Entführungs-Prozess in Frankfurt/Oder: Kabarett um den Storkower Maskenmann
Eigentlich geht es vor dem Landgericht Frankfurt/Oder um die Entführung in Storkow im Jahr 2012. Doch dann drängt sich eine Kriminologin mit abenteuerlichen Analysen in den Vordergrund.
Irgendwann spielte sogar die Frage eine Rolle: Gibt es eine wissenschaftliche Studie, ob Deutsche am Freitagabend lieber mit Straßenschuhen oder mit Hausschuhen auf dem Sofa sitzen? Spannender Punkt natürlich, aber trotz der Brisanz der Frage doch nur ein Detail, das im Schatten der wirklich entscheidenden Frage dieses Tages stand: Hat der Unternehmer Stefan T. seine Entführung aus seiner Villa in Storkow nur spektakulär inszeniert? War also die angebliche Leidenstour auf einer Luftmatratze, auf der er 2012 gefesselt von einem Kajak über den Storkower See geschleppt wurde, nur ein Schwindel? Diese Frage beherrschte am Donnerstag den Sitzungssaal 007 des Landgerichts Frankfurt/Oder.
Links saß der Angeklagte Mario K., der mutmaßliche Maskenmann und Entführer, auf dem Zeugenstuhl als Sachverständige eine Kriminologin, die verkündete, „dass ich erhebliche Zweifel an der Darstellung der Entführung und der Flucht habe“. Ihre Gründe hat sie auf 20 Seiten aufgelistet, als „Fallanalyse“.
Doch nach vier Stunden hatten Staatsanwalt und Nebenkläger den Bericht in seine Einzelteile zerlegt, ein Nebenkläger die Sachverständige geradezu in die Rolle einer Grundschülerin gerückt, die vom Lehrer abgefragt wird („Wann wird bei einer Straftat Geld verlangt?“ – „Bei einer Entführung“ – „Richtig“). Sogar der Richter hatte ihr Zurückhaltung empfohlen.
Kriminologin "erheblichen Zweifeln" - und fragwürdigen Argumenten
Das lag an den Begründungen der Sachverständigen für ihre Thesen. Die Kriminologin, nach eigener Aussage Expertin für Kommunikationsanalyse, hatte Vernehmungsprotokolle des entführten Millionärs, eine DVD mit der Aufzeichnung seiner Vernehmung sowie Briefe von ihm aus der Gefangenschaft ausgewertet. Für ihre „erheblichen Zweifel“ an der Darstellung des Millionärs hatte sie unter anderem folgende Belege: Der Unternehmer habe sich mehrfach mit der Hand über die Haare gestreift. Das sei ein Hinweis dafür, dass jemand strategisch antworte und sich eine konstruierte Geschichte ausdenke. Er habe sich mehrfach mit der Zunge die Oberlippe benetzt, so machten das üblicherweise Menschen, die lügen.
Er habe auch in einem seiner Briefe am Ende viel runder als am Anfang geschrieben. Ergo: Der Brief könne gar nicht unter Druck entstanden sein, er müsse in zwei Etappen formuliert worden sein. „Sind Sie Schriftsachverständige?“, fragte der Staatsanwalt. „Nein.“ – „Hatten Sie Briefe des Unternehmers zum Vergleich vorliegen?“ – „Nein.“
Auch dies sah die Kriminologin als Beleg ihrer Thesen: Bei der Schilderung der Entführung habe der Unternehmer überhaupt keine Körperspannung gezeigt; eigentlich hätte er doch unter Druck stehen müssen. Und dann die Sache mit den Straßenschuhen: Der Unternehmer habe am Freitagabend auf der Couch Straßenschuhe getragen. Wer mache denn so etwas? Wozu gebe es Hausschuhe? Für sie ein starkes Indiz, dass er gar nicht gemütlich und nichtsahnend im Wohnzimmer gesessen habe.
Richter greift ein
Gleichzeitig bescheinigte sie ihm eine „narzisstische Persönlichkeitsstörung“. Beleg für diesen Vorwurf: Er habe die Züchter, von denen er seinen Hund gekauft habe und die nicht viel Geld haben, als „einfache Menschen“ bezeichnet. Damit habe er sie „ins Lächerliche gezogen und abgewertet“. An diesem Punkt griff der Vorsitzende Richter ein. „Wenn Sie keine Psychologin sind, sagen Sie einfach zu Fragen auf diesem Gebiet: Ich habe da keinen medizinischen Sachverstand.“
Ihre Qualifikation war dann breites Thema. Die Zeugin hat Kriminologie studiert, dann noch Soziologie mit Abschluss Master und hat als Nebenfach Psychologie belegt. Vor allem aber wurde klar, was sie noch nie gemacht hat: eine operative oder kriminalistische Fallanalyse, eine Glaubwürdigkeitsanalyse. Sie hat noch nie mit Entführungsopfern gesprochen, noch nie in einem Entführungsfall mitgearbeitet. Allerdings betonte sie, dass ihr Bericht kein Gutachten sei, sondern eine Einschätzung, die sie auf Wunsch der Kripo erstellt habe.
"Sie sagen nicht die Wahrheit"
Der Angeklagte K. soll 2011 auch zwei Überfälle auf eine Unternehmerfamilie in Bad Saarow verübt und dabei einen Wachmann lebensgefährlich verletzt haben. Das Wissen der Kriminologin über diesen Fall basiert aus einem Beitrag von „Aktenzeichen XY“ und zwei Zeitungsartikeln. Trotzdem schrieb sie in ihrer „Fallanalyse“: „Nur auf den ersten Blick scheinen die Fälle miteinander zu tun zu haben. Aber wenn man genauer hinblickt, weichen die beiden Fälle voneinander ab.“ In welchen Punkten, konnte sie nicht konkretisieren. Irgendwann platzte einem Nebenkläger der Satz heraus: „Sie sagen nicht die Wahrheit.“
Die Geschichte mit den Schuhen, ein schon an Kabarett grenzender Part der Verhandlung, wurde im Übrigen zumindest teilweise beantwortet. In Nordrhein-Westfalen gehören Straßenschuhe am Freitagabend durchaus zum gewohnten Bild. Das hat der Staatsanwalt verkündet. Streng wissenschaftlich belegt ist dies aber nicht. Es sind nur Erkenntnisse aus dem Bekanntenkreis des Anklägers.
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