"Kebabistan" in Kreuzberg: Kebab für Gourmets in Berlin
Wieso denn immer nur Döner? Der türkische Grillbraten verkauft sich als Streetfood unter Wert. Mit hochwertigen Zutaten entsteht ein Feinschmecker-Essen. Ein Festival zeigte dieTrends.
Er besitzt alles, was ein Gericht haben muss: Das Fleisch ist salzig und saftig mit Röst- und Raucharomen, der Salat knackig, die Sauce scharf, säuerlich, cremig. Das Beste: Alles fügt sich zusammen in nur einem Biss. Der Kebab ist Genuss in Cinemascope. Was in Berlin angeboten wird, ist aber in der Regel Blockbuster-Kino im Handyformat. Das soll sich jetzt ändern.
Ein Hinterhof am Moritzplatz, Security, Eintritt zwei Euro, es ist rappelvoll. Foodies und Hipster sitzen dicht gedrängt an Biertischen, umzingelt von improvisierten Ständen und Foodtrucks, vor denen sich lange Schlangen bilden. Bässe wummern, Rauch zieht in Schwaden über den Platz und über allem hängt der Duft von frisch Gegrilltem: Willkommen bei „Kebabistan“, dem interkulturellen Streetfoodfestival zur Rettung der Kebab-Kultur.
Unter dem roten Zeltdach gibt es die thailändische Version eines Kebabs mit scharfem Salat aus gestampften rohen Bohnen, daneben eine vietnamesische aus am Drehspieß gegrilltem und mit Whiskey und Honig mariniertem Entrecote, dazwischen Ayran vom Fass und ganz in der Ecke einen kleinen Stand, an dem Cem Tanriverdi von „Fes turkish BBQ“ eine modernisierte türkische Variante serviert.
Walnuss, Pistazie und Lammkeule
Lange hat Tanriverdi über seinen Kebab nachgedacht: „Walnuss und Pistazie waren gesetzt, sie sind hochwertig und ich liebe die Farben“, sagt er. Gesetzt war auch die Lammkeule in Würfeln, „weil das unsere Kultur spiegelt“. Tanriverdi ist in Neukölln geborener Alevit, trägt Dreitagebart und einen goldenen Nasenring und ist das, was man als smart bezeichnen würde.
In Thailand sah er Restaurants, die am Tisch einen Grill hatten und beschloss, diese Idee nach Berlin zu bringen, „aber mit meiner Küche“. Damit meint er die türkische Küche seiner Kindheit, die Muttiküche, an die sich die zweite und dritte Generation der einstigen Einwanderer erinnert.
Während sich die türkische Küche in Metropolen wie Istanbul längst weiterentwickelt, scheint sie hier unveränderbarer Teil der Erinnerungskultur zu sein – vielleicht ein Grund, warum sie sich in Berlin mit Veränderungen so schwertut. Eventuell sind es ja auch die Feinschmecker, die noch nicht bereit sind, in der türkischen Küche etwas Ausgefeiltes und Ebenbürtiges zu suchen.
Cem Tanriverdi bedauert, dass die Berliner Türken die Gelegenheit nicht genutzt haben, ihre Kebab-Vielfalt zu präsentieren. „Auch nach 50 Jahren sind wir kulinarisch in Deutschland nur über Fast Food präsent.“ Er sagt, er wolle nur hochwertige Produkte verwenden. „Die müssen nicht alle von Türken kommen, aber die Zusammensetzung muss urtürkisch sein.“
So verwendet er traditionelles Fladenbrot, ersetzt aber die Rohkostbeilage durch einen grünen Salatmix, Rote-Bete-Keimlinge und getrocknete Lavendelstängel, veredelt alles mit gehackten Pistazien, Walnüssen und rosa Pfeffer. Mit wenigen Mitteln hat er einen Prototypen für zeitgemäßen türkischen Kebab geschaffen. In seinem Restaurant aber wird er ihn nicht anbieten.
Dass Kebab zum Fast Food werden konnte, ist ein großes Missverständnis. Egal, ob man seine Wurzeln in Persien, Iran oder dem Osmanischen Reich betrachtet, immer war das „Fleisch vom Grill“ – so die Übersetzung – ein Festtagsessen und Zeichen des Wohlstands. Das war es auch noch, als vor circa 200 Jahren zwei osmanische Köche unabhängig voneinander die Idee hatten, das Fleisch vertikal am Spieß zu braten und 1836 dem Militärberater des Sultans, Helmuth von Moltke, folgendes Lob des „Kiebabtschi“ abzutrotzen: „Hammelfleisch, am Spieß gebraten und in Brotteig eingewickelt, ein sehr gutes, schmackhaftes Gericht.“
Der erste Döner-Kebab
Die ersten Döner Kebab wurden nicht in Berlin verkauft, sondern in den 1940er Jahren in Istanbul – mit mäßigem Erfolg und ohne Salat. Ob die Profanisierung in den siebziger Jahren nun in Charlottenburg, in Kreuzberg oder gar – wie jüngste Forschungen ergaben – von Nevzat Salim bereits 1969 in Reutlingen begann, macht keinen Unterschied: Eine edle Fleischspeise im Billigsegment zu verorten, ist kein Ruhmesblatt.
Das „New-Food-Movement“, wie Kavita Meelu die internationale Bewegung nennt, die sich unvoreingenommen für Esskultur interessiert, hat das Thema aufgegriffen. Das „Kebabistan“-Festival hat gezeigt, dass der Döner durchaus das Potenzial hat, wie zuvor der Hamburger, als handgemachter Qualitätssnack neu entdeckt zu werden.
Was noch fehlt, ist ein regionaler Kebab, der das Prinzip Grillfleisch im Brot in sich trägt und mit typischen Produkten aus Berlin und Brandenburg neu geboren wird. Matthias Gleiß hat vor Jahren in seinem „Volt“ im Rahmen seiner „Berlin Tapas“ einen ganz hervorragenden Entenfleisch-Döner konzipiert – allerdings eher als Gimmick.
Als der Tagesspiegel vor Kurzem im „Reinstoff“ bei Sternekoch Daniel Achilles zu Gast war, um seine Ausflüge in die südamerikanische und asiatische Küche zu erleben, entstand die Idee, einen Berlin-Brandenburg-Kebab zu entwickeln, der die Tradition mit außergewöhnlichen Produkten und höchster Küchenkunst kombiniert. Klar war, Achilles wollte auf alle Fälle Fleisch am Spieß über Feuer grillen. Bei Gesprächen mit dem Wildexperten Guido Richard aus Fürstenberg/Havel kam er auf Mufflonfleisch. Das Wildschaf ist würzig, ohne ins Derbe abzurutschen und hat eine feste Textur.
Achilles entschied sich außerdem für Schafsjoghurt, den Käseexperte Fritz Blomeyer aus Lindau, kurz hinter der Grenze Brandenburgs, mitbrachte: fest wie griechischer Joghurt, mit einem Fettanteil von nur 4,5 Prozent, dabei von einer mascarponeartigen Cremigkeit und milder Säure.
Dazu empfahl Blomeyer den Feta aus der gleichen Schafsmilch, der Frische mit einem Hauch gereiftem Pecorino kombinierte. Für den Rest ließ sich Achilles von der Saison inspirieren: Wildkräuter-Fladen, gehobelte Steinpilze, eingelegtes Gemüse … Ein Genuss!
Mehr über Kebab, Kebab-Rezepte von Spitzenköchen und alles, was man über Berlins kulinarische Szene wissen sollte, steht in der neuen Ausgabe des Magazins „Tagesspiegel Genuss“.