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Nacktes Grauen. Das Tattoo ist jetzt ein Fall für den Staatsanwalt.
© privat

Nazi im Spaßbad: Kann ein Tattoo Volksverhetzung sein?

Ein Mann hat sich ein Bild eines Konzentrationslagers auf den Rücken tätowieren lassen und zeigte es im Schwimmbad. Volksverhetzung oder Teil seiner Meinungsfreiheit - eine Analyse.

Von Ronja Ringelstein

In altdeutscher Schrift ist der Spruch „Jedem das Seine“ auf die Hüften tätowiert. Darüber ist die Silhouette eines Turmes und ein Stacheldrahtzaun, links und rechts, zu sehen: das Eingangstor des Konzentrationslagers Auschwitz.

Ein Bild eines der größten Konzentrationslager im Deutschen Reich samt der zynischen Inschrift, die in roten Lettern über dem Eingangstor des KZs Buchenwald prangte, hat sich dieser Tattoo-Träger in seine Haut stechen lassen. Wie Tagesspiegel-Recherchen ergaben, ist der Mann ein NPD-Funktionär, offizielle Bestätigungen gab es weder von der NPD noch von der Staatsanwaltschaft dazu.

Indem der Mann sein Tattoo in der Öffentlichkeit zur Schau stellte, als er im November das Spaßbad Turm-Erlebniscity in Oranienburg besuchte, hat er möglicherweise eine Straftat begangen. Die Staatsanwaltschaft Neuruppin ermittelt in dem Fall wegen des Verdachts der Volksverhetzung, Paragraf 130 Strafgesetzbuch.

Seine körperliche Integrität, die Meinungsfreiheit – diese hohen Güter – könnten sie dem Mann das Recht geben, dieses abscheuliche Tattoo öffentlich zu tragen? Oder steht die Menschenwürde derer entgegen, die er mit dem Tattoo verhöhnt?

Die Polizei hatte gezögert - die Rechtsexpertin wundert das

Fragt man die Rechtsexpertin Doris Liebscher, ist die Sache klar: „Ein Anfangsverdacht für die Volksverhetzung ist auf jeden Fall gegeben“, sagt die wissenschaftliche Mitarbeiterin an der juristischen Fakultät der Humboldt Universität. „Das ist ziemlich offensichtlich. Mich wundert, dass die Beamten mit den Ermittlungen gezögert haben.“ Wie das Gericht am Ende entscheiden wird, wisse sie natürlich nicht, aber Liebscher sieht in dem Herumzeigen der KZ-Tätowierung den Straftatbestand der Volksverhetzung erfüllt.

Zunächst hatte die Polizei keine Ermittlungen eingeleitet, eine Anzeige des Schwimmbades habe es auch nicht gegeben. Erst durch Pressenachfragen ist ein Verfahren wegen Volksverhetzung eingeleitet worden. „Wir ermitteln wegen Paragraf 130 Absatz 3 Strafgesetzbuch“, teilte Oberstaatsanwalt Jürgen Schiermeyer mit, Pressesprecher der Staatsanwaltschaft Neuruppin. Danach macht sich der Volksverhetzung schuldig, wer den unter den Nationalsozialisten begangenen Völkermord öffentlich "leugnet, verharmlost oder billigt", auf eine Weise, "die geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören".

Volksverhetzung - eine besondere Straftat

Volksverhetzung ist ein Straftatbestand besonderer Art, denn er stellt bestimmte Meinungen und deren öffentliche Kundgabe unter Strafe. Die Meinungsfreiheit ist eines der wichtigsten Grundrechte. Sie darf deshalb grundsätzlich neben dem Jugendschutz und dem Recht der persönlichen Ehre nur durch allgemeine Gesetze eingeschränkt werden, die "nicht eine Meinung als solche verbieten." Der Gesetzgeber hat sich dazu entschlossen, die Verbreitung von nationalsozialistischem Gedankengut ab einem gewissen Ausmaß zu verbieten. Das Bundesverfassungsgericht stellte klar, dass Paragraf 130 Strafgesetzbuch "dem Schutz der Menschlichkeit" diene. 

Strafbar ist das Absprechen der Menschenwürde und Leugnen der KZs

Um die Volksverhetzung als Straftatbestand zu verstehen, müsse man sich dessen Geschichte ansehen, sagt Liebscher. "Der Paragraf wurde in den 1960er Jahren reformiert. Hintergrund waren damals vermehrt antisemitische Äußerungen in der Öffentlichkeit." Dann habe der Gesetzgeber entschieden, dass diese Art der Meinungsäußerung nicht mehr erlaubt sein dürfe und man der Relativierung nationalsozialistischer Verbrechen entgegentreten müsse. Seit 1960 wurde der Paragraf immer wieder geändert und verschärft.

1994 wurde das "einfache" Leugnen des Holocausts – auch ohne eine Identifizierung mit der Ideologie des Nationalsozialismus – als Volksverhetzung unter Strafe gestellt. Das Bundesverfassungsgericht hatte kurz zuvor entschieden, dass die Holocaustleugnung nicht unter das Grundrecht der Meinungsfreiheit fällt. Daraufhin wurde der dritte Absatz des Paragraf 130 Strafgesetzbuch eingefügt. Strafbar macht sich also derjenige, der Teilen der Bevölkerung die Menschenwürde abspricht und wer Unwahrheiten über die Verbrechen der Nazis verbreitet, indem er etwa die Existenz von Konzentrationslagern leugnet.

Das Tattoo zeigt Buchenwald, Inbegriff des Holocausts

Durch das Tattoo wird das KZ nicht geleugnet - aber auch das öffentliche Billigen und Verharmlosen ist strafbar. Ob das Tattoo den Völkermord der Nazis tatsächlich verharmlost oder billigt, muss letztlich ein Richter entscheiden. Doch die Fakten sprechen dafür: Das Tattoo bildet das KZ Auschwitz ab. Der Spruch "Jedem das Seine" prangte am Eingang des KZs Buchenwald. Die Konzentrationslager waren der Inbegriff der Vernichtung eines ganzen Volkes, der Inbegriff der Nazi-Gräueltaten. Buchenwald ist ein Synonym für das System der nationalsozialistischen Konzentrationslager. Insgesamt 250.000 Menschen wurden dort inhaftiert, über 56.000 Menschen starben dort an Folter, Auszehrung und medizinischen Experimenten. „Wer sich so etwas für sein ganzes Leben in die Haut stechen lässt, bei dem kann man davon ausgehen, dass er all diese Gräueltaten konkludent, also stillschweigend, gutheißt“, meint Liebscher. Die Opfer würden durch das Tattoo verhöhnt.

Möglicherweise werden für das urteilende Gericht auch die anderen Tattoos des Mannes eine Rolle spielen, durch die es das KZ-Tattoo und die Absichten des Trägers in einen Gesamtkontext setzen könnte. Augenzeugen im Schwimmbad berichteten, der Mann habe auf seinem Bauch den Reichsadler tätowiert - an der Stelle des Hakenkreuzes sitze der Bauchnabel. Und an seinem linken Arm trage er eine schwarze Sonne, ein Erkennungszeichen der Neonazi-Szene.

Eine Pflicht zum T-Shirt-Tragen, bis zu 5 Jahren Haft

Eine Volksverhetzung ist nur in der Öffentlichkeit möglich – solange der Mann Kleidung darüber trägt, macht er sich also nicht strafbar. Das Zeigen des Tattoos muss aber geeignet sein, den „öffentlichen Friede“ zu stören. "Der wäre nicht erst dann gestört gewesen, wenn es eine allgemeine Unruhe im Schwimmbad gegeben hätte", erklärt Liebscher, "es reicht, wenn sich einige Menschen nicht mehr sicher fühlen könnten, oder sich andere Rechtsextremisten dazu herausgefordert fühlen könnten, zuzustimmen."

Sollte die Volksverhetzung in diesem Fall von einem Richter festgestellt werden, kann eine Haftstrafe von bis zu fünf Jahren auf den tätowierten Mann zukommen. Durch das Urteil würde faktisch auch ein Verbot für die Zukunft entstehen, das Tattoo wieder öffentlich zu zeigen. Will er eine erneute Strafe vermeiden, müsste er das Tattoo in der Öffentlichkeit stets abdecken.

Staatsanwaltschaft: Kein Symbol einer verfassungswidrigen Organisation

Rechtsexpertin Doris Liebscher sieht auch den Paragrafen 86a Strafgesetzbuch erfüllt, das „Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen“. Die Staatsanwaltschaft hat das geprüft, aber: "Das Konzentrationslager ist kein Symbol im Sinne des Paragrafen 86a Strafgesetzbuch", sagt Oberstaatsanwalt Schiermeyer. Ein Symbol ist verfassungswidrig, wenn es einer verfassungswidrigen, verbotenen Organisation zugeordnet werden kann. "Bei einem Hakenkreuz etwa ist es ganz klar, das steht für den Nationalsozialismus und ist verboten", so Schiermeyer.

Ein Richter kann anders entscheiden, auch Heinrich Himmler war ein "Symbol"

Ein Gericht könnte dies unter Umständen auch anders sehen. Das Oberlandesgericht München hat etwa im Mai 2015 entschieden, dass die öffentliche Zurschaustellung eines Porträts von Heinrich Himmler in Uniform eine Straftat nach Paragraf 86a Strafgesetzbuch darstellt. Das Gericht hat Himmler in historischen Kontext gesetzt und festgestellt, dass er jedenfalls in seiner Uniform die "SS" ("Schutzstaffel") symbolisiert, die er "seit 1934 allein geführt und zum alles beherrschenden Macht- und Terrorinstrument ausgebaut hatte", so dem Urteil zu entnehmen. Da auch die KZ Buchenwald und Auschwitz zu Symbolen des Holocaust gezählt werden kann, könnte ein Gericht zu dem Schluss kommen, dass das Tattoo auch ein "Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen" ist. Bis zu drei Jahren Freiheitsstrafe könnte das Gericht hierfür aussprechen.

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