Obdachlosigkeit in Berlin: Kältehilfe steht vor Herausforderungen
Der Kälteeinbruch steht vor der Tür und die Zahl der Obdachlosen steigt. Die Wohlfahrtsverbände fühlen sich im Stich gelassen und fordern Hilfe vom Bund.
Der nahende Kälteeinbruch offenbart einmal mehr die tragische Situation in Berlins Straßen und Parks. 40.000 Menschen in der Stadt waren nach Schätzungen der Caritas am Stichtag des 31. Dezember 2016 ohne festen Wohnsitz, davon 4000 bis 6000 Obdachlose. Genau benennen kann diese Zahl niemand, da es keine statistische Erhebung gibt. Fest steht aber: sie steigt, warnen die Wohlfahrtsverbände.
Am 1. November startet die Kältehilfe, deshalb unter erschwerten Bedingungen. Die Vertreter der Caritas sowie deren mobile Beratungsstelle Mobi und der Sozialverband Gebewo waren sich bei einem Pressegespräch am Mittwoch daher einig: Berlin braucht dringend eine langfristige Strategie, bei der Bezirke, Senat, Bundes- und Europäische Union an einem Strang ziehen. „Bundesgesetze wirken sich direkt auf den Tiergarten aus“, sagt Ulrike Kostka, Direktorin des Caritasverbandes. Es müsse zuerst geklärt werden, wie viele Obdachlose welche konkrete Hilfe bräuchten, um diese Aufgaben entsprechend unter allen Wohlfahrtseinrichtungen zu verteilen.
Deutlich mehr als 50 Prozent der Obdachlosen in Berlin stammen aus anderen EU-Staaten, so Kostka. Wegen des Camps im Tiergarten sorgten sogenannte „aggressive Obdachlose“ für Schlagzeilen. Doch natürlich sind nicht alle Obdachlosen aggressiv. Robert Veltmann, Geschäftsführer der Gebewo und Vertreter des Projektes Frostschutzengel, sagt: „Wenn ein Gefühl der Angst entsteht, dann weil mehr Menschen um endliche Ressourcen wie Unterkünfte, Plätze und Pfandflaschen konkurrieren.“
„Berlin hat leider gelernt zu sehr im Kältehilfemodus zu denken.“
Die Menschen, die nach Berlin kämen, würden nicht „schlechter“ werden, sondern nur zahlenmäßig mehr. Sie bräuchten neben Unterkünften auch individuelle Beratungsangebote wegen psychischer oder wegen Suchterkrankungen. Auch Prostitution sei ein Problem, betreffe jedoch vor allem junge Männer aus Syrien und Afghanistan, so Veltmann, nach seinem Wissen weniger die Osteuropäer.
Schwerpunkt sei der Tiergarten: Wenn die Menschen von dort jedoch vertrieben werden, sei es wahrscheinlich, dass sich die Szene an einen anderen Ort verlagere. Caritas-Leiterin Kostka warnt: „Berlin hat leider gelernt zu sehr im Kältehilfemodus zu denken.“ Spätestens im März, wenn die Kältehilfe schließt, sei das Problem wieder in den Parks zu sehen. Die Verbände fühlen sich im Stich gelassen: „Die Probleme von Sozialmigration werden an Suppenküchen, Ehrenamtliche und Wohlfahrtsverbände abgeschoben“, klagt Kostka. Deshalb fordert sie eine Aufnahme des Themas im Koalitionsvertrag. Denn: „Das Problem ist am 1. November nicht vorbei.“
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