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Am Tatort. Vor dem Treff der Jungsozialisten in der Siemensstraße hört Hans Erxleben (Linke) am Dienstag dem Berliner Juso-Vize Nico Schmolke und Sebastian Edathy (SPD) zu (v. links nach rechts).
© Björn Kietzmann

Rechte Szene: Kampf um Schöneweide

Im Süden der Stadt schlagen Neonazis regelmäßig zu, zuletzt traf es immer wieder die Jusos. Der SPD-Experte Sebastian Edathy hat sich die Sorgen im Kiez angehört und übt dabei auch Kritik an den Ermittlungsbehörden.

Immer wieder Schöneweide, der Kiez kommt nicht aus den Negativ-Schlagzeilen. Da wären nicht nur die über Berlin hinaus bekannte Neonazi-Kneipe „Zum Henker“ und die NPD-Funktionäre, die um die Ecke wohnen, sondern die fast täglichen Angriffe auf tatsächliche und vermeintliche Linke. Am Wochenende hatten Neonazis vom „Henker“ aus einen Mann verfolgt. Der 23-Jährige flüchtete in einen Imbiss, dessen Mitarbeiter sich den Angreifern mit einem Dönerspieß in den Weg stellten. Die drei Neonazis hatten Schöneweide offenbar wegen der berüchtigten Atmosphäre besucht, sie selbst kamen aus Brandenburg, Hamburg und Schleswig-Holstein.

Am Dienstag nun kam Sebastian Edathy, SPD-Rechtsextremismusexperte und Chef des Untersuchungsausschusses zum „Nationalsozialistischen Untergrund“. Im örtlichen Juso-Treff in der Siemenstraße, drei Fußminuten vom „Henker“ entfernt, traf er junge Sozialdemokraten und engagierte Anwohner. Im Juso-Café hängt ein Bild vom jungen Willy Brandt an der Wand, mit Zigarette und Gitarre. Die Scheiben sind noch zersplittert. Seit Wochen wird der Treff der SPD-Jugend immer wieder angegriffen, und Jusos in Treptow-Köpenick, aber auch im nahen Neuköllner Süden, werden zusammengeschlagen. Vor der Privatwohnung von Nico Schmolke, der in Treptow wohnt und Vize-Chef der Berliner SPD-Jugend ist, sprengten Neonazis den Briefkasten.

Am Dienstag sitzt Schmolke neben Edathy auf einer roten Couch und erzählt: von vermummten Neonazis, die antifaschistische Demonstranten fotografieren, von Hetzjagden und von Polizisten, die nicht helfen würden oder helfen wollten, wenn wieder was passiert ist. Der Bezirksverordnete Hans Erxleben (Linke) sitzt neben ihm, auch er berichtet über schleppendes Vorgehen der Polizei. Neonazis hatten auch bei Erxleben zu Hause einen Backstein durch das Fenster geschmissen und den Briefkasten gesprengt.

Bezirksbürgermeister Oliver Igel (SPD) kündigt an, die Sorgen bei der zuständigen Polizeidirektion anzusprechen. Nach Überfällen junger Neonazis etwa in Neukölln, sei das aber nicht nur ein lokales Problem. „Das kann man nicht auf einen Polizeiabschnitt abwälzen, das Land ist gefordert“, sagte Igel.

Edathy gilt unter Kennern der rechtsradikalen Szene als einer der wenigen Bundespolitiker, die sich auch im Detail mit Neonazis auskennen. Am Dienstag hört er vor allem zu, sagt am Ende aber doch recht deutlich: „Die Sensibilität der Behörden für rechtsextreme Gewalt ist oft noch unterentwickelt.“ Es gebe im Kiez eine feste Neonaziszene, dass wisse er auch aus den zahlreichen Akten, die er angesichts der Ermittlungen zur NSU-Geschichte lese.

Dass örtliche und angereiste Neonazis den Kiez in Schöneweide als ihr Territorium betrachten, wird auch durch deren zur Schau gestellte Wehrhaftigkeit deutlich: In der Nacht zu Sonntag entrollten rund 20 Neonazis vor dem „Henker“ ein Transparent für den kürzlich verbotenen „Nationalen Widerstand Dortmund“. Unter Jubel fotografierten die einschlägig bekannten Kneipengäste die Kundgebung. Bis die Polizei eintraf, waren die sich selbst beweihräuchernden Neonazis zurück im „Henker“. Die Beamten leiteten ein Ermittlungsverfahren wegen Verstoßes gegen das Versammlungsgesetz ein. Den „Henker“ durchsuchten sie aber nicht.

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