Tumult vor dem Berliner Landgericht: Justizbeamte behindern ZDF-Kamerateam bei Neonazi-Prozess
Erst werden Journalisten von Unterstützern eines Rechtsextremisten bepöbelt, dann bedrängen Beamte sie. Der Gerichtspräsident spricht von einer Überreaktion.
Ein Kamerateam des ZDF wurde am Donnerstag vor dem Berliner Landgericht in Tiergarten angegriffen und an der Arbeit gehindert. Laut übereinstimmenden Zeugenaussagen und Videoaufnahmen, die dem Tagesspiegel vorliegen, wurden der Journalist Arndt Ginzel und sein Kameramann vor dem Gerichtsgebäude von Unterstützern des Rechtsextremisten Sven Liebich bedrängt und bedroht.
Zwei Justizbeamte griffen in den Tumult ein und forderten das Kamerateam auf, seine Arbeit zu beenden und nicht weiter zu filmen. Einer der Beamten rief mehrfach „Machen Sie mal die Kamera aus“. Der Konflikt fand auf dem Gehweg vor dem Gericht statt – also im öffentlichen Raum.
Als die Journalisten sich weigerten, griff einer der Beamten mehrfach in die Kamera des ZDF-Mitarbeiters und versuchte, die Journalisten abzudrängen. Etwa 15 Unterstützer des Rechtsextremisten Liebich standen grinsend daneben, wie Videoaufnahmen zeigen. Später riefen sie unter anderem „Lügenpresse auf die Fresse“.
Auf welcher Grundlage die Justizbeamten die Journalisten am Filmen im öffentlichen Straßenraum hindern wollten, war am Donnerstag nicht klar. Es hieß aus Justizkreisen, sie hätten wohl versucht, „zu deeskalieren“. Deshalb riefen sie auch die Polizei.
Auf Tagesspiegel-Anfrage bestätigte die Polizei einen Einsatz vor dem Landgericht. Demnach waren Einsatzkräften vor Ort, weil sich dort eine kleinere Menschengruppe zum Protest versammelt hatte und die „Stimmung aufgeheizt“ gewesen sein soll. Als die Beamten am Gericht eintrafen, sei die Lage allerdings ruhig gewesen, sagte ein Polizeisprecher.
Berliner Justizverwaltung will den Vorfall aufklären
Der Angriff auf das ZDF-Team sei den Beamten später gemeldet worden, eine Strafanzeige sei jedoch bis zum frühen Abend nicht eingegangen. Man prüfe derzeit die auf Twitter veröffentlichten Bilder. Laut „taz“ erwägt der Journalist Arndt Ginzel juristische Schritte gegen die Angreifer.
Die Berliner Justizverwaltung will den Angriff auf die Pressevertreter und das Behindern ihrer Arbeit nun aufklären. „Die Pressefreiheit muss geschützt und gewahrt werden. Selbstverständlich ist in unseren Gerichten und um unsere Gerichte eine freie Presseberichterstattung zu gewährleisten", sagte Justizsenator Dirk Behrendt (Grüne) am Freitag. Er sei froh, dass das Landgericht den Vorfall aufklären wolle.
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Dem Tagesspiegel sagte Thomas Heymann, Sprecher der Berliner Zivilgerichte: "Wir nehmen den Vorgang sehr ernst, die Aufklärung dauert noch an. Die Pressefreiheit ist für die Demokratie wesentlich und muss von der Justiz geschützt werden."
Gerichtspräsident: Berichterstattung "ausdrücklich gewünscht"
Am Freitagnachmittag äußerste sich auch der Präsident des Landgerichts, Holger Matthiessen, zu den bisherigen Ermittlungsergebnissen. Er bedauere, dass der Eindruck entstanden sei, "Justizbedienstete würden Journalisten vor dem Gerichtsgebäude an der Berichterstattung hindern wollen", teilte er mit.
Tatsächlich, erklärt Matthiessen, habe ein Justizwachtmeister des Landgerichts lediglich Bildaufnahmen seiner eigenen Person verhindern wollen. "Er hat hierbei aber ersichtlich überreagiert." Dass das Fernsehteam zugleich von den Beobachtern des Prozesses beschimpft wurde, habe zu dem Eindruck geführt, der Justizbeamte unterstütze dieses "absolut unangemessene Verhalten".
Chefredakteur des ZDF sieht Justiz in der Pflicht
Man werde den Vorfall intern auswetten und dafür sorgen, dass "sich Vergleichbares nicht wiederholen wird". Pressevertreter könnten sich darauf verlassen, dass ihre Berichterstattung "ausdrücklich gewünscht" sei.
Nach Tagesspiegel-Informationen hatte sich das ZDF-Team bereits zuvor beim Landgericht akkreditiert – der Vorfall fand aber ohnehin auf dem Gehweg vor dem Gebäude statt. Die Journalisten boten dem Justizbeamten mehrfach an, einfach aus dem Bild zu gehen.
Am frühen Abend äußerte sich auch der Chefredakteur des ZDF, Peter Frey, zu dem Zwischenfall: Er begrüße die „klare Einordnung“ des Zwischenfalls durch das Berliner Landgericht und „das damit verbundende eindeutige Bekenntnis zur Pressefreiheit“.
Gerichtstermin betraf Streit mit Leiterin der Amadeu-Antonio-Stiftung
Hintergrund der Verhandlung am Berliner Landgericht war ein zivilrechtlicher Streit zwischen dem Rechtsextremisten Sven Liebich und Anetta Kahane, der Leiterin der Amadeu-Antonio-Stiftung. Liebich soll auf einer Internetseite eine antisemitische Karikatur von Kahane veröffentlicht haben. Kahane ließ dies am Donnerstag untersagen.
Es ist ein weiterer Angriff auf die Freiheit der Presse in Berlin. Am ersten Mai war ein Kamera-Team der „Heute Show“ brutal überfallen worden, Sicherheitskreise gehen seither von Tätern aus der linken Szene aus. Wenige Tage später war es bei den Demonstrationen gegen die Corona-Regeln zu einem weiteren Angriff auf ein Team der ARD gekommen.