Nach Corona-Infektionen in Gaststätten: Kalayci will Alkoholverbot auf bestimmte Straßenzüge beschränken
Berlins Gesundheitssenatorin erwägt, Bars den Alkoholausschank zu verbieten. Die Kneipiers sind entsetzt, Kultursenator Lederer widerspricht scharf.
Barbesucher in Berlin müssen sich wieder auf strengere Kontrollen durch die Ordnungsämter einstellen. Das erklärte Berlins Gesundheitssenatorin Dilek Kalayci (SPD) am Montag im Gesundheitsausschuss des Abgeordnetenhauses.
Kalayci sprach auch über ein mögliches Alkoholverbot in Gaststätten. Der Infektionsschutz würde in den geselligen Runden kaum eingehalten, die Corona-Pandemie scheine in Vergessenheit zu geraten.
Dort wo viel Alkohol getrunken werde, litten die Abstandsregeln. Mit Blick auf die Neuansteckungen in Lokalen, zuletzt in einer Hipster-Bar in Neukölln sowie in einer Gaststätte in Mitte, sagte Kalayci: „Es ist wohl noch nicht ganz verstanden worden, wozu die Dokumentationspflicht gut ist!?“
Gäste und Gastronomen betrachteten die Anwesenheitslisten offenbar als Last, dabei seien diese Listen für die Nachverfolgung potenziell Infizierter unverzichtbar.
Dort wo „Bar- und Clubatmosphäre“ herrsche, sei es schwierig, den Infektionsschutz durchzusetzen. Der Innensenator wolle, sagte Kalayci, die Ordnungsämter stärken, um mehr Kontrollen zu ermöglichen. Zuvor hatte die „Morgenpost“ darüber berichtet.
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Am Dienstag konkretisierte Kalayci ihre Forderung im Gespräch mit dem „Inforadio“: „Es geht hier nicht um ein allgemeines Alkoholverbot“, sagte sie. „Das wäre ja auch Quatsch.“ Wenn jemand gepflegt am Tisch sitze, die Abstandsregeln einhalte und Wein trinke, könne man nichts dagegen haben. Problematisch seien trotz der frischen Luft hingegen Straßenzüge, wo sich Menschenmassen aufhielten und beim Trinken Partyatmosphäre entstehe.
Offenbar gab es schon am Wochenende erste Zusatzeinsätze. So berichteten Anwohner und Gäste, dass Ordnungsamt-Mitarbeiter gemeinsam mit Polizisten durch die Lokale in Nordneukölln streiften. Dort waren in den letzten Wochen wieder massenhaft Feieraffine ausgegangen - nun wurde von Bar zu Bar kontrolliert. Unerlaubte Stühle und Tische vor den Kneipen mussten wegräumt, Anwesenheitslisten vorgezeigt werden.
Sebastian Czaja, der Chef der FDP-Fraktion im Abgeordnetenhaus, widersprach den Plänen der Gesundheitssenatorin: „Ein generelles Alkoholverbot in Gaststätten wäre wenig zielführend. Die letzten Wochen in Berlin haben doch gezeigt: Wenn die Bar geschlossen bleibt, wird zuhause oder in den Parks getrunken. Hier haben Ordnungsamt und Polizei noch weniger Kontrolle über das Geschehen.“
Lederer spricht von „Räuberpistole“
Kultursenator Klaus Lederer (Linke) bezeichnete den Vorschlag der Gesundheitssenatorin sogar als „Räuberpistole“. „Das trägt nichts bei zur Pandemieeindämmung. Ist mir jedenfalls nicht bekannt. Und wer hat was davon, wenn die Leute es sich im Laden holen?“, schrieb Lederer auf Twitter.
Später setzte er nach und mahnte, dass die Regierung „rational bleiben“ müsse. In einem Tweet heißt es: „Deshalb ist es nicht schlau, irgendwelche Ideen in den Medienbetrieb zu hauen, statt Wirkungen und Kollateralschäden wenigstens drei Tage zu bedenken und zu diskutieren.“
Wirtschaftssenatorin Ramona Pop (Bündnis 90/ Die Grünen) schloss sich der Kritik an: „Prohibitionsdiskussionen helfen nicht weiter“, schrieb sie am Abend auf Twitter. Alle seien für die Einhaltung der Hygieneregeln verantwortlich, außerdem müssten Polizei und Ordnungsämter die Gebote durchsetzen.
Geschockt zeigten sich die Kneipiers. „Ein Alkoholverbot wäre Wahnsinn“, sagt Willy Schlögl von der Weinbar Freundschaft. Er sei geschockt von der Aussage der Gesundheitssenatorin, sie trage weiter zur Verunsicherung der Gäste und der Gastronomen bei. Seine Beobachtung vom Wochenende: „Die Berliner machen in Restaurants und Bars eher einen kultivierten Eindruck. Lediglich in von stark von Touristen frequentierten Läden wird auf Ballermann gemacht.“
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Das sei für ihn weniger ein Problem des Alkohols, als der Grundeinstellung von Gästen, die sich nicht einschränken lassen wollen. Auch sieht er keinen Sinn darin, allein die Gastronomie weiter zu beschränken. „Alkohol ist ein Katalysator von Stress, wenn die Leute nicht in Bars trinken dürfen, trinken sie vorm Späti oder am Spreeufer.“
„Das Alkoholverbot trifft auch die, die alle Regeln einhalten“
Sebastian Pötter von der Bar Weserkrug in Neukölln sieht Gaststätten als große Verlierer der Coronakrise. Ihnen blieben durch die konfuse Situation von Lockerungen und Rücknahmen die Gäste weg<NO1>Gedanken über ein generelles Alkoholverbot verstärkten diese Unsicherheit noch weiter. „Das trifft auch die, die alle Regeln einhalten. Es scheint niemandem bewusst zu sein, was das für Berlin in den nächsten Jahren bedeutet: Den tollen großen Flughafen kann man sich dann sparen!“
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Gregor Scholl, Mixologen-Ikone aus dem Rum Trade, stört sich an der Grundannahme, dass Alkoholkonsum automatisch zu mehr Regelverstößen führen soll. Berlin und Prohibition sind für ihn unvereinbar, es zeuge von Hilflosigkeit, wenn der Gastronomie jetzt ein Alkoholverbot auferlegt würde.
Trotzdem zeigt Scholl Verständnis für die Einschränkungen, die auch den Kulturbetrieb treffen: „Es gibt keine Blaupause für solch eine Situation. Die Politik agiert sehr vernünftig und weitaus rationaler als in anderen Ländern. Wir bekamen Soforthilfen und selbst der Senat, der sonst „die goldene Schnecke trägt“, habe sich beachtlich bewegt. (mit dpa)