Straßenverkehr: Kameras sollen tödliche Unfälle aufklären
Neue Technik soll die Aufklärung von Unfällen erleichtert und beschleunigen. Der Verkehr wird beim Einsatz der Kameras allerdings behindert.
Die Polizei verabschiedet sich vom Skizzenblock. Verkehrsunfälle mit Toten oder Schwerstverletzten werden ab sofort digital mit speziellen Kameras vermessen und dokumentiert. Zudem sollen bei besonders schlimmen Unfällen Gutachter, Staatsanwälte und Rechtsmediziner direkt an die Unfallstelle geholt werden. „Ein Quantensprung“, lobte gestern Oberstaatsanwalt Jörg Raupach bei der Vorstellung der neuen Technik. Bislang hatten die Gerichte regelmäßig erst Monate nach einem tödlichen Unfall einen Gutachter beauftragt. Da mit so viel Verzögerung sich viele Details nicht mehr rekonstruieren ließen, konnten viele Fälle nicht vor Gericht geklärt werden. Polizei und Justiz hoffen, dass diese genaue computergestützte Rekonstruktion die Aufklärung von Unfällen erleichtert und beschleunigt.
Der restliche Verkehr jedoch wird verlangsamt. Da die digitale Vermessung wesentlich zeitaufwendiger ist, muss künftig mit mehrstündigen Sperrungen gerechnet werden. Kritik daran kam am Freitag von der BVG. Straßenbahn-Chef Klaus-Dietrich Matschke forderte, dass der Betrieb nur so weit beeinträchtigt werden dürfe wie unbedingt erforderlich. „Wir dürfen die Fahrgäste nicht zu lange warten lassen“, forderte Matschke. Er nannte zwei Beispiele aus diesem Monat. So sei die Bornholmer Straße am 6. November in Höhe Bösebrücke kürzlich fünf Stunden blockiert gewesen. Ein angetrunkener Autofahrer hatte sich dort mehrfach überschlagen und war auf den Tram-Gleisen gelandet. Zur exakten Vermessung aus der Luft hatte die Polizei sogar eine ferngesteuerte Drohne gestartet. Bis diese Spezialtechnik in der Luft war und die Experten am Unfallort, verstrich viel Zeit – künftig wird das wohl der Normalfall sein. Matschke bemängelte zudem eine mehr als dreistündige Sperrung der Straße Am Steinberg. Das Präsidium zeigte sich ausgesprochen irritiert über den nicht angekündigten Auftritt eines BVG-Chefs bei einer Pressekonferenz der Polizei. Oberstaatsanwalt Raupach wies die Kritik an zu langen Sperrungen zurück. Gerechtigkeit für Unfallopfer und deren Hinterbliebene sei wichtiger als fließender Verkehr.
Der Chef der Verkehrspolizei, Markus van Stegen, rechnet mit etwa 1000 Einsätzen der Digitaltechnik pro Jahr. Acht Trupps wurden für 156 000 Euro mit den neuen Geräten ausgestattet, 270 Beamte daran geschult. Bei Dunkelheit können auch ein 3-D-Scanner oder ein Scanner im Polizeihubschrauber hinzugezogen werden. Aus diesen Daten können Polizisten und Richter den Unfall wie in einem Computerspiel virtuell aus allen gewünschten Perspektiven nachvollziehen.
3-D-Animationen liefert seit einigen Monaten auch die Gerichtsmedizin. Verkehrstote werden seit dem Sommer im Computertomografen durchleuchtet – für die Ermittler bei Polizei und Justiz sind die Bilder des „gläsernen Toten“ immens wichtig. Wie Sven Hartwig von der Rechtsmedizin sagte, lässt sich so eindeutig klären, aus welcher Richtung ein Fußgänger auf die Straße lief – für den angeklagten Autofahrer eine Frage von großer Tragweite: Sie kann über Freispruch oder Haft entscheiden.