Versorgung bieten, die qualitativ genauso gut ist wie in Deutschland“, sagt TK-Sprecherin Heike Weinert. Es handelt sich um vier Kliniken in Ungarn und eine in Polen.
Die Liste bedeutet nicht, dass TK-Versicherte sich tatsächlich dort behandeln lassen müssen. Sie soll ihnen nur die Entscheidung erleichtern. Innerhalb der EU ist die Arztwahl frei. Patienten brauchen von ihrem deutschen Zahnarzt einen Heil- und Kostenplan, den sie an die ausländische Klinik schicken. Diese schickt einen Kostenvoranschlag entsprechend deutschen Richtlinien zurück, den der Patient bei seiner Krankenkasse zur Genehmigung einreicht. Diese zahlt dann einen Festzuschuss. Die Differenz zum Gesamtbetrag muss der Patient selbst übernehmen.
TK-Sprecherin Weinert demonstriert es an einem Beispiel. Für eine fiktive, umfangreiche Behandlung sollen im Oberkiefer fünf Kronen angefertigt werden, an die herausnehmbarer Zahnersatz gehängt werden kann. Im Unterkiefer ist eine Prothese geplant, die an vorhandene Zähne gehängt wird. Der (fiktive) Heil- und Kostenplan kommt auf einen Gesamtbetrag von 5688,67 Euro. Der Festzuschuss der Kasse beträgt 2529,77 Euro. Bleiben 3158,90 Euro, die der Patient selbst aufbringen muss. Schickt man denselben Plan an die polnische Partnerklinik nach Stettin, antwortet sie innerhalb eines Tages. Die Gesamtkosten liegen hier bei 3881,82 Euro. Bei identischem Festzuschuss muss der Patient hier also nur 1352,06 Euro dazuzahlen.
Nicht alle deutschen Kassen haben Verträge mit Kliniken im Ausland
Im Fall von Heinrich Schmidt betrugen die Gesamtkosten statt 20 000 noch 13 000 Euro. Immer noch viel Geld. Was sich relativiert, wenn man sich anschaut, was bei ihm gemacht wurde: Auf vier Implantate im Oberkiefer installierten die polnischen Ärzte eine festsitzende Schiene, an der eine komplette, herausnehmbare Zahnreihe aufgehängt ist. Im Unterkiefer bekam er auf vier Implantaten eine neue Zahnreihe, die mit zwei Magneten und zwei Haltestiften befestigt ist. „Ich brauche nur einige Sekunden, um das alles herauszunehmen und zu reinigen“, erzählt er. Und freut sich: „Endlich kann ich richtig von einem Apfel abbeißen. Davon habe ich früher nur geträumt.“
Auch die AOK Nordost bietet die Möglichkeit für Zahnbehandlungen im Ausland. Die Kasse habe mit einem zahnmedizinischen Zentrum in Slubice eine langjährige Kooperation. Das Zentrum arbeite mit polnischen Zahnärzten im grenznahen Gebiet zusammen, sagt Matthias Gabriel, stellvertretender Sprecher der Kasse. Im Rahmen der Kooperation sendet die Klinik einen Heil- und Kostenplan zur Bewilligung an die AOK. Der Zahnersatz wird durch polnische Labore gefertigt, deren Leistungen und Qualität den deutschen Standards entsprechen.
Nicht alle deutschen Krankenkassen halten das so. Die Barmer hat keine Verträge mit ausländischen Kliniken abgeschlossen. „Auch ohne Verträge können sich Versicherte im europäischen Ausland mit Zahnersatz versorgen lassen, ohne ihren Anspruch auf Bezuschussung zu verlieren“, wie Sprecher Daniel Freudenreich betont. Etwa 15 Prozent der Barmer-Versicherten nehmen Zahnersatzleistungen in Anspruch: rund 1,3 Millionen Menschen. Wie viele davon sich im Ausland haben behandeln lassen, ist der Barmer nicht bekannt. Allerdings hatten sich bei einer repräsentativen Umfrage rund zwei Prozent der Befragten ihren Zahnersatz im Ausland machen lassen.
Viele sehen die weite Reise auch als Urlaub
Für Heinrich Schmidt war die Anreise nach Stettin sehr kurz. Hätte er den Schritt auch unternommen, wenn er dafür nach Ungarn, Bulgarien oder Rumänien hätte fliegen müssen? Ja, beteuert er. Ausschlaggebend war für ihn die fachliche Qualität der Klinik. Auch andere Patienten schrecken weite Wege nicht ab. Sie sind zwar mit Kosten verbunden, aber: Für viele ist es eine Möglichkeit, sich behandeln zu lassen und gleichzeitig Urlaub zu machen und etwas von der Welt zu sehen. Oder zumindest von der EU. Wer sich nämlich in einem Nicht-EU-Land, der Türkei etwa, behandeln lässt, hat keinen Anspruch auf den Festzuschuss seiner Krankenkasse. Die dort noch niedrigeren Kosten können dadurch schnell aufgefressen werden.
Heinrich Schmidt ist zufrieden – doch nicht bei allen ist die Qualität des im Ausland eingesetzten Zahnersatzes so gut wie bei ihm. Michael Dreyer ist Zahnarzt in Charlottenburg und Vizepräsident der Zahnärztekammer Berlin. In seiner Praxis sieht er auch Implantate, die im Ausland eingesetzt wurden, bei rund einem Prozent seiner Patienten. Alles sei darunter, „von zufrieden ohne Mängel bis zufrieden mit Mängeln“. Nicht immer könne der Patient das selbst erkennen. Was wäre ein mangelhaftes Ergebnis? „Etwa wenn die Qualität des verwendeten Materials unzureichend ist“, sagt Michael Dreyer.
Gibt es Komplikationen mit einem im Ausland eingesetzten Implantat, wird ein deutscher Behandler nur in Notfällen eingreifen. Weil er sonst die Gewährleistungspflicht des ausländischen Arztes außer Kraft setzt und selbst haftet. Die Barmer Krankenkasse rät ihren Versicherten, Vor- und Nachteile einer Behandlung im Ausland genau zu überdenken. „Ansprüche gegen den ausländischen Zahnarzt müssen die Betroffenen selbst geltend machen“, sagt Sprecher Freudenreich. Wegen solcher Risiken würde Michael Dreyer Patienten mit einer sehr aufwendigen Behandlung von einer Reise ins Ausland abraten. Und er weitet das Thema noch aus: Den Begriff „Ausland“, sagt er, könne man umdrehen. Denn auch Deutschland sei als Destination für Zahntouristen interessant, vor allem für Patienten aus der Schweiz oder aus Großbritannien. Für sie ist es hierzulande billiger.